Trumps großes Vorbild

Der ehemalige US-Präsident William McKinley machte militaristische Zollpolitik und imperialistisches Weltmachtstreben zum Modell der USA

  • Axel Berger
  • Lesedauer: 7 Min.
William McKinley, wie er um 1897 in der Zeitung liest, dass er der neue US-Präsident ist
William McKinley, wie er um 1897 in der Zeitung liest, dass er der neue US-Präsident ist

Bereits am ersten Tag machte der neue US-Präsident deutlich, dass er es ernst meint mit seiner reaktionären Wende in den USA. In 78 Dekreten, sogenannten Executive Orders, legte Donald Trump am 20. Januar seine Weichenstellungen für die kommenden Jahre fest. Von der Ausrufung des Notstands an der mexikanischen Grenze und den Austritten aus dem Pariser Klimaabkommen sowie der Weltgesundheitsorganisation über die Förderung fossiler Energien, umfassender Zollpolitik und die Aussetzung der US-Entwicklungshilfe bis hin zur Amnestierung aller seiner angeklagten oder verurteilen Anhänger*innen sowie der Anordnung, die Todesstrafe auf Bundesebene verstärkt anzuwenden: Kaum etwas blieb die neue US-Administration der extremen Rechten des Landes und der Oligarchie schuldig, die offen die vollständige politische Macht übernimmt.

Angesichts solcher Betriebsamkeit durfte natürlich auch ein bisschen nationalistische Symbolpolitik nicht fehlen. Und so widmete sich eines der Dekrete der zukünftigen »Wiederherstellung der Namen, die die amerikanische Größe ehren« sollten. Zwei der darin angekündigten Umbenennungen konnten offenbar nicht warten. Neben der Reklamierung des Golfs von Mexiko als »Golf von Amerika« verfügte Trump die umgehende Rückbenennung des in Alaska gelegenen höchsten Berges von Nordamerika, dem der damalige US-Präsident Barack Obama 2015 seinen ursprünglichen Namen Denali zurückgegeben hatte, in »Mount McKinley«.

Damit kehrte der für lange Zeit weitgehend in Vergessenheit geratene William McKinley, 25. US-Präsident, plötzlich aus der Rumpelkammer der Geschichte – in einer Befragung unter 150 US-Historikern aus dem vergangenen Jahr zur Bedeutung einzelner Präsidenten war er auf einem mittelmäßigen 24. Platz gelandet – zurück ins Rampenlicht. Ganz so überraschend kam dies allerdings nicht. Denn bereits im Wahlkampf hatte ihn Trump wiederholt als den »großartigsten Präsidenten« der US-Geschichte bezeichnet. Und dieses Idol scheint durchaus mit Bedacht gewählt zu sein, steht McKinley doch sowohl Pate für einen rigiden Protektionismus als auch eine rücksichtslose imperialistische Expansionspolitik.

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Superreiche an der Macht

Weniger schmeichelhaft hingegen hatte Mark Twain unmittelbar nach McKinleys Regierungszeit die Leistungen dieses »amerikanischen Helden«, wie Trump ihn nennt, bewertet. Direkt in die Hände »der Superreichen und ihrer Gefolgsleute« sei die Regierungsgewalt unter McKinley übergegangen. »Es gab kein Prinzip außer dem des Kommerzes, keinen Patriotismus außer dem des Geldes«, so der bekannte amerikanische Schriftsteller und zeitweise Vize-Präsident der amerikanischen Anti-Imperialistischen Liga.

Tatsächlich konnte sich McKinley, der ehemalige Postbeamte und Lehrer aus Ohio, bereits des Rückhalts der US-Bourgeoisie sicher sein, als er 1896 ins höchste Staatsamt gewählt wurde. Erstmals in der Geschichte des Landes hatte McKinley einen weitgehend professionellen Wahlkampf für das Präsidentschaftsamt führen können. Organisiert durch den umtriebigen Kohle- und Stahlmagnaten Mark Hanna und finanziert durch hunderte weitere Industrielle hatten 1400 angestellte Wahlkampfhelfer die Wähler im ganzen Land für den republikanischen Kandidaten und gegen seinen populistischen und anti-expansionistischen Gegner William Jennings Bryan mobilisieren können.

Dabei war der weitgehend uncharismatische McKinley, ehemaliger Gouverneur seines Heimatstaates, zu diesem Zeitpunkt ein fast unbeschriebenes Blatt. Lediglich die Durchsetzung von Einfuhrzöllen von durchschnittlich fast 50 Prozent hatte dem Senator aus Ohio 1890 für einen kurzen Moment zu etwas Berühmtheit verholfen. Die unter dem seit 1892 regierenden demokratischen Präsidenten Grover Cleveland einsetzende Wirtschaftskrise, auf die dieser mit einer Reduzierung der Zölle und der erstmaligen Einführung einer Einkommenssteuer für Gutverdienende von einem Prozent reagierte, machte McKinley allerdings zum Mann der Stunde für die herrschende Klasse. Und er hielt, was diese sich von ihm versprach: In einer seiner ersten Amtshandlungen wies er die Steuern auf Vermögen oder Einkommen, die von Gewerkschaften und Farmer-Verbänden vehement gefordert worden waren, ebenso zurück wie jegliche staatliche Einflussnahme auf die Wirtschaft und erhöhte mit dem Dingley Act die Importzölle auf durchschnittlich 52 Prozent – den höchsten Stand in der Geschichte der USA bis heute.

Der innere Zwang zur Expansion

Noch zentraler aber war die Wendung hin zu einer imperialen Politik der USA, die zur zweitstärksten Handelsnation nach England aufgestiegen waren. »Wir wollen einen ausländischen Markt für unsere Produkte«, hatte McKinley bereits in seinem Wahlkampf den unter einer klassischen Überproduktionskrise leidenden Unternehmern versprochen. Angesichts dessen, dass weniger als zehn Prozent der amerikanischen Waren in den Export gingen, war für die Unternehmerverbände die Eroberung ferner Absatzmärkte zunehmend zum Fixpunkt ihrer Forderungen geworden.

Die innere Expansion der USA durch die sich immer weiter nach Westen und Süden verschiebenden »Frontiers« – samt Völkermorden an den Ureinwohner*innen und erzwungenen Gebietsabtretungen seitens Mexiko – war zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen. 1890 hatte das US-Innenministerium festgestellt, dass es keine freien Räume oder territorialen Erweiterungsmöglichkeiten mehr gebe. Nun musste sich der Blick der Kapitalisten über den Tellerrand Nordamerikas richten. Ganz neu war das nicht: Zur »Sicherung amerikanischer Interessen« hatte es seit Mitte des 19. Jahrhunderts bereits eine ganze Reihe kleinerer militärischer Interventionen in Lateinamerika, im Pazifik und sogar an den Küsten Japans und Chinas gegeben. Insgesamt 103 dieser Auslandseinsätze führt das US-Außenministerium bis 1895 auf.

Nun aber sollte es um mehr gehen. Bereits in seiner Antrittsrede hatte McKinley »Jahre des Patriotismus« versprochen sowie seine Absicht formuliert, »die finanzielle Ehre des Landes ebenso heiligzuhalten wie die Ehre der Flagge«. Was das bedeuten würde, war allen Zeitgenoss*innen klar. »Der Geschmack des Imperiums liegt dem Volk auf der Zunge wie der Geschmack von Blut im Dschungel«, kommentierte die »Washington Post« durchaus wohlwollend die Stimmung innerhalb der Eliten und auch Teilen der Bevölkerung. Den Anlass zum Losschlagen schuf schließlich die Explosion auf der »USS Maine« im Februar 1898. In deren Folge sank jenes Kriegsschiff, das wegen des gegen die spanische Kolonialmacht gerichteten Aufstandes auf Kuba nach Havanna geschickt worden war. Auch wenn schon damals bezweifelt wurde, dass die Spanier dafür verantwortlich waren – 1976 stellte ein Untersuchungsausschuss schließlich fest, dass das Feuer im Innern des Schiffs ausgebrochen war –, gab dies den USA doch den Vorwand dafür, binnen weniger Monate den maroden Konkurrenten auf dem amerikanischen Kontinent vernichtend zu schlagen.

Für die symbolische Summe von 20 Millionen US-Dollar übernahmen die USA schließlich im Dezember 1898 die ehemaligen spanischen Kolonien Puerto Rico, Guam und die Philippinen, während Kuba zwar später in die Unabhängigkeit entlassen wurde, sich aber verpflichten musste, US-Interventionen zu akzeptieren, sollten »Leben, Eigentum oder persönliche Freiheitsrechte« von US-Bürgern oder -Unternehmen gefährdet sein. Ganz nebenbei hatten die USA auch Hawaii annektiert, das im Laufe der vorherigen Dekade von weißen Siedlern bereits zu einer Plantagenlandschaft umgewandelt worden war. Die USA waren zu einer Kolonialmacht geworden. In typisch kolonialherrlicher Manier würdigte McKinley dies als Werk, »um mit Gottes Gnade unser Bestes an unseren Mitmenschen zu tun«, wie er gegenüber einer Versammlung methodistischer Kirchenführer anführte.

Als »im Innersten verrottet« hat Mark Twain die einst »Große Republik« nach ihrem Übergang zum »Herumtrampeln auf den Hilflosen im Ausland« bezeichnet.

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Neokolonialmacht USA

Vor allem den Philippinen kam in den Planungen der US-Administration eine überragende Rolle zu. Denn hinter diesen lagen »Chinas grenzenlose Märkte«, wie der einflussreichste außenpolitische Stratege dieser Zeit, Senator Albert Beveridge, ausführlich darlegte. Das Reich der Mitte sei »der mächtigste kommerzielle Faktor in unserer Zukunft« und damit der Schlüssel der »gottgegebenen Berufung unserer Rasse« als »eines Treuhänders der Weltzivilisation«. Angesichts dieser Bedeutung zählten die 600 000 Opfer, die die Niederwerfung des Aufstandes in dem fernen Inselstaat durch fast 70 000 US-Soldaten kosten sollte, schon nicht mehr. »Die Senatoren dürfen nicht vergessen, dass wir es nicht mit Europäern oder Amerikanern zu tun haben«, impfte Beveridge einigen mit moralischen Skrupeln beladenen Kollegen im Senat ein. Den endgültigen Sieg in Fernost aber sollte sein Chef schon nicht mehr erleben. Nur elf Monate nach seiner Wiederwahl fiel McKinley am 14. September 1901 einem Attentat des Anarchisten Leon Czolgosz zum Opfer.

Als »im Innersten verrottet« hat Mark Twain die einst »Große Republik« nach ihrem Übergang zum »Herumtrampeln auf den Hilflosen im Ausland« bezeichnet. Mit etwas größerer analytischer Schärfe resümierte auf der anderen Seite des Atlantik Rosa Luxemburg die Entwicklungen, für die auch die »neueste Weltmacht« stehe. »Hat die Entwicklung (des Kapitalismus) einen bestimmten Höhepunkt erreicht, dann beginnen die Interessen der Bourgeoisie als Klasse und die der ökonomischen Evolution auch im kapitalistischen Sinne auseinanderzugehen«, schrieb sie in ihrer 1899 erschienen Schrift »Sozialreform oder Revolution?« Dies äußere sich »in den zwei wichtigsten Erscheinungen des heutigen sozialen Lebens: in der Zollpolitik und im Militarismus«. Ein Programm, das sich auch Donald Trump nur zu gerne zu eigen zu machen scheint.

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