Crystal und Kokain auch im Bundestag

Der Bundestagsabgeordnete Frank Tempel (LINKE) über die gescheiterte Verbotspolitik

  • Lesedauer: 7 Min.
Frank Tempel ist seit Januar 2014 stellvertretender Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages und seit 2010 drogenpolitischer Sprecher der LINKEN. In der DDR absolvierte er eine Ausbildung zum Landmaschinenschlosser, sowie ab 1988 eine Offiziersausbildung bei den Grenztruppen der DDR. Nach dem Mauerfall arbeitete er als Kfz-Schlosser und begann 1993 eine Polizeiausbildung. Zunächst arbeitete Tempel als Polizeivollzugsbeamter, 1999 wurde er zum Kriminalbeamten im gehobenen Dienst ernannt. 1990 kandidierte Tempel für die PDS für den Thüringer Landtag, seit 2009 sitzt er für die LINKE im Bundestag. Im Interview erklärt er, warum er die Legalisierung nicht nur von Cannabis, sondern auch von harten Drogen befürwortet. Mit dem Abgeordneten sprach Sebastian Grundke.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe plant die Einrichtung einer Agentur, die chronisch Kranke mit Cannabis als Medizin versorgen soll. Ist das ein richtiger Schritt? Die Einrichtung einer so genanten Cannabis-Agentur fordern wir schon seit Jahren. Das ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung, aber die Auswirkung auf die Patienten wird eher gering sein. Laut Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit können Cannabisarzneimittel an die Patienten nur bei »fehlenden Therapiealternativen« verschrieben werden. In anderen Ländern, wie in den Niederlanden, Israel, Österreich und dreiundzwanzig US-Bundesstaaten, wird Cannabis nicht nur bei chronisch erkrankten Patienten eingesetzt. Bei bestimmten Krankheiten hat die Nutzung von Cannabis Vorteile gegenüber der Nutzung von herkömmlichen Arzneimitteln. Durch die Einrichtung der Cannabis-Agentur sind wir einer kontrollierten Abgabe von Cannabis näher gekommen. Dennoch liegt ein langer Weg vor uns, bis wir in Bezug auf Deutschland von einer modernen Drogenpolitik sprechen können.

Sie haben auf der letztjährigen Hanf-Parade eine Rede gehalten. Kiffen Sie selbst denn auch?

Nein. Aber es verändert sich nur etwas, wenn sich auch welche wie ich für eine Legalisierung von Marihuana einsetzen.

Warum fordern Sie die?

Unter anderem weil wir der Entwicklung in den USA etwas hinterherlaufen. Dort ist der Verkauf und Konsum von Marihuana in zwei Bundesstaaten legal. Die politische Debatte hierzulande hat sich aber kaum verändert. Das Thema ist für die großen Parteien tabu.

Berlin plant inzwischen Coffeeshops und hatte in diesem Jahr erfolglos versucht, dafür eine Genehmigung vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zu bekommen...

In der Umsetzung hätte das gegen das Bundesgesetz verstoßen. Dort steht nämlich immer noch: »Besitz und Erwerb ist strafbar«. Deshalb wollte der Bezirk Friedrichshain eine Ausnahmegenehmigung für die Coffeeshops beantragen. Bloß was passiert, wenn jemand dann dort etwas gekauft hat und später im ICE nach Leipzig oder nach Hannover von der Bundespolizei kontrolliert wird? Hat der dann ein Zertifikat dabei, dass er sein Zeug in diesem einen, legalen Laden gekauft hat?

Wie hoch wären denn die staatlichen Einnahmen, wenn Marihuana überall legal wäre?

Das ist schwer zu beziffern. Allerdings kostet auch das Verbot Geld - nämlich etwa 1,6 Milliarden Euro pro Jahr. Die fließen vor allem an Polizei und Justiz. Die meisten Volkswirte gehen außerdem davon aus, dass die medizinischen Kosten einer Substitution von Drogen höher sind als die einer Legalisierung.

Wohin flösse das Geld im Falle einer Legalisierung?

Es würde im Idealfall in das Gesundheits- und Sozialsystem gehen und jedenfalls nicht mehr für die Strafverfolgung ausgegeben werden.

Wie sollte eine Legalisierung von Haschisch in Deutschland vonstatten gehen?

Die sollte am besten über Cannabis-Vereine organisiert werden. In Belgien gibt es die bereits. Sie sind eine gute Alternative zu den Drogenfachgeschäften in den USA und den Coffeeshops in den Niederlanden.

Weshalb ausgerechnet dieses Modell?

Die Vereinsmeierei ist in Deutschland nicht so ungewöhnlich. Da gibt es dann eben einen Club mehr, der entsprechend der Zahl seiner Mitglieder eine bestimmte Menge von Pflanzen anbauen darf. So ließe sich zum Beispiel nur der Anbau von milden Sorten erlauben, damit die Droge keinen zu hohen THC-Gehalt hat.

Marihuana wird häufig als Einstiegsdroge gesehen, die zum Konsum harter Drogen, Kriminalität usw. führt. Eine Legalisierung würde diese Argumentation konterkarieren.

Das mit der Einstiegsdroge wirkt ohnehin nicht, weil alle immer davon ausgehen, dass sie ihren Konsum im Griff haben und das genau ihnen das alles nicht passiert. Diese Verteufelung verkennt auch die Gelegenheitskonsumenten, die um die dreißig sind und alle vier Wochen bei einer Party mal an einem Joint ziehen und deshalb noch lange nicht ihren Job schmeißen.

Wie lässt sich dem drohenden Abstieg eines Konsumenten besser vorbeugen?

Ich finde, in Deutschland müsste ein Schulfach eingeführt werden, das gewissermaßen Lebenstüchtigkeit vermittelt. Im Unterricht könnten dann gesunde Lebensweisen thematisiert werden. Dort könnte auch Suchtprävention stattfinden. Bestehende Präventionsprojekte könnten eingebunden werden.

Läuft die Präventionsarbeit bei anderen Drogen besser?

Nein. Wir haben zum Beispiel ein Crystalproblem. Denn die Droge ist viel gesellschaftskonformer als Marihuana; passt ganz gut in unsere Welt. Die meisten gehen davon aus, dass sie die Leistungsfähigkeit steigert, dass sie schneller und besser macht. Da müsste das Risikobewusstsein viel stärker werden.

Sollten auch solcherlei harte Drogen legal sein?

In meiner Zeit als Polizeibeamter habe ich Leute gesehen, die Crystal oder Heroin konsumiert haben. Denen habe ich immer gesagt: »Ihr seid verrückt!« Das Zeug ist so gefährlich, das kann man nicht legalisieren.

Aber?

Je gefährlicher die Droge ist, desto größer sind die Nebenwirkungen eines Verbots. Heroinkonsumenten zum Beispiel sterben nach Zwangsabstinenz, einer Überdosis, den Nebenwirkungen von Streckmitteln, an Aids oder Hepatitis. Sie sterben also an den Begleiterscheinungen der Illegalisierung. Deshalb müssen wir auch die Politik in Bezug auf harte Drogen grundsätzlich überdenken.

Inwiefern?

Für Crystal sollte es legale Alternativen geben. So ähnlich wie bei Heroin: Wer davon schwer abhängig ist, wird schon seit langem in Hilfsprogramme überführt. Die Junkies bekommen dann Diamorphin. Das ist eigentlich nichts anderes als reines, ungestrecktes Heroin.

Ist das nicht letztlich ein staatlich geförderter Raubbau am eigenen Körper?

Ich habe als Polizist erlebt, wie Leute sich verändern, die Teile eines solchen Programmes sind. Die also keine Streckmittel mehr mitkonsumieren und unter ärztlicher Aufsicht eine immer geringere Dosis nehmen. Ihre Lebenserwartung erhöht sich deutlich und oft verlassen sie komplett die kriminelle Szene.

Was ist mit Kokain - auch legalisieren?

Mit einer legalen, kontrollierten Verfügbarkeit von Kokain würde zum Beispiel der Bedarf an Crystal zurückgehen. Vielleicht würde sogar der Schwarzmarkt dafür komplett zusammenbrechen. Denn diese Drogen wirken ähnlich. Dann bräuchte es vielleicht gar keine Legalisierung von Crystal und anderen synthetischen Drogen mehr.

Würde durch eine nationale Legalisierung dieser Drogen nicht international der Schmuggel gefördert?

Deswegen fordern ja auch Leute wie Ban Ki-moon, Javier Solana oder Kofi Annan eine Änderung der internationalen Drogenpolitik. Die hätte insbesondere für Transitländer wie Mexiko und Brasilien erhebliche Auswirkungen.

Wenn gängige Drogen international legal wären, wer würde sie herstellen?

Man könnte ganz normalen Unternehmen für eine begrenzte Produktionsmenge eine Genehmigung erteilen. Bayer beispielsweise hat das Heroin erfunden. Es käme also quasi einer Art Rückführung gleich, denen die Produktion zu erlauben. Außerdem sind Pharmakonzerne im Vergleich zur Mafia recht kontrollierbar und regulierbar.

Sie sitzen im Bundestag, könnten Sie sagen, wie viele Parlamentarier illegale Drogen nehmen?

Schade, dass Sie nicht nach der Quote derer gefragt haben, die Alkohol und Zigaretten konsumieren. Dann hätte ich nämlich sagen können: 90 Prozent. Illegale Drogen nehmen fünf bis sechs Prozent der Mitglieder des Bundestages, schätze ich. Neben Crystal und Kokain kommt sicher auch der ein oder andere Joint vor.

Wie kommt es eigentlich, dass ausgerechnet ein ehemaliger Polizist wie Sie für die Legalisierung von Drogen eintritt?

Ich war drei Jahre in der Rauschgiftbekämpfung. Da hatte ich dann junge Leute vor mir sitzen, bei denen ein, zwei Gramm Cannabis gefunden worden war, oder die mit einem Joint erwischt worden waren. Allesamt normale Jugendliche, die irgendwo in die Lehre oder arbeiten gingen, sich vielleicht abends im Jugendclub oder so trafen. Die haben oft gesagt: Warum bekomme ich hier eine Strafanzeige und die anderen, die sich die Hucke vollsaufen, nicht?

Was haben Sie geantwortet?

Ich hatte immer nur ein Argument: »Es steht eben so im Gesetz.« Deshalb habe ich damals als Polizeibeamter schon gesagt: »Cannabis müsste legalisiert werden!«

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