Rückendeckung für Assange

UN erhöhen mit Entscheidung über »willkürliche Haft« Druck auf London und Stockholm

  • Harald Neuber
  • Lesedauer: 3 Min.
UN-Rechtsexperten haben die Botschaftszuflucht Julian Assanges in London als unrechtmäßige Haft eingestuft. Damit kommt neue Bewegung in den Fall.

Wieder einmal ist es dem Medienprofi Julian Assange gelungen, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er benötigte dafür gerade einen Dreizeiler. »Ich werde am Freitag die Inhaftierung durch die britische Polizei akzeptieren, wenn die UN gegen mich entscheiden«, gab der Mitbegründer der Enthüllungsplattform Wikileaks über den Kurznachrichtendienst Twitter am Donnerstag bekannt. Der beistehende Link führte zu einer ausführlicheren Erklärung.

Offenbar wusste der 44-jährige Australier bereits von der Entscheidung der UN-Arbeitsgruppe zum Thema willkürliche Inhaftierungen (WGAD) zu seinen Gunsten. Die Rechtsexperten stuften seine Botschaftszuflucht in London über dreieinhalb Jahre als Freiheitsberaubung ein, gab die WGAD am Freitag in Genf bekannt. Verantwortlich dafür seien die juristischen Aktionen Schwedens und Großbritanniens. Assange hatte bei dem Gremium im Jahr 2014 vorgebracht, dass er wegen seines von Großbritannien erzwungenen Exils in der ecuadorianischen Botschaft »auf unberechtigte Weise und auf einen unakzeptabel langen Zeitraum seiner Freiheit beraubt« worden sei.

Ob das neue Manöver Assange die Freiheit wiederbringt, ist unklar. Eines aber hat er sicher erreicht: Er ist wieder in den internationalen Medien. Das ist für den Internetaktivisten das Wichtigste: Im Gespräch bleiben, den Druck auf Großbritannien und Schweden aufrechterhalten.

Jeder Zug der einen oder anderen Seite ist Teil eines kleinen Kalten Krieges, der mit Assanges Flucht in die Botschaft des südamerikanisches Landes am 19. Juni 2012 begonnen hatte. Kurz zuvor hatte ein britisches Gericht seine Auslieferung nach Schweden erlaubt. Die dortige Justiz wirft ihm vor, sich im August 2010 an zwei Frauen sexuell vergangen zu haben. Der Beschuldigte bezeichnet diese Vergewaltigungsvorwürfe als konstruiert und sieht in der beantragten Auslieferung einen juristisch-politischen Winkelzug.

Er sollte zunächst nach Schweden und dann in die USA ausgeliefert werden. Die US-Justiz und die Regierung wollen des Internetaktivisten habhaft werden, weil er für die Veröffentlichung von Geheimdokumenten über die Kriege in Irak und Afghanistan verantwortlich gemacht wird. Die Enthüllungsplattform Wikileaks hatte insgesamt gut 250 000 geheime diplomatische Depeschen publiziert.

Assanges letzter Versuch, aus dem Hausarrest im Londoner Nobelstadtteil Knightsbridge zu entkommen, war im vergangenen Juli gescheitert. Damals hatte ein Stockholmer Gericht nach mehrstündigen Beratungen den Antrag von Assanges Anwälten Thomas Olsson und Per Samuelson abgelehnt, einen seit inzwischen fünf Jahren bestehenden Haftbefehl aufzuheben.

Bei der Anhörung in Stockholm ging es im Wesentlichen um zwei Fragen. Zum einen setzten Assanges Verteidiger darauf, den Haftbefehl angesichts des damals noch zweijährigen Zwangsaufenthaltes in der ecuadorianischen Botschaft in London als unverhältnismäßig anzufechten. Zum anderen argumentierten sie, dass Assange jederzeit auch in der diplomatischen Vertretung verhört werden könne. Beiden Argumenten schenkte das Gericht kein Gehör. Zugleich beharrte die britische Polizei auf Assanges Festnahme und die USA drohten möglichen Aufnahmestaaten wie Venezuela oder Russland mit Sanktionen, sollten sie Assange Zuflucht gewähren.

Nach Angaben des britischen Senders BBC ließ die Regierung in London bereits verlauten, dass das Urteil der UN-Juristen für sie »rechtlich nicht bindend« sei. »Wir haben immer wieder bekräftigt, dass sich Herr Assange nicht willkürlich in britischer Haft befindet, weil er sich aus freien Stücken der Strafverfolgung entzogen hat und in die ecuadorianische Botschaft geflüchtet ist«, sagte demnach ein Regierungssprecher. Großbritannien sei weiterhin verpflichtet, Assange nach Schweden auszuliefern.

Widerspruch kam umgehend von den Vereinten Nationen. Christophe Peschaux vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte bekräftigte am Donnerstag, dass die Entscheidungen der WGAD »zwar indirekt gefällt werden, dessen ungeachtet aber juristischen Charakter haben und bindend sind«. Es gibt also eine kleine Chance, dass wieder Bewegung in den Fall kommt. Schwedens Außenamtssprecherin Katarina Byrenius Roslund erkannte die Entscheidung der UN-Arbeitsgruppe am Donnerstag an.

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