Angela Merkels grüner Fanklub
Grüne Jugend kritisiert die zunehmende Anbiederung der Partei an die CDU
Die Grünen sticheln gegen ihren Lieblingsgegner. Vor dem Veranstaltungsort der Fraktionsklausur in Weimar entrollen die Vorsitzenden Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt am Mittwoch ein Plakat, auf dem die Forderung zu lesen ist: »Herr, schick Hirn nach Kreuth.« In dem südbayerischen Ort schwadroniert nämlich zeitgleich die CSU bei ihrer Klausurtagung über Abschottungsmaßnahmen vor Flüchtlingen. Die grundrechtswidrige Forderung der bayerischen Konservativen nach einer Obergrenze bei der Aufnahme von Schutzsuchenden lehnen die Grünen selbstverständlich ab. Stattdessen unterstützen sie weitgehend die Strategien von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Linke Grüne beäugen diese Annäherung an die CDU schon seit längerem kritisch. Denn Merkel trägt zwar Konflikte mit den Hardlinern von der CSU aus, hat aber in den vergangenen Monaten gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner SPD auch zahlreiche Verschärfungen des Asylrechts durchgesetzt. Die Vorsitzende der Grünen Jugend, Jamila Schäfer, hat nun auf der Website des linken Parteiflügels einen Text veröffentlicht, in dem sie das »Anbiedern an den Kurs der Bundesregierung« als falsche Antwort auf die Politikverdrossenheit in Teilen der Gesellschaft kritisiert. Dies sei »eine Steilvorlage für den Vorwurf der Austauschbarkeit der Parteien und bestätigt das Misstrauen in die Demokratie«.
Im Gespräch mit »nd« fordert Schäfer: »Wir Grüne müssen damit aufhören, Merkel zu bauchpinseln.« Dies gelte sowohl für Winfried Kretschmann als auch für Vertreter und Vertreterinnen der Parteiführung, wenn sie sich hinter die Politik der Kanzlerin stellten und diese lobten. Der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann hatte zuletzt Anfang dieser Woche während der Vorstandsklausur in Berlin verkündet, in der Flüchtlingsfrage »mit Merkel einer Meinung« zu sein.
Interne Kritik an Kretschmann wurde bei den Grünen nach dem Parteitag in Halle an der Saale Ende November kaum noch geäußert. Der Regierungschef und weitere grüne Landespolitiker hatten wenige Wochen vor dem Parteitag der Großen Koalition bei der Abstimmung im Bundesrat über Asylrechtsverschärfungen wie die Ausweitung »sicherer Herkunftsstaaten« in Südosteuropa und die nach Meinung zahlreicher Kritiker verfassungswidrigen Leistungskürzungen für »ausreisepflichtige« Asylbewerber zu einer Mehrheit verholfen. Im Gegenzug erhielten die Länder Milliardenhilfen vom Bund. Auch Vertreter der Grünen-Führung hatten das Abstimmungsverhalten im Bundesrat akzeptiert.
Diese Entwicklungen in der eigenen Partei haben dagegen in der Grünen Jugend Unbehagen ausgelöst. Jamila Schäfer moniert, dass Kretschmanns Zustimmung zum sogenannten Asylkompromiss für einen konservativen Kurs des Ministerpräsidenten stehe. »In Zukunft erwarte ich von den Grünen im Bundesrat, dass sie weitere mögliche Asylrechtsverschärfungen durch die Große Koalition blockieren«, fordert die Nachwuchspolitikerin.
Den Namen Kretschmann nehmen viele Grüne derzeit nur noch in den Mund, wenn sie von der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 13. März reden. Der Südwestdeutsche ist der einzige Ministerpräsident der Ökopartei. Ob er nach der Wahl weiterhin mit der SPD regieren kann, ist ungewiss. Ebenso wie Parteikollegen von ihm in Rheinland-Pfalz, wo Rot-Grün am 13. März nach Umfragen die Mehrheit im Landtag verlieren dürfte, hat auch Kretschmann in seinem Bundesland ein Zusammengehen mit der CDU nicht ausgeschlossen. Die Grüne Jugend zählt hingegen zu den Gegnern schwarz-grüner Koalitionen in Ländern und im Bund. Eine solche Konstellation könne sie sich in Baden-Württemberg überhaupt nicht vorstellen, sagt Schäfer. Sie verweist darauf, dass die CDU der Hauptgegner im Wahlkampf sei.
Von ihrer Partei fordert Schäfer nun eine deutlichere Oppositionspolitik. »Seit der letzten Bundestagswahl gibt es die Tendenz, dass linke Positionierungen bei den Grünen zurückgehalten werden sollen«, gibt die Sprecherin der Parteijugend zu bedenken. Zu den linken Forderungen gehört auch die Umverteilungspolitik. »Wir sollten uns trauen anzusprechen, dass es Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und Vermögende geben muss. Gerechte Politik braucht Umverteilung. Notwendig ist hierfür unter anderem eine Vermögenssteuer. Zudem müssen wir das Ehegattensplitting abschaffen und eine Kindergrundsicherung einführen«, erklärt Schäfer.
Die Parteiführung ist zurückhaltender. In ihrer Berliner Erklärung zum Abschluss der Vorstandsklausur hatte sie sich nur für »mehr Steuergerechtigkeit und Steuerehrlichkeit« ausgesprochen. Diese wenig aufschlussreiche Formulierung dürfte deswegen gewählt worden sein, weil die Steuerfrage in der Partei strittig ist. Politiker vom Realo-Flügel sehen die moderaten Umverteilungsforderungen der Grünen als Ursache für die Niederlage bei der Bundestagswahl 2013. Der Streit wird wohl erst im Zuge der Debatten über das Wahlprogramm 2017 entschieden.
Bei ihrer Klausur in Weimar haben die Bundestagsabgeordneten der Grünen übrigens Eckpunkte für die Integration von Flüchtlingen vorgelegt, die nicht von den Asylrechtsverschärfungen betroffen sind und zunächst hierbleiben dürfen. Demnach sind unter anderem für Bildung und den sozialen Wohnungsbau jedes Jahr Mehrausgaben des Bundes von mindestens vier Milliarden Euro erforderlich. Das wären in den nächsten fünf Jahren also insgesamt mindestens 20 Milliarden Euro. Dabei betonen die Grünen, dass die Steuereinnahmen derzeit gut seien und deswegen die Aufgaben bewältigt werden könnten, ohne die Bürger stärker zu belasten. Viele Gutverdienende unter den Grünen-Wählern werden dies erleichtert zur Kenntnis genommen haben.
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