Vertuschen, verkaufen, betrügen
Der ganz besondere olympische Dreikampf des Leichtathletikweltverbandes
Richard Pound weiß, wie man mit der Öffentlichkeit umgeht. Seine erste Pressekonferenz als Vorsitzender der externen Untersuchungskommission der Welt-Antidoping-Agentur WADA zu den Dopingpraktiken des Weltleichtathletikverbandes IAAF versah er im November 2015 mit einem Cliffhanger. »Das ist nur die Spitze des Eisberges«, sagte er und ergänzte: »Sie werden bald sehen, wie es einige Drecksäcke getrieben haben.«
In Unterschleißheim bei München stellte er am Donnerstag in Anwesenheit von IAAF-Präsident Sebastian Coe und unterstützt von der französischen Staatsanwältin Eliane Houlette, die die Bestechungstransaktionen zur Vertuschung von Doping zwischen dem russischen Leichtathletikverband ARAF und der IAAF unter die Lupe nimmt, vor, wie erfindungsreich die »Drecksäcke« waren.
»Es ging alles von ganz oben aus, vom IAAF-Präsidenten Lamine Diack selbst. Er entsandte seinen Berater Habib Cissé in die medizinische Kommission, damit er die russischen Blutpassfälle betreuen konnte«, erklärte Pounds Beisitzer Richard Young auf der Pressekonferenz. Cissé begnügte sich im Auftrag Diacks aber nicht nur mit dem »Handling« der Fälle, sondern »vermittelte russischen Trainern auch das Wissen, wie sie Blutpasstests so manipulieren können.« Young präsentierte auch Belege für Zahlungen von Bestechungssummen. Gegen Diacks Sohn Papa Massata Diack besteht deswegen ein Haftbefehl von Interpol.
Am Donnerstag beschränkte sich die Kommission auf die Vorfälle in Russland. Sie attestierte der IAAF auch ein »proaktives Verhalten« im Rahmen des Blutpassmonitorings ab 2011. Dies verwundert. Denn im Läuferwunderland Kenia führte die IAAF laut einer eigenen Teststatistik seit Einführung des Blutpasses im Jahre 2009 keinen einzigen Bluttest im Training durch. Und das, obwohl in den Jahren 2005 und 2006 insgesamt 134 Trainingskontrollen zu 45 Proben führten, die Hämatokritwerte von mehr als 50 Prozent ergaben. Dopingverfahren wurden aber nicht angestrengt, obwohl oder gerade weil Weltrekordler und Medaillengewinner bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften darunter waren.
Warum die IAAF nach Einführung des Blutmonitorings - die Teststatistik, die auch »nd« vorliegt, geht bis Mitte 2011 - keine Blutproben im Training nahm, ist völlig unverständlich. Floss dort, wie im Falle Russlands, Geld, um erst gar kein »Ergebnisproblem« mit Kontrollen zu haben? Oder war es »nur« der Versuch, das Ausmaß der Verseuchung nicht kennenlernen zu wollen? Übrigens just seit dem Jahr 2007, als der heutige IAAF-Präsident Sebastian Coe das Amt des Vizepräsidenten antrat, gab es keine Trainingskontrollen mit Blut in Kenia.
Auch Bluttests im Rahmen der WM 2009 in Berlin zeigen, dass der Dopingeisberg in der Leichtathletik nicht eine rein russische Sache ist. Nach der WM machte der damalige IAAF-Generalsekretär Pierre Weiss zwar den russischen Athletikchef Valentin Balakhnichev darauf aufmerksam, dass bei der Anwendung einer No Start-Regel »sieben russische Athleten nicht am Wettkampf hätten teilnehmen dürfen«. Ihr Hämatokritwert lag über 50 Prozent. In der Teststatistik der IAAF fiel aber auch ein Dutzend weiterer Sportler aus anderen Nationen auf: zwei Griechinnen, zwei Marokkaner, zwei Sportler aus Saudi-Arabien, ein Franzose, ein Algerier, ein Kasache, ein Chinese und ein Brasilianer. Auch der äthiopische Langstreckler Ali Abdosh gehörte mit 51,8 zu diesen »Dirty 19«. Abdosh begeisterte das Berliner Publikum damals als »Hinterläufer«, der nach Kollision und Verlust eines Schuhs zwar das Finale verpasste, dank einer Gnadenregelung dennoch in den Endlauf kam. Selbst Geschichten, die das Herz berühren, müssen nach dieser Liste umgeschrieben werden.
Von diesen Athleten wurde bei der WM nur Jamel Chatbi aus Marokko gesperrt - er hatte zusätzlich Clenbuterol im Körper. 14 kamen ganz ohne Sperre davon, vier weitere wurden nach Blutpassauswertungen in den Jahren 2012 bis 2015 gesperrt, darunter der russische Geherweltmeister Valeriy Borchin.
In der Leichtathletik ging es im letzten Jahrzehnt offenbar noch schlimmer zu als einst im Radsport. Vom Dopingsünder Lance Armstrong gezahlte Gefälligkeitssummen wurden vom Weltverband zumindest zum Kauf von Blutanalysegeräten für die Antidopingabteilung benutzt. Bei der IAAF landeten laut der Pariser Ermittlungen Bestechungssummen russischer Athleten als Luxusuhr am Handgelenk von Gabriel Dollé, damals Chef der Antidopingabteilung der IAAF: Das ist »Drecksack«-Verhalten de luxe.
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