Die autoritäre Gefahr
Ultimaten, Notstandsgerede, Stimmungspolitik: Seehofer und Gabriel besorgen mit ihrer Rhetorik auch das Geschäft von Pegida und Co. Die politischen Grundkoordinaten sind in Gefahr. Ein Kommentar
Wenn bei rechten Aufmärschen dazu aufgerufen wird, Politiker gewaltsam aus ihren Ämtern zu jagen, dann ist das auf seine Weise immer auch schon ein Echo - unter anderem der CSU-Strategie, sich als Rechtspartei dadurch zu profilieren, dass man sich von Angela Merkel nicht nur absetzt wie in der Vergangenheit. Aus dem Modus »Opposition in der Regierung« ist bei den Bayern ein neuer Modus geworden: Opposition zur Regierung.
Das ist deshalb nicht dasselbe wie bei Linkspartei und Grünen, weil die CSU über ihre Verbindung zur Union und ihre Beteiligung in der Koalition ganz anderes Gewicht hat. Jeder noch so rechtspopulistische Vorschlag, jede Drohung, jedes Ultimatum wiegen deshalb schwerer. Und was die Angelegenheit gefährlich macht: Leute wie Horst Seehofer sind leibhaftige Transmissionsriemen jener Pegida-Stimmung und AfD-Rhetorik, der organisierte Rechtspopulismus hat in der CSU so etwas wie einen parteipolitischen Arm. Und: Jede politische Nachricht wird binnen Stunden in ein »Argument« für mehr Überwachung, weniger Grundrechte verwandelt. Zugleich aber gibt es bei rechten Anschlägen, Hass-Straftaten und mit Blick auf organisierte Strukturen kaum Aufklärung oder Verurteilungen. Hunderte Nazi-Straftäter laufen frei herum.
Derzeit stricken die Christsozialen an der nächsten Volte: Per Ultimatum wird von der Bundesregierung, an der man selbst beteiligt ist, verlangt, die Grenzen der Bundesrepublik für Flüchtlinge dicht zu machen. Seehofer hat dieser Tage erneut mit einer Klage gegen die Koalition gedroht: »In den nächsten 14 Tagen werden wir die Bundesregierung schriftlich auffordern, an den Grenzen wieder rechtlich geordnete Verhältnisse herzustellen«, wird er in der Polit-Illustrierten »Spiegel« zitiert. »Wenn sie das nicht tut, wird der Staatsregierung gar nichts anderes übrig bleiben, als vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen.«
Andere CSU-Politiker äußerten sich ähnlich, verwiesen darauf, dass der EU-Gipfel im Februar eine europäische Lösung - gemeint ist: Abschottung der Festung Europa - bringen müsse. Andernfalls »muss die Bundesregierung nationale Maßnahmen ergreifen, um die Flüchtlingszahlen schnell und deutlich zu reduzieren«, so formuliert es der Unionsinnenpolitiker Stephan Mayer. Auch in der CDU findet der Grenzer-Block Anhänger. Der »Standard« zitiert den Bundestagsabgeordneten Christian von Stetten, der eine »vollständige grenzpolizeilichen Kontrolle und Registrierung aller Einreisenden« verlangt und jeden abweisen will, bei dem »keine offenkundigen, zwingenden humanitären Gründe für eine Einreise sprechen«.
Die Fraktion innerhalb der Union verweist gern auf ein Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Udo Di Fabio, der für die Staatsregierung in Bayern untersucht haben will, ob die Bundesregierung die Grenzen effektiv genug schütze oder nicht. Das Gutachten wird inzwischen von Juristen zerpflückt, sein Gehalt sei »erstaunlich dürftig. Dies gilt sowohl für die staatstheoretische Herleitung einer Pflicht des Bundes gegenüber den Ländern auf wirksame Einreisekontrollen als auch für die These, dass systemische Defizite des Schengen/Dublin-Systems zu Selbsthilfe- und Gegenmaßnahmen Deutschlands berechtigten«, heißt es in einer kritischen Analyse von Christoph Möllers und Jürgen Bast unter dem Titel: »Dem Freistaat zum Gefallen«.
Um staatsrechtliche Expertise geht es aber nur zu einem Teil, die CSU hätte gegebenenfalls wohl auch den Brief eines »besorgten Bürgers« für ausreichend gehalten, abermals ein Ultimatum an die Regierung zu stellen, an der sie selbst beteiligt ist. Die Aggressivität, die man auf den Plätzen von Dresden und anderswo gegen die Regierung erlebt, wird hier in Form und Inhalt zum politischen Kern des Gebarens eines Teils der Regierung. Wo Pegida nach der Mistgabel ruft, gießt Seehofer mit Ultimaten Öl ins Feuer. Es ist nicht lange her, da gefiel sich der Rechtsaußen darin, mit »Maßnahmen der Notwehr zur Begrenzung der Zuwanderung« zu drohen.
Was der Union der Seehofer ist, ist der SPD der Sigmar Gabriel. Dass der SPD-Vorsitzende nun mit der Rede von der »chaotischen Zuwanderung« (die AfD plakatiert seit Monaten gegen das »Asylchaos«) indirekt ebenfalls auf die populistische Forderung nach einer »Obergrenze« einschwenkt, ist dabei das eine. Das andere ist: Gabriel beteiligt sich ebenfalls an der Verschiebung der politischen Grundkoordinaten. Bei Gabriel funktioniert das etwas weniger drastisch, aber ebenso deutlich: Zwar stimme der Satz von Merkel, das Asylrecht kenne keine Obergrenze, sagt der SPD-Mann - um dann gleich hinterherzuschieben: »Aber in einer Demokratie entscheiden die Bürger. Und ich rate uns allen, diese Grenze, die das Land aufzunehmen in der Lage ist, nicht auszutesten.«
Darin liegen sowohl das von Seehofer auf strapazierte Moment des angeblich drohenden Notstandes, der dann - leider, leider - zu Maßnahmen zwinge, und sei es, Gesetze im Eiltempo durchzubringen, staatliche Gewalt mit Sonderrechten auszustatten und, spielt durchaus auch eine Rolle: klassenpolitische Fragen hinter dem Großdiskurs »Innere Sicherheit und Flüchtlingskrise« zum Verschwinden zu bringen.
Es liegt aber auch eine demokratiepolitische Volte darin: der Verweis auf eine Art direktdemokratische Über-Realität. Es ist schon richtig, dass in der Demokratie die Bürger entscheiden sollten. In Deutschland hat man sich für ein repräsentatives Modell entschieden, Merkel ist seit 2013 legitimiert, die SPD ist eine Große Koalition eingegangen. Was soll das also heißen: »Aber in einer Demokratie entscheiden die Bürger« - wobei das Wörtchen »aber« wohl das entscheidende ist?
Seehofer droht und stellt Ultimaten, Gabriel stellt die formale Legitimität des Kurses der Bundesregierung unter Verweis auf »die Bürger« in Abrede. Ein Magazin-Titel nach dem anderen lässt die »Stimmung kippen« und den »Staatsnotstand« ausrufen. Was kommt als nächstes?
Jedenfalls: Da kommt etwas sehr Bedrohliches immer schneller ins Rutschen. Durch das Notstands-Gerede sehen sich nicht nur jene legitimiert, die nun meinen, gegen die Politik Merkels, gegen Willkommenskultur und Geflüchtete sei dann womöglich auch Gewalt, Lynchjustiz und Bürgerwehr ein probates Mittel. Es beschleunigt auch die Verlagerung des politischen Moments von einer demokratischen Verfasstheit zu einer autoritären Verfasstheit.
Wenn es leider zur Normalität geworden ist, dass sich Politiker aus Regierungsparteien mit Vorschlägen überbieten, in denen Grundsätze des Rechtsstaates und der Verfassungsordnung für Firlefanz erklärt werden - Abschiebung ohne Prozess, Anwendung von asylrechtlichen Maßnahmen ohne gesetzliche Grundlage -, wenn Regierungsmitglieder selbst die rhetorische Zuspitzung betreiben, die in Begriffen wie »Chaos« wie naturgemäß zugleich auch Ruf nach einer Befriedung von oben ist, dann wird auch der Weg in autoritäre Ausnahmepolitik immer kürzer.
Ein Amalgam aus direktdemokratisch verkleideter Stimmungspolitik, polizeistaatlicher Befugnisausweitung und regierenden Demokraten, die ihrem Parlamentarismus selbst nicht mehr trauen, ist ein brandgefährliches Gemisch. Zumal: in Deutschland.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.