Ein Wochenende im Winter

Brennende Flüchtlingsheime, Hetze, AfD-Ähnlichkeitswettbewerb in der Politik: Warum jetzt der Aufstand der vielen nötig ist. Ein Gastbeitrag von Jan Korte

  • Lesedauer: 5 Min.

Jeden Tag wird mittlerweile eine Unterkunft für Menschen abgefackelt. In den sozialen Netzwerken kennt die Entmenschlichung und Barbarisierung der Sprache keine (Ober-)Grenzen mehr. Auf den Plätzen wird von Flüchtlingen als »Viehzeug« geredet, womit den Vernichtungsfantasien rhetorisch der Weg geebnet wird.

Der Hass auf die Schwächsten ist eingebettet in eine geifernde Ablehnung von demokratischen Mindeststandards: Gegen die Pressefreiheit, gegen die Ideen von Freiheit und Gleichheit und im Übrigen gegen die Akteure der parlamentarischen Demokratie. Neben den Flüchtlingen ist die Bundeskanzlerin dem abgrundtiefen Haß von Teilen der Gesellschaft ausgesetzt, die jedes Maß verloren haben.

Und das übrigens gegenüber einer konservativen Kanzlerin, die jede Verschärfung und Zerstörung der Reste des Asylrechts mitgemacht hat und mitmachen wird. Den Hass hat sie auf sich gezogen, weil sie sich der Verrohung zumindest der Sprache noch nicht hingegeben hat, weil sie lediglich festgestellt hat, dass ein Menschenrecht keine Obergrenzen kennen kann, weil es ansonsten kein Menschenrecht mehr wäre.

In dieser Situation müssten die relevanten Träger der Politik eigentlich an der Seite derer stehen, die jeden Tag Solidarität üben und der Entmenschlichung vor Ort entgegentreten. Was aber passiert? Es lohnt sich das vergangene Wochenende anzuschauen, um den ganzen Abgrund, auf den wir zusteuern, zu sehen: Bundesfinanzminister Schäuble will die EU-Außengrenzen »sichern«. Dafür will er, »dass wir eine Abgabe auf jeden Liter Benzin in einer bestimmten Höhe erheben«. Den Autofahrer in Deutschland wegen den Flüchtlingen zahlen lassen: Mehr Benzin kann man nicht mehr ins Feuer kippen. Und mit solchen Ideen liegt er voll im Trend. Egal wie groß das Feuer wird: Kein Vorschlag ist zu blöde und zu gefährlich, um nicht gemacht zu werden.

Aber damit nicht genug. An besagtem Wochenende gaben sie im AfD-Ähnlichkeitswettbewerb alles. Entgegen seiner realen Rolle raunte der SPD (!)-Vorsitzende Sigmar Gabriel bedeutungsschwer, er rate »uns allen, diese Grenze, die das Land aufzunehmen in der Lage ist, nicht auszutesten.« Was passiert eigentlich ansonsten? Dermaßen herausgefordert, will Unions-Rechtsaußen Horst Seehofer nicht zu lasch bleiben. Er formuliert – wie jede Woche – ein neues Ultimatum, um den Untergang des Staates abzuwenden: »In den nächsten 14 Tagen werden wir die Bundesregierung schriftlich auffordern, an den Grenzen wieder rechtlich geordnete Verhältnisse herzustellen.« Und sein ungeliebter, wie ein Untoter wandelnder, Eventuell-Nachfolger Söder macht sich Sorgen, ob der Bundestag eigentlich genug beteiligt wird an demokratischen Prozessen. Ein Uranliegen der CSU in den letzten Monaten.

Wer den Wettbewerb indessen am Wochenende gewonnen hat ist jetzt schon eindeutig. Allerdings ist keiner der Sprücheklopfer bei den Siegern. Der eigentliche Gewinner ist die AfD, ist das Ressentiment und ist die Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas. Vorausgesetzt, es gibt so etwas wie politische Verantwortung: Dann versagen die politischen Eliten – soweit man ihre Selbstzuschreibung einmal übernehmen will – heute so schlimm wie schon lange nicht mehr.

Dieses Land, dieses Europa steht jetzt, in diesem Jahr, an der Schwelle zwischen Abschottung, autoritärer Politik, Hass und der Zurückdrängung des Denkens auf der einen Seite, und der Verteidigung von Werten der Offenheit, der Solidarität und den Werten der Aufklärung auf der anderen. Menschenrechte, die Reste des Sozialstaates, ein Europa ohne Mauern oder die Selbstverständlichkeit, dass vor unserer Haustür keine Kinder ertrinken dürften, stehen zur Disposition.

Die wohl wichtigste gesellschaftspolitische Auseinandersetzung in diesem Land und in Europa ist vom Ausgang her offen. Die Machtfrage muss gestellt werden: Dazu brauchen wir alle, die sich täglich im Sinne von Solidarität oder Nächstenliebe engagieren; dazu gehören die, denen ein kalter Schauer über den Rücken läuft, wenn Menschen als »Viehzeug« bezeichnet werden; dazu gehören die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände, die qua ihrer Alltagsarbeit Mitgefühl mit Menschen haben; dazu gehören die, die in SGB-II-Leistungen gezwungen werden und trotzdem oder gerade deswegen mit denen solidarisch sind, die im wahrsten Sinne des Wortes wirklich alles verloren haben; dazu gehören auch jene, denen es gut geht, die aber nicht in einer Gesellschaft leben wollen, in den die Schwachen gegen die Schwächsten aufgehetzt werden; dazu zählen diejenigen, die jeden Tag in den sozialen Netzwerken Hasskommentaren entgegnen; dazu gehören die, die von ihrem Reichtum abgeben wollen, weil sie keine Gesellschaft wie in Ungarn wollen.

Und schließlich gehört dazu meine Partei, die sich mit ihren tausenden von Mitgliedern täglich der Verrohung entgegenstellt, die Fluchtursachen seit Jahren benennt und die eine Idee hat, wie diese Gesellschaft zusammen mit Flüchtlingen besser, gerechter und wohlhabender für alle werden kann. Dazu brauchen wir allerdings auch diejenigen in der SPD, die den Kurs ihres Parteivorsitzenden nicht mitgehen wollen. Und dazu gehören selbst die, die - entgegen der realen CDU-Politik - in Merkels Diktum »wir schaffen das« einen humanistischen Auftrag verstehen. Und nicht zuletzt gehören dazu die Medien, die natürlich Politik machen: Sie können mitentscheiden in welche Richtung diese Gesellschaft sich entwickelt.

Ja, der demokratische Sozialismus bleibt mein Ziel. Heute aber geht es um nicht mehr oder nicht weniger als die Verteidigung einer Gesellschaft, die extrem viele Fehler hat, die in den letzten Jahren im Sozialen und Demokratischen massiv beschädigt wurde. Aber diese Gesellschaft hat zumindest noch die Grundvoraussetzungen, verbessert zu werden, in eine Gesellschaft der Freien und Gleichen. Damit diese Möglichkeit auch in Zukunft noch besteht, müssen wir sie heute verteidigen. Dafür brauchen wir viele und wir können nicht sehr wählerisch sein.

Der große Demokrat und Kämpfer um des »Menschen Rechte« Fritz Bauer hat uns schon 1964 einen Auftrag formuliert: »Es ist ein Klima der Toleranz und Anerkennung erforderlich, aus der die Solidarität mit allem Menschlichen erwächst. Zu prüfen, wie es zu schaffen ist, ist des Schweißes aller Edlen wert.«

Jan Korte, Jahrgang 1977, ist stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag und sitzt im Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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