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Unerschrocken linksradikal
Zum Tode von Inge Viett
Klein, schlank, durchtrainiert, energisch: So wirkte Inge Viett auf mich, als ich sie am Rande der Rosa-Luxemburg-Konferenz der »jungen Welt« Anfang 2011 sah. Fast 67 war sie damals. Ihre Worte auf einer Podiumsdiskussion der Tagung gingen damals »viral«. Angesichts des lange vorher angekündigten Themas »Wege zum Kommunismus« waren die Medien lange vorher auf die Veranstaltung aufmerksam geworden. Was Viett dort sagte, hat angesichts immer lauter werdender Rufe nach einer direkten Beteiligung Deutschlands an der militärischen Verteidigung der Ukraine gegen die russische Invasion – und des gewaltigen Profits, den hiesige Rüstungskonzerne aus dem 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung ziehen – einige Aktualität: »Wenn Deutschland Krieg führt und als Anti-Kriegsaktion Bundeswehr-Ausrüstung abgefackelt wird, dann ist das eine legitime Aktion, wie auch Sabotage im Betrieb an Rüstungsgütern.« Das sorgte nicht nur für wütende Kommentare in der Presse, sondern auch für eine Anzeige wegen der Billigung von Straftaten und eine Geldstrafe von 1200 Euro.
Das mediale Interesse an dem daraus resultierenden kleinen Prozess war enorm. »Bizarrer Auftritt einer unbelehrbaren RAF-Rentnerin« betitelte damals Springers »Welt« ihren Gerichtsbericht. Tatsächlich hat Viett viele Jahre ihres Lebens im Gefängnis, auf der Flucht und im Untergrund verbracht. Ab 1968 gehörte sie zur Westberliner linksradikalen Szene. 1971 wurde sie von der linksterroristischen Bewegung 2. Juni angeworben, die Sabotageakte, Anschläge und Banküberfälle verübte und Gefangene der eigenen Gruppe und der Roten Armee Fraktion (RAF) befreite. Zu letzterer »wechselte« Viett 1980 in Paris. Dort kam es im selben Jahr zu jener Verfolgungsjagd auf dem Motorrad, an deren Ende sie in einer Garage auf den jungen Polizisten Francis Violleau schoss. Er war ihr auf den Fersen gewesen, weil sie keinen Helm trug. Violleau war von da an querschnittsgelähmt und starb im Jahr 2000 mit nur 54 Jahren an den Folgen der Verletzung.
Die Tat und das Schicksal des Polizisten haben Viett verfolgt. In ihrer 1997 erschienenen Autobiografie »Nie war ich furchtloser« schildert sie das Hadern mit sich selbst und mit dem Agieren der RAF. Gleichwohl hielt sie militantes Agieren für eine solidarische Gesellschaft als »Klassenkampf von unten« weiter für legitim – sofern sie eine Massenbasis habe. In ihrem Fall ist zumindest das »von unten« eine berechtigte Selbstzuschreibung, denn Viett wuchs als Pflegekind in düsteren, konservativen, von Gewalt geprägten Verhältnissen in einem Dorf bei Eckernförde in Schleswig-Holstein auf. Gegen die bedrückenden gesellschaftlichen Verhältnisse in der BRD begehrte sie früh auf.
Für die Schüsse auf Violleau wurde Viett 1992 zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. In Untersuchungshaft saß sie schon seit dem Sommer 1990, 1997 wurde sie entlassen. 1982 war Viett mit Hilfe des Ministeriums für Staatssicherheit in der DDR untergetaucht. Dort wurde sie 1990 von einer Nachbarin als gesuchte Terroristin der Polizei gemeldet, verhaftet und an die Bundesrepublik ausgeliefert.
Die Jahre in der DDR hat Inge Viett als die erfüllendsten ihres Lebens bezeichnet – ohne das Provinzielle, das in Teilen denunziatorische Klima und Demokratiedefizite kleinzureden. Zugleich schmerzte es sie, wie gering viele Bürger der DDR deren Errungenschaften und Werte wie Antifaschismus und Solidarität schätzten.
Am Montag ist Inge Viett im Alter von 78 Jahren gestorben, wie die Edition Nautilus am Dienstag mitteilte. In dem Verlag waren mehrere Bücher von ihr erschienen. Sie sind berührende Selbstbefragungen einer Frau, die ihr eigenes Handeln sehr kritisch beurteilte – und zugleich dafür plädiert, den ersten Sozialismus-Versuch auf deutschem Boden nicht in Bausch und Bogen zu verdammen, sondern aus den so gemachten Erfahrungen zu lernen.
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