Sanders kämpft um einen New Deal

Der US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 bringt manch gängige Muster durcheinander

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Es ist kein Wahlkampf wie frühere Wahlkämpfe. Republikaner wie Demokraten in den USA sehen sich vor verblüffend Neues gestellt.

Kurz vor der ersten Vorwahl (1. Februar Iowa) im US-Präsidentschaftswahlkampf befinden sich Demokraten wie Republikaner in einer Lage, die sie sich zu Beginn der Kampagne vorigen Sommer nicht hätten träumen lassen. Mehrere Muster früherer Vorwahlkämpfe geraten durcheinander. Erstens: Das Gesetz amerikanischer Wahlkämpfe, wonach der Kandidat der Parteiführung und mit den größten Geldgebern siegt, scheint diesmal außer Kraft. Zweitens: Die Regel, dass sich Politrabauken spätestens nach der ersten TV-Debatte erledigen, gilt nicht mehr. Und: Sogar das Hauptgebot aller US-Wahlkämpfe, dass ein Kandidat, der siegen will, sich auf keinen Fall mit linken Ideen zeigen darf, scheint 2016 überholt zu sein.

Gewiss wird bis zum Wahltag am 8. November manch Unvorhersehbares passieren. Das gilt aber auch für Entwicklungen jenseits langjähriger Erfahrungswerte, so wie bisher schon. Beispiele: Bei den Republikanern führt mit Immobilienmilliardär und Hasardeur Donald Trump immer noch ein Mann, der seinen Vorsprung vor allem mit Hinweisen darauf behauptet, nichts mit dem Klüngel Washingtons zu tun zu haben, auf keine Spenden angewiesen zu sein und die USA kurz vorm Untergang zu sehen. Jeb Bush, Sohn und Bruder der Alt-Präsidenten George H.W. und George W., Liebling der Parteigranden und Empfänger der größten Spendengelder, ist in den Umfragen gerade wegen dieser Verbindungen seit Monaten abgeschlagen.

Bei den Demokraten schwächelt mit Hillary Clinton plötzlich erneut die Kandidatin, deren Trumpf ihre Erfahrung mit dem System Washington zu sein schien. Anders als vor acht Jahren in dieser Phase wird sie heute nicht von einem Greenhorn wie Obama, sondern einem angejahrten und wegen seiner Linkshaltung (»ich bin demokratischer Sozialist«) in den USA eigentlich unwählbaren Mann wie Bernie Sanders bedrängt. Die frühere Außenministerin bleibt trotz ihres Schwächeanfalls Favoritin auf die Nominierung. Doch die energische, ganz auf die Ungleichheit im Land gerichtete Klartextkampagne von Senator Sanders verleiht dem Duell jenes Feuer, das Clinton mit dem Riesentanker ihrer Organisation, Helfer und Dollarmillionen bisher nicht zu entfachen vermag. Ihr Umfragevorsprung in Iowa, lange 20 Prozent, ist fast hin. In New Hampshire, wo am 9. Februar die zweite Primary stattfindet, führt der Senator aus dem benachbarten Vermont sogar.

Die letzte TV-Debatte der Demokraten vor Iowa hat Sanders für sich entschieden, und dies nicht trotz, sondern wegen seines Bekenntnisses zu linken Ideen. Unabhängig davon, dass der »Sozialismus« des Sozialisten Sanders Sozialdemokratie bzw. New-Deal-Forderungen sind, bezieht das ungleiche Duell - hier eine etablierte Insiderin mit beispiellosen drei Milliarden Spendendollars für die Clinton-Stiftung und ihren Wahlkampf, da ein Senator, völlig neu auf nationaler Bühne - seine Spannung aus substanziellen Differenzen.

Während Clinton Washington und die Verquickung vor allem mit Wall-Street-Geld schlechthin verkörpert, hat Sanders seine Kampagne mit dem Elan von Basisaktivisten und vieler Kleinspender beflügelt. Während Clinton bisher »selbst unter Demokraten, die für sie sind, nur wenig Begeisterung auslöst«, wie der Chefkorrespondent der »Washington Post«, Dan Balz, schreibt, rackere Sanders ohne Wenn und Aber gegen die Allmacht von Big Money. »Das trägt ihm den Beifall des Fortschrittsflügels der Demokraten ein. Er hat die Frustration der Linken in eine potente Kraft gewandelt.«

Balz’ Kollege Eugene Robinson merkte an: »Wenn ein populistischer Milliardär mit der Mistgabel das Rennen in einer Partei bestimmt und ein selbsterklärter demokratischer Sozialist zunehmend Anklang in der anderen Partei findet, darf man getrost sagen, wir sind an einem Punkt, den es so noch nicht gab (…) Doch schauen wir auf Bernie Sanders und seine Botschaft. Bisher findet seine Kampagne stets kleinere Medienbeachtung, als sie verdient. Sanders’ Kernthema ist die Ungleichheit. In den letzten 40 Jahren, sagt er, haben Wall Street und die Milliardäre die Regeln geändert, um Geld und Einkommen noch mehr zum Wohl der Reichsten und Mächtigsten zu ordnen.«

»Anti-Status-quo-Kandidat« Sanders wartet mit Forderungen auf, die an Präsident Roosevelts New Deal erinnern. Sieben Punkte stechen hervor. Sie liefen tatsächlich auf jene »political revolution« hinaus, die Sanders für nötig hält. Stichpunktartig geht es darum: 1. Krankenversicherung auf staatlicher Basis für alle US-Bürger. 2. Wegfall der Studiengebühren an allen nichtprivaten Colleges und Universitäten. 3. Aufspaltung der größten Banken. 4. Höhere Steuern für Reiche und Großkonzerne, um neue Jobs zu schaffen und den nationalen Mindestlohn von 7,25 auf 15 Dollar pro Stunde anzuheben. 5. Gesetzlich gesicherter Schwangerschaftsurlaub. 6. Den elf Millionen in den USA lebenden illegalen Einwanderern Chancen auf Staatsbürgerschaft eröffnen. 7. Umweltsteuer für Firmen im Kampf gegen den Klimawandel.

Wie weit die Besonderheiten 2016 tragen, muss sich zeigen. Die zwei wichtigsten werden wohl über den Wahltag hinaus erinnert werden: Wut auf Washington und eng mit ihm Verbandelte lösen 2016 bei Wählern mehr Verdacht als Vertrauen aus. Und: Kandidaten, die - wie Clinton - vor allem »Weiter so« symbolisieren, wecken mehr Misstrauen als jene, die - wie Sanders - auf Veränderungen drängen und dafür sogar heilige amerikanische Kühe angehen.

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