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Links im multipolaren Kapitalismus
Die Linke muss ihre Außenpolitik verändern - jenseits von Kalter-Krieg-Denken und Fundamentalopposition. Ein Vorschlag
Putins brutaler Krieg gegen die Ukraine hat viele in der Linken kalt erwischt. Zwar ist sich die Partei einig in der Verurteilung des Angriffs und ihrer Ablehnung des Aufrüstungsprogramms der Bundesregierung. Aber darüber hinaus scheinen viele Fragen offen. Kein Wunder: Bereits die Bundestagswahl hat gezeigt, dass Die Linke nicht nur Kommunikationsprobleme bei Themen wie Klima und Migration hat. Sie hat auch ein konzeptionelles Defizit in ihrer Außenpolitik, das immer mehr zum Problem für die Partei selbst wird. Das Problem besteht darin, dass Positionen, die für Teile der Partei identitätsstiftend sind, inzwischen systematisch vom politischen Gegner genutzt werden können. Nicht nur um ihre Außenpolitik anzugreifen, sondern um eine Umsetzung linker Politik insgesamt zu blockieren.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine stellt die Linke vor neue Fragen. Die Linkspartei und die gesellschaftliche Linke überhaupt. Nato, EU, Uno, Russland, Waffenlieferungen, Sanktionen – dies sind einige Stichworte eines Nachdenkens über bisherige Gewissheiten und neue Herausforderungen. Wir beginnen eine Debatte über »Linke, Krieg und Frieden«, die uns lange Zeit begleiten wird.
Was schief läuft
Spaltungslinien in der Wählerschaft zeigen das Ausmaß des Problems. Schon vor Putins Krieg lehnte die Hälfte der eigenen Wähler*nnen die Forderung nach Auflösung der Nato ab. Außenpolitik sehen Linke-Wähler als den Bereich mit dem »geringsten Veränderungsbedarf«. Nur 19 Prozent sind laut einer Forsa-Umfrage grundsätzlich gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Dafür unterstützt die Mehrheit eine EU-Armee - die die Partei ebenfalls ablehnt. Dazu kommt: SPD- und Grüne-Wähler, die bereit sind die Linke zu wählen, geben deren Außenpolitik als größtes Hindernis dafür an. Angesichts von mehr als 1,1 Millionen ehemaligen Linke-Wählern, die bei der Bundestagswahl für SPD oder Grüne gestimmt haben, ist das keine Kleinigkeit. Zumal es keine Wählerwanderung in den Protest gab und Außenpolitik die öffentliche Debatte geprägt hat. Einige vom linken Flügel der Partei meinen zwar, diese hätte ihre außenpolitischen Positionen im Wahlkampf relativiert. Ein Blick in die Medien zeigt aber: In der Öffentlichkeit war unklar, ob ihr im Zweifelsfall nicht ein Nato-Austritt wichtiger ist als sozialer Fortschritt. Niemand dürfte Olaf Scholz gewählt haben, weil ihm/ihr die linke Kritik an der Nato zu lasch war. Die Enthaltung der Bundestagsfraktion bei der Afghanistan-Evakuierung hat zudem den Eindruck bestärkt, dass der Linken Dogmen wichtiger sind als Menschenleben. Wie sich diese Stimmung seit dem russischen Angriff auf die Ukraine (und den Fehleinschätzungen einiger prominenter GenossInnen) entwickelt hat, kann man sich vorstellen.
Verschärfend kommt hinzu, dass einige der bisherigen Formelkompromisse in der Partei der geopolitischen Entwicklung auch sachlich nicht Stand halten. Nur ein Beispiel: Ein »kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands«, wie es Die Linke als Alternative zur Nato in ihrem Wahlprogramm fordert, ist aktuell entweder illusorisch oder würde faktisch bedeuten, sich Putin auszuliefern. Mit den USA wird es so ein System nicht geben, ohne sie würde es – schon aufgrund der militärischen Kapazitäten Russlands – die bisherige US-Dominanz bloß durch eine russische Vorherrschaft ersetzen. Wer die Nato (zu Recht) überwinden will, muss sich nach einer besseren Alternative zu ihr umsehen.
Darauf zu setzen, die außenpolitischen Probleme in Zukunft durch bessere Kommunikation umgehen zu können, war schon vor dem Ukraine-Krieg riskant. Nun wäre es grob fahrlässig. Alle wissen inzwischen, dass Außenpolitik die linke Achillesferse ist. Es ist daher gut, dass Die Linke nicht bei ihrer traditionellen Ablehnung von Sanktionen geblieben ist. Eine linke Alternative zu Aufrüstung und Waffenexporten kann nicht aus leeren Appellen oder Hoffnungen auf eine »internationale Antikriegsbewegung von unten« bestehen. Sie muss praktischen Druck auf Putins Regime und seine Oligarchen ausüben. Doch selbst das wird nicht reichen.
Es braucht ein Konzept linker Außenpolitik, dass dem multipolaren Kapitalismus insgesamt angemessen ist. Wer Aufrüstung und Militarismus heute glaubwürdig etwas entgegen setzen will, benötigt einen linken Zugang zur Macht- und Geopolitik. Denn ein Politikwechsel ist ohne so ein Konzept gesellschaftlich schlicht nicht durchsetzbar. Im Niedergang der westlichen Weltordnung reicht es nicht, bei der Opposition gegen diese stehenzubleiben - und vor allem zu sagen, was alles nicht geht. Liebknecht-Zitate sind keine Antwort auf die Frage, wie wir Demokratie und Rechtsstaat heute verteidigen. Natürlich wird Fortschritt auch von Bewegungen auf der Straße und der Opposition im Parlament gemacht. Aber in Zeiten, in denen offen um die Zukunft gestritten wird, muss eine Partei ein glaubwürdiges Angebot für die Regierungsebene machen, wenn sie nicht am Rand stehen will. Und momentan kann Die Linke mit ihrer Außenpolitik kein Vertrauen in ihre Politikfähigkeit schaffen – trotz der offenen Krise der neoliberalen Weltordnung.
Historischer Kompromiss
Zugleich ist klar, dass eine Weiterentwicklung der linken Außenpolitik aus guten Gründen schwierig ist. Die »roten Haltelinien« (kein Eintritt in eine Regierung, die Kampfeinsätze der Bundeswehr auch nur »zulässt«) oder die Forderungen nach Auflösung der Nato sind mehr als sympathische Forderungen. Sie markieren für viele die zentrale Lehre aus dem rot-grünen Trauma, als nach 16 Jahren Kohl nicht der erhoffte Aufbruch kam, sondern Sozialabbau und Krieg. Kosovo und Afghanistan markierten die ersten Kriegseinsätze seit 1945. Viele Genoss*nnen haben sich in der Opposition gegen die militärische Absicherung des Neoliberalismus politisiert. Für einige verbürgen die außenpolitischen Maximalpositionen zudem eine symbolische Distanz zum westlichen Kapitalismus als Ganzes, die in der Realpolitik in Kommunen und Ländern oft nicht mehr feststellbar ist. Veränderungen der Außenpolitik verweisen daher implizit immer auf die Grundsatzfrage, welche Funktion Die Linke in der Gesellschaft einnehmen kann – und will.
Mir scheint hier eine ehrliche Bestandsaufnahme sinnvoll: Ein »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« liegt nicht in umsetzbarer Form vor. Zumindest nicht in der knappen Zeit, die uns bis zur Abwendung der planetaren Kipppunkte - Stichworte Klimakatastrophe und Artensterben - noch bleibt. Dafür werden die erreichten Fortschritte weltweit von autoritären Großmächten und reaktionären Bewegungen bedroht. Umso mehr, als die Verbreitung von Atomwaffen ohne eine regelbasierte Weltordnung zunehmen wird. Die Lage ist schlechter, als die radikale Linke sich selbst eingestehen will.
Es liegt daher nahe, bescheidener zu sein. Gerade stehen nicht große Schritte zum Sozialismus an, sondern die Durchsetzung eines neuen historischen (Klassen-)Kompromisses, der Demokratie und soziale Rechte vor Klimakatastrophe, autoritärer Formierung und gesellschaftlichem Zerfall rettet. Eine Linkspartei braucht es dafür, weil selbst dieses bescheidene Ziel heute hart erkämpft werden muss. Ohne einen sozialrebellischen Arm, der in die Breite der Gesellschaft wirkt und offensiv die Eigentumsfrage stellt, wird es – siehe Ampel-Koalition – keinen Green New Deal geben. Das Ergebnis wäre zwar selbst im Erfolgsfall nicht der Sozialismus, aber doch schon mal: Kein Weltuntergang. Es gäbe Schlimmeres. Denn alles muss man selber machen: Die Rettung der Welt vor dem Kapitalismus ohnehin, die Rettung der Welt im Kapitalismus aber leider auch. Auch wenn die Rettung hier immer nur vorläufig ist.
EU statt Nato
Wie könnte vor diesem Hintergrund ein glaubwürdiger Ansatz für die internationale Politik aussehen? Zum einen braucht es endlich eine Überwindung aller Doppelstandards in menschen- und völkerrechtlichen Fragen. Linker Internationalismus, da haben Caren Lay und Wulf Gallert recht, muss die Lebensverhältnisse von Menschen und nicht Interessen von Staaten als zentralen Bezugspunkt haben. Der Feind unseres Feindes ist nicht unser Freund. Das reicht aber nicht. Krisen verlangen Entscheidungen. Es braucht daher ein Ende der Formelkompromisse - und einen geopolitischen Paradigmenwechsel, für eine realistische Alternative zur Nato. Man wird sie in absehbarer Zeit nicht überwinden können, ohne die Autonomie der EU zu stärken. Statt auf ein »Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands« sollte Die Linke auf die Stärkung einer möglichst multilateral orientierten EU setzen. Diese müsste natürlich sozial-ökologisch umgebaut werden. Auch das wird kein Spaziergang. Aber im Gegensatz zur UN, der OSZE oder unklaren Sicherheitssystemen der Zukunft existieren hier bereits institutionelle Ansatzpunkte für eine Demokratisierung, wie das Europaparlament oder die europäische Bürgerinitiative.
Zudem wäre eine progressive Reform der EU ein echtes Bündnisprojekt. Europäische Souveränität ist - siehe Energiesicherheit & Klimaschutz - längst ein Thema für verschiedene Teile der Gesellschaft. Hier treffen sich das linke Anliegen der Verteidigung einer Zukunft für alle und die Interessen bestimmter Kapitalfraktionen, die auf Stabilisierung der EU durch deren sozial-ökologische Modernisierung zielen. Nur in den Bereichen Außenhandel, Wettbewerb und Währung ist die EU bisher handlungsfähig. Auf anderen Politikfeldern sind aufwendige Abstimmungsprozesse zwischen Mitgliedstaaten und EU-Institutionen erforderlich. Eine europäische Republik könnte hier als Gegenmodell zur Dauerblockade viele Freunde finden.
Natürlich kann man diesen Vorschlag in traditioneller Diktion als »EU-Imperialismus« abtun. Dann darf man sich aber fragen, ob eine Welt, in der die europäischen Nationalstaaten ihre Interessen auf eigene Faust verfolgen, ein besserer Ort wäre. Es spricht einiges dagegen. Insbesondere wenn man die fürchterliche Entscheidung, auf welcher Seite im kommenden Krieg zwischen den USA und China sich Europa stellen soll, zu recht vermeiden will. Eine Schwächung der EU würde die Tendenz zu einer neuen bipolaren Welt befördern, in der die USA und China zwei globale Lieferkettenblöcke anführen, die sich kriegerisch gegenüberstehen. Das würde Europa gerade in der Nato halten - und das wäre schlecht. Denn: Bleiben »wir« in der Nato, hängen wir - z.B. im Fall einer absehbaren Eskalation der Taiwan-Frage - mit drin. Der Ukraine-Krieg wäre dann wahrscheinlich nur ein Vorspiel noch monströserer Kriege. Wer »weder Washington noch Moskau (bzw Peking)« will, muss Brüssel stärken. Denn die UN sind als Alternative zur EU zwar sympathisch, doch bis auf weiteres blockiert. Positive Schritte zur Verrechtlichung der globalen Verhältnisse sind angesichts der Zustände im Sicherheitsrat völlig unwahrscheinlich. Dazu kommt: Jedes Recht braucht Geltungskraft. Die regelmäßige Missachtung des Völkerrechts durch alle Akteure, die sich das leisten können, zeigt: Auch die Ordnung eines progressiven Multilateralismus braucht Akteure, die ihn tragen.
Das ewige »Jein« zur EU, das sich in der Linken aktuell hinter der Formel »Neustart« verbirgt, ist nicht mehr tragbar. Die Bedrohung durch den autoritären Kapitalismus chinesischer bzw russischer Prägung und eine hochgerüstete USA, die im rasanten Tempo Richtung Autoritarismus taumeln, ist real. Daher könnte sich in der europäischen Frage entscheiden, ob ein demokratischer Entwicklungspfad überhaupt noch möglich ist. Ohne die EU ist ein Green New Deal im globalen Maßstab ausgeschlossen. Und bei allen autoritären Tendenzen in der EU selbst: Nur in ihr finden sich Steuerungskapazitäten wie Input-Kanäle, um innerhalb der nächsten 20 Jahre die nötige Transformation demokratisch ins Werk zu setzen. Diese rechtsstaatlichen Errungenschaften gering zu schätzen und z.B. so zu tun, als gebe es zwischen Europas Demokratien und der reaktionären Präsidialdiktatur Putins keine wesentlichen Unterschiede, ist zynisch. Äquidistanz ist hier tatsächlich keine linke Option, es gibt keinen goldenen Mittelweg zwischen Demokratie und Autoritarismus. Selbst in der Nacht des Neoliberalismus sind nicht alle Katzen grau.
Gleichwohl ist Kritik an der Politik in der EU nötig. Schon angesichts der tödlichen Abschottung verbietet sich jede Abfeierei, wie sie von liberaler Seite betrieben wird. Und »Europa als Idee« muss man aufgrund seiner kolonialen Geschichte keine Träne nachweinen. Wer retten will, was in Europa gut ist, der muss es grundsätzlich verändern. Aber der Präsident der Europäischen Linken, Heinz Bierbaum, hat recht: Gerade in Krisenzeiten entstehen Chancen für eine neue Politik. Gegen den sozial entkernten Liberalismus der Ampel sollte Die Linke für eine materielle Stärkung der EU eintreten. Stichworte dafür sind: sozial-ökologisches Investitionspaket, massive Ausweitung der Rechte des EU-Parlaments, Mindeststeuern auf Vermögen, Humanisierung der Flüchtlings- und Ende der Kürzungspolitik. Der vom französischen Präsidenten Macron ins Spiel gebrachte Aufbau eigener »strategischer Kapazitäten« könnte dabei an eine entsprechende Abrüstung auf nationaler Ebene gekoppelt werden, so dass Europäisierung nicht gleich Aufrüstung sein muss. Die Zusammenführung nationaler Streitkräfte in einen kooperativen Verbund mit Fokus auf Verteidigung würde auch einige Synergieeffekte freisetzen. Schädlicher als 27 nationale Armeen wäre eine EU-Armee auch nicht. Wenn sie als Ticket raus aus der Nato und ihren Kriegen dient, wäre sie zudem faktisch ein Schritt zur globalen Deeskalation.
Übrigens: Eine Fokussierung auf das urbane Milieu, wie bei Varoufakis Projekt DiEM 25, muss das strategische Primat einer sozial-ökologischen EU nicht heißen. Es stellt ja noch keinen Plan zur Mobilisierung dar, sondern den Schritt davor - die Zielbestimmung. Die Einbindung einer sozialkonservativen Ansprache dürfte sogar wichtig sein um dieses Ziel zu erreichen. Aber der Rückbau der EU zu einer »Konföderation souveräner Demokratien« (wie sie »Aufstehen«-Vordenker Wolfgang Streeck vorschwebt) und ihr Ausbau zur Republik Europa sind gegensätzliche Orientierungen, zwischen denen man sich entscheiden muss. Vieles spricht für die zweite Variante.
Mittelfristiges Ziel wäre eine EU, die sich unabhängig von der Blockkonfrontation zwischen den USA auf der einen und Russland/China auf der anderen Seite macht. Das ist nicht nur die Forderung linker Parteien in Osteuropa, wie der polnischen Razem. Es wäre auch kommunikativ eine völlig andere Ausgangslage. Dann könnte Die Linke tatsächlich eine dritte Position aufmachen und sich als linken Flügel des europäischen Projektes begreifen. So könnte sie den Ball glaubwürdig an SPD und Grünen zurück spielen. Sie kann dann deren Treue zu den USA kritisieren, statt über ihre vermeintliche Putin-Loyalität reden zu müssen. Diese dritte Position hätte zugleich mehr als wahltaktische Relevanz: Wenn wir das größte Sicherheitsprojekt der modernen Geschichte, die Rettung vor Klimakatastrophe und gesellschaftlichem Zerfall, nicht Großmächten überlassen, die für unterschiedliche Varianten des offenen Autoritarismus stehen, verbessert das die Chancen von Emanzipation weltweit. Für fortschrittliche Ansätze, wie im kurdischen Rojava, könnte ein Politikwechsel in der EU, der die Abhängigkeit vom Nato-Partner Türkei verringert, entscheidend sein.
Wirksame Friedenspolitik statt Haltelinien
Um den Antimilitarismus wirksamer zu machen, braucht es im multipolaren Kapitalismus einen neuen Modus - jenseits des Dogmatismus. Denn in einer komplexen Weltordnung, die nach der US-Hegemonie von konkurrierenden Imperialismen geprägt ist, sind Prinzipien nicht einfach in die Praxis zu übertragen. Schon die Diskussion über die Waffenlieferungen an die Kurden gegen den IS hat das gezeigt. Linke Politik braucht heute mehr als einen Kanon von No-Gos, nämlich eine situative Bestimmung von Interessen und Ansatzpunkten. Das heißt: Die Linkspartei könnte an ihren antimilitaristischen Forderungen fest halten. Aber sie sollte von einer dogmatischen Herangehensweise zu einem pragmatischen Modus übergehen – wie sie das bei anderen Themen, von Bürgerrechten über die Sozial- bis zur Klimapolitik, längst getan hat. Statt »Ganz oder gar nicht« hieße es dann »Je stärker Die Linke, desto friedlicher das Land«. Sie würde dann z.B. die prinzipielle Ablehnung von Bundeswehreinsätzen im Ausland nicht mehr zur Vorbedingung einer Regierungsbeteiligung machen, sondern über ihre konkreten Alternativen sprechen – und natürlich versuchen, so viel wie möglich durchzusetzen. Insgesamt bietet es sich an, nach vorne zu stellen, was hilft. Eine Einschränkung deutscher Rüstungsexporte würde dem Frieden wahrscheinlich mehr dienen als der Rückzug noch des letzten Bundeswehr-Soldaten aus UN-Einsätzen. Zudem ist sie eine populäre Forderung, auch jenseits linker Milieus.
Anderes Beispiel: Aufrüstung. Natürlich sind die 100-Milliarden-Sondervermögen ein absurde Subventionspaket für die Rüstungskonzerne. Die deutsche Sicherheitspolitik muss verändert, nicht kopflos aufgerüstet werden. Aber zum einem könnte hier durch Europäisierung und Fokussierung viel reingeholt werden. Würde die Bundeswehr auf Landesverteidigung und Nichtangriffsfähigkeit konzentriert, ließe sich bei fragwürdigen Out-of-Area-Einsätzen (wie in Mali) sowie durch das »Pooling« von Kapazitäten in der EU einiges sparen. Zum anderen könnte Die Linke der brachialen Rede von »Hard Power« seitens der Rüstungslobby ein Konzept von Smart Power entgegen stellen, um das finanzielle Primat des Militärischen zu überwinden. Der Slogan könnte sein: Defund the military! Ausgehend von einem weiten Begriff menschlicher Sicherheit ließen sich zivilgesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und militärische Fähigkeiten zu einem integrierten Ansatz von Sicherheitspolitik kombinieren. So könnten progressive Akteure und Interessen international unterstützt werden, ohne die Fehler der Nato-Interventionspolitik zu wiederholen. Wie viel Abrüstung konkret durchsetzbar ist, wäre dann eine Frage der linken Mobilisierungsfähigkeit.
Solch ein pragmatischer Antimilitarismus kann sich u.a. auf Bernie Sanders berufen, der hinsichtlich seiner außenpolitischen Positionierung ähnlich - mit Rücksicht auf die Kräfteverhältnisse - vorgeht. Der immer wieder schnell ins Spiel gebrachte Verratsvorwurf verbietet sich jedenfalls. Es geht nicht darum, Positionen zu räumen, sondern sie wirksam zu machen. Alle in der Linken wollen eine Abrüstung der Außenpolitik und eine De-Militarisierung der Gesellschaft. Zu Recht: Die Bilanz des Militärischen ist oft katastrophal. Die Linke muss aber strategisch bestimmen, welche Forderungen sie wie nach vorne stellt. Ein dogmatischer Bezug auf »rote Haltelinien« hilft dabei nicht. Entgegen der in Teilen der Linken verbreiteten Vorstellung nützt das Beharren auf außenpolitischen Maximalposition nicht der Linken - und ihr Dauer-Abo auf Opposition schadet nicht Nato-Strategen und Rüstungsindustrie. Im Gegenteil: der Bundestagswahlkampf hat gezeigt, dass linke Dogmen inzwischen systematisch dazu genutzt werden, um einen Politikwechsel im stärksten Land der EU zu blockieren – und dieses Scheitern dann der Linken in die Schuhe zu schieben. Die Gelegenheit dazu sollte Die Linke ihren Gegnern nicht noch einmal geben.
Ja, das bedeutet einen Schritt raus aus bisherigen Routinen. Einen historischen Kompromiss in der Gesellschaft erkämpfen zu können, würde insofern wohl einen historischen Kompromiss in der Linken selbst voraussetzen. Aber die Mühe dafür könnte sich lohnen. Denn er würde die Partei handlungsfähig machen und sie auf ein erreichbares Ziel hin orientieren. Das würde hinsichtlich ihres Gebrauchswertes mehr bringen als eine Linke in der ewigen Opposition, die sich machtpolitisch neutralisiert und damit auch als Bündnispartner von Gewerkschaften und Beschäftigten im sozial-ökologischen Umbau aus dem Spiel nimmt. Von ihrer friedenspolitischen Wirkungslosigkeit im Angesicht großer Kriegsgefahr ganz zu schweigen.
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