»Das Istanbuler Attentat ist auch für Belek eine Katastrophe«
Deutsche Fußballklubs überlegen, Trainingslager nicht mehr an der türkischen Riviera abzuhalten. Russische Touristen blieben schon vorher fern
Mehr als ihre riesigen Hotelzimmer, die großen Empfangshallen und die gepflegten Trainingsplätze bekommen die meisten Bundesligaprofis während ihres Trainingslager im türkischen Belek kaum zu sehen. Nur ein Geschäft, das im Ortszentrum allen Ernstes in Deutsch auf »getürkte Uhren« hinweist, soll den einen oder anderen Spieler animiert haben, ein Mitbringsel zu erwerben. Hoffentlich fliegt der Schwindel nicht auf. Denn das Ansehen der wichtigsten Touristenregion der Türkei ist gerade schon genug geschädigt.
Nach dem Attentat von Istanbul ergreift die Besorgnis auch die sechs Vereine (Hannover 96, Hamburger SV, Hertha BSC, Borussia Mönchengladbach, VfB Stuttgart und Werder Bremen), die sich gerade an der türkischen Mittelmeerküste für die Rückrunde fit machen. Bevor am Dienstagabend das Testspiel zwischen Hertha BSC und Borussia Mönchengladbach angepfiffen wurde, legten Spieler und Zuschauer eine Schweigeminute ein - die gespenstische Stille auf der Anlage des Arcadia Sport Resort berührte alle. Gladbachs Trainer André Schubert hatte am Mittwoch berichtet, er habe erst im Laufe des Abends von den wahren Ausmaßen erfahren. »Ich mache mir keine Sorgen um uns.« Attentate könnten überall und jedem passen - im Bahnhof und Einkaufszentrum. Er hege hierzulande eher die Befürchtung, »dass aus solchen Vorfällen die falschen Schlüsse gezogen werden.« Ansonsten war Schubert am vorletzten Tag des Trainingslagers damit beschäftigt, den Ablauf alltäglich erscheinen zu lassen. Das versuchen auch alle anderen Vereine. Besondere Sicherheitsmaßnahmen gab es zunächst keine, die Präsenz von Sicherheitskräften hielt sich in Grenzen. Die Einfahrten zu den Hotelanlagen werden kontrolliert, der Zutritt zu einigen Fußballplätzen jedoch gar nicht.
»Die Sicherheit war ein großes Thema im Vorfeld. Wir haben auch andere Standorte geprüft, uns dann aber wieder für Belek entschieden«, erklärte Tim Barten, der Teammanager des SV Werder auf der Anlage des beim G 20-Gipfel genutzten Komplexes vom Luxushotel Regnum Carya. Die Bremer haben sich mit dem Flughafen Antalya und dem Auswärtigem Amt in Verbindung gesetzt, um den für Samstag geplanten Rückflug abzuchecken. Antwort: kein Grund zur Panik.
»Die Region Antalya ist sicher«, versicherte zunächst auch Ferit Turgut, der nicht nur als Türkei-Chef der mit vielen Vereinen verbandelten Hamburger Agentur Match IQ, sondern auch Sprecher des Sporttourismusverbandes Antalya auftritt. Der leutselige Türke kennt jeden Entscheider der Vereine persönlich und mit seinen kräftigen Umarmungen will er auch zeigen, dass sich niemand sorgen soll. Dummerweise wurden am Mittwoch in der Millionenstadt Antalya drei Russen festgenommen, die mit der Terrormiliz IS in Verbindung gebracht werden. »Der Anschlag von Istanbul ist auch für Belek eine Katastrophe«, räumt Turgut inzwischen ein.
So wird sich auch die Bundesliga-Szene fragen, ob die Türkei das richtige Reiseziel bleibt - zumal der Wintergarten des deutschen Fußballs noch auf andere Art gefährdet ist. Wegen der politischen Verwerfungen nach Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe haben russische Vereine reihenweise ihre Aufenthalte storniert. 900 Trainingslager sind geplatzt, weil sich weitere 23 Länder teils solidarisch erklärt haben, berichtet Turgut. Einbußen von 50 Millionen Euro drohen allein im Fußballtourismus. Noch wichtiger sind die elf Millionen Pauschaltouristen, die vor allem im Sommer die Bettenburgen bevölkern. Davon waren vier Millionen konsumfreudige Russen, die in der Mehrzahl diesmal fernbleiben.
Manche Geschäftsleute in Belek entwerfen ein fast schon apokalyptisches Szenario, weil die drei großen türkischen Reisegesellschaften Anex Tour, Coral Travel und Pegas Touristik ihre Lizenzen in Russland verloren hätten. Sie rechnen damit, dass nur noch 500 000 oder 600 000 russische Gäste kommen wollen - das wäre bereits existenzgefährdend. Die Schätzung stammt aber noch aus den Tagen vor dem Attentat in Istanbul.
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