Entschleunigte Landwirtschaft

Kritischer Agrarbericht 2016 befasst sich mit der Tendenz »wachse oder weiche«

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 3 Min.
Zum Auftakt der Internationalen Grünen Woche in Berlin stellte das AgrarBündnis den Kritischen Agrarbericht 2016 vor. Schwerpunkt ist »Wachstum«.

Mehr Wachstum, höhere Exporte und starker ökonomischer Druck: Auch die Situation in der Landwirtschaft ist geprägt von der Auseinandersetzung »Wachse oder Weiche«. Die nimmt der Kritische Agrarbericht 2016 unter die Lupe. Das Agrarbündnis als Herausgeber wendet sich darin gegen eine Landwirtschaft des Wachstums ohne Wertschöpfung.

Wachstum sei auch in der Landwirtschaft längst kein Indikator mehr für Wohlstand, sagte Frieder Thomas, Geschäftsführer des Bündnisses aus 25 Verbänden aus Landwirtschaft, Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutz sowie Entwicklungsarbeit. In der aktuellen Krise falle es »auch Wachstumsbetrieben immer schwerer, sich auf die ständig schwankenden und tendenziell eher sinkenden Erzeugerpreise einzustellen«. Die Folge sei weiteres Höfesterben, zudem gefährde Wachstum Ressourcen, diene nicht dem Tierwohl und schade der Ernährungssouveränität von Entwicklungsländern.

Besonders in der Tierhaltung gilt momentan Hopp oder Top. So schließen immer mehr Milchbetriebe ihre Tore, in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Höfe um rund ein Drittel verringert. Gleichzeitig wächst bei den übrigen Betrieben die Anzahl der Kühe im Stall. Ottmar Ilch- mann, stellvertretender Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und Milchbauer, kritisiert im Agrarbericht zudem die »Ideologie des Mengenwachstums«. Statt angesichts des Preisverfalls das Angebot, also die Milchmenge zu reduzieren, sei diese in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht gestiegen.

Sein Kollege Martin Schulz, Bundesvorsitzender der AbL und Neuland-Schweinemäster, machte für die starken Einkommensverluste der Tierhaltungsbetriebe die bisherige Exportausrichtung verantwortlich: Bundesminister Christian Schmidt (CSU) und der Bauernverband hätten stets von wachsenden kaufkräftigen Exportmärkten für Milch und Schweinefleisch geredet und die Agrarpolitik danach ausgerichtet. »Seit anderthalb Jahren bezahlen die Bauern nun dafür, dass diese Vorhersagen falsch sind. Molkerei- und Schlachtkonzerne steigern zwar ihre Exporte; allerdings auf Kosten der Bauern, die für Milch, Ferkel und Schweinefleisch Preise weit unterhalb ihrer Kosten erhalten. Die Exportsubventionen der EU haben wir endlich abgeschafft, nun verbilligen die Dumpingpreise an die Bauern die Exporte der Ernährungsindustrie«, kritisierte Schulz. Vom Agrarminister forderte er eine »Qualitätsoffensive«. Die Nachfrage nach regional, tierschutz- und umweltgerecht erzeugten Lebensmitteln von bäuerlichen Betrieben wachse. Das biete weit bessere Perspektiven als das Setzen auf Weltmarktanteile.

Auch eine weitere Liberalisierung des Handels durch die geplanten Freihandelsabkommen werde nicht helfen, ergänzte Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz. Er warnte: »Die Verlierer von TTIP werden vor allem Europas Landwirte sein.« Laut einer Studie des US-Landwirtschaftsministeriums würden durch den Wegfall von Zöllen und nicht-tarifären Handelshemmnissen - etwa dem Einfuhrverbot für hormonbehandeltes Fleisch - die US-Exporte in die EU deutlich steigen, vor allem bei Milch und Fleisch. Die EU-Landwirte verlören dadurch in großem Stil Marktanteile.

Der Idee des »Grünen Wachstum« als Verbindung zwischen Wachstum und Ökologie wird ebenfalls eine Absage erteilt. Gebot der Stunde, so schreiben die AutorInnen des Berichts, Reinhild Benning und Tilman Santarius, sei vielmehr »Entschleunigung, Entkommerzialisierung und Deglobalisierung der Produktion«.

Auch das Wachstum der Ökobranche wird kritisch beleuchtet. Dort lasse sich derzeit eine »Konventionalisierung« beobachten, schreibt der Agrarwissenschaftler Franz-Theo Gottwald. »Zunehmend gilt die marktwirtschaftliche Logik des ›Wachsens oder Weichens‹«. Als alternatives Anbausystem benötige der Ökolandbau deshalb dringend ein eigenes, wertebezogenes Wachstumsverständnis sowie ein Leitbild qualitativen Wachstums, das sich vom industriellen Wettbewerbssystem abhebe.

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