US-Firma will Netz-Werbung revolutionieren
Mit dem neuen Internetbrowser »Brave« will der Unternehmer Brendan Eich die Schlacht um die Werbung beenden
Wer kennt das nicht? Man wollte nur mal eben eine Wetterprognose einholen, wähnt sich fast am Ziel. Doch dann öffnen sich erst einmal langsam bunte Werbeseiten, in einer Ecke des Bildschirms winkt blinkend der Jackpot mit einem Millionengewinn. Nervtötend!
Seit der Jahrtausendwende, dem Aufkommen des Web 2.0 und dessen fortschreitender Kommerzialisierung ist Werbung im Internet ein Milliardengeschäft. Mit zunehmendem Werbe-Beschuss der Netzkonsumenten wurden auch die Werbeblocker entwickelt. Millionen Netznutzer und Nutzerinnen installierten sich diese Zusatzprogramme, welche verhindern, dass Werbeseiten sich öffnen. Der Branchenführer Adblock Plus wurde nach Angaben des entwickelnden Unternehmens Eyeo mehr als 300 Millionen Mal heruntergeladen.
Unternehmer Brendan Eich: US-amerikanischer Programmierer, der durch seine Arbeit an den Browsern »Mozilla« und »Netscape« wesentlich an der heutigen Erscheinungsform des Internet mitgewirkt hat. Auch an der Entwicklung der omnipräsenten Skriptsprache »JavaScript« hat er mitgearbeitet. Nach einer Spende an eine schwulenfeindliche Kampagne und seiner Unterstützung von erzkonservativen Politikern geriet Eich stark in die öffentliche Kritik. So musste er 2014 als Firmenchef der Mozilla Corporation zurücktreten.
Cookies (zu deutsch:»Plätzchen«): Die Cookie-Technik erlaubt es einem Webseitenanbieter, Informationen auf dem Computer des Anwenders abzulegen. Er tut dies in Form kleiner Textdateien. Ruft der Nutzer dieselbe Webseite noch einmal auf, schickt er automatisch die in der Cookie-Datei gespeicherten Daten an den Server des Anbieters.
Tracker sind Programme, welche im Netz die Spuren der Anwender verfolgen. Sie registrieren Webseitenaufrufe der Nutzer und legen Profile über sie an. Sie speichern zum Beispiel, nach welchen Informationen Besucher gesucht haben. Mit der Hilfe von Trackern können Werbefirmen verschiedenen Zielgruppen speziell zugeschnittene Werbung zuspielen.
Permanente Nutzer-IDs ermöglichen, dass die Werbefirmen bei der Analyse des Nutzerverhaltens Rückschlüsse auf einen einzelnen Konsumenten ziehen können. Die Anonymität der Anwender ist passé. ker
Die Werbeblocker sind umstritten. Zum einen werden von den großen Adblockern nicht alle Werbebotschaften gleichermaßen blockiert. Nach Kriterien wie Größe, Ort der Platzierung auf dem Bildschirm und Aufdringlichkeit wird zwischen akzeptabler und nicht akzeptabler Werbung unterschieden. Firmen mit akzeptabler Werbung werden durchgelassen und dafür von den Werbeblocker-Firmen zur Kasse gebeten.
Viele Unternehmen, die auf ihren Seiten kostenlose Inhalte anbieten, hängen bekanntermaßen finanziell von der Platzierung von Werbung ab. Spätestens seit 2013 rüsten diese Unternehmen zur Gegenwehr - darunter auch Nachrichtenseiten wie Spiegel Online, Zeit Online und FAZ. Inzwischen wurden wiederum Programme entwickelt, welche die Werbeblocker selbst blocken.
Die »Bild«-Zeitung drehte im Oktober 2015 allen Benutzern von Adblockern den Hahn ab. Sie durften auf die Seiten von Bild.de nicht mehr zugreifen. Konzernchef Mathias Döpfner wetterte, »das ist eine Freibierkultur, mit der auf die Dauer guter Journalismus nicht zu finanzieren ist«. RTL, ProSieben, Sat.1, Zeit Online und Axel Springer versuchen zur Zeit, gerichtlich gegen Eyeo vorzugehen. Auch Spiegel Online hat letztes Jahr Klage gegen dieses Werbeblockerunternehmen eingereicht.
Die Konflikte um die Finanzierung des Internets - manche sprechen sogar von Krieg - möchte Brendan Eich mit der Entwicklung seines neuen Internetbrowsers »Brave« beenden. Beim Konsum kostenloser Angebote im Netz »fühlen sich viele meiner Zeitgenossen nicht gut, sie wollen keine unrechtmäßigen Trittbrettfahrer sein«, erklärt Eich auf der Homepage seiner Firma Brave. Mit seiner Software will er zwischen den Interessen von Nutzern, den Seitenanbietern und der Werbewirtschaft vermitteln und gleichzeitig die Schieflage der Internetfinanzierung korrigieren: »Fix the Web«, ist das Motto mit dem er vollmundig die Netznutzung revolutionieren will.
Eich verspricht, sein Programm blockiere herkömmliche Werbung sowie Cookies, Tracker und permanente User-IDs - die Instrumente also, die den Internetnutzer ausforschen und zum gläsernen Konsumenten machen. Dennoch muss sich auch »Brave« über Werbung finanzieren, wie das IT-Onlinemagazin Computerbase erklärt: »Brave will über einen Cloud-Dienst Daten aus dem Browserverlauf sammeln, die dann anonymisiert und kategorisiert an Werbetreibende gegeben werden sollen. Die Entwickler von «Brave» hoffen, auch mit diesen entpersonalisierten Daten Werbepartner finden zu können.« So will das Unternehmen eine riesige Schleuse zwischen Internetnutzern und Werbewirtschaft aufbauen.
Das zukünftige Geschäftsmodell sieht vor, dass »Brave« selbst erst einmal alle Werbeeinnahmen auf sich vereinnahmt. Von hier aus würden dann die Pfründe weiter verteilt. Das Magazin Forbes-Online hierzu: »Das Unternehmen ›Brave‹ will 55 Prozent der Werbeeinnahmen an die Webseitenbetreiber weitergeben. Von den restlichen 45 Prozent wird ›Brave‹ einen Teil selbst einbehalten, einen weiteren Teil an kooperierende Unternehmen zahlen. 15 Prozent der Werbeeinnahmen sollen an die Nutzer des Browsers weitergegeben und in Bitcoins ausgezahlt werden.« Bitcoins sind ein anonymes, aber für Laien kompliziertes Zahlungsmittel im Netz.
»Bevor Werbefirmen sich auf das neue Konzept einlassen könnten, müssten mindestens sieben Millionen Menschen die ›Brave-Software‹ bei sich installieren«, sagte Brendan Eich dem Technikblog Venturebeat in einem Interview. Auch wenn die PR zum neuen Browser offensichtlich gut anläuft - das Vorhaben ist ambitioniert.
Bislang hat sich kein faires Bezahlsystem für die Nutzung mühevoll erarbeiteter Informationen im Internet durchgesetzt. Kann der neue Browser hier zu einem Neustart und zur Befriedung des Interessenkonflikts beitragen? Es ist unwahrscheinlich. Denn auch »Brave« setzt auf Werbung und verkauft die Daten der Konsumenten und Konsumentinnen. Das Unternehmen verspricht zwar, Daten nur entpersonalisiert an die Werbewirtschaft weiterzugeben, doch wer kann das schon kontrollieren? Suspekt für alle Beteiligten muss auch der Gedanke der Zentralisierung sein, der dem Konzept innewohnt. Im Falle, dass sich der neue Browser durchsetzt, würden die Gestaltungsmöglichkeiten sowohl der Webseitenanbieter als auch der Werbeunternehmen vermutlich geringer. Sie müssten sich jeweils mit dem Browserdienst einigen, wären von ihm finanziell abhängig. Werden die Unternehmen sich das gefallen lassen? Oder werden sie wieder zur Gegenwehr rüsten?
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