Labour: Zurück zum Kahlschlag

Im Namen der Stabilität verfolgt die Labour-Regierung eine drastische Sparpolitik. Doch der Widerstand wächst

  • Peter Stäuber
  • Lesedauer: 4 Min.
Klare Prioritäten: Die britische Finanzministerin Rachel Reeves (Labour) will bei den Sozialausgaben, nicht aber bei der Aufrüstung sparen.
Klare Prioritäten: Die britische Finanzministerin Rachel Reeves (Labour) will bei den Sozialausgaben, nicht aber bei der Aufrüstung sparen.

Da sind sie wieder. Protestierende im Londoner Regierungsviertel halten Schilder hoch, auf denen sie ein Ende der Sparpolitik fordern, eine Besteuerung der Reichen, mehr Geld für Bedürftige. Man könnte denken, es sei das Jahr 2011, als sich in Großbritannien eine breite Basisbewegung gegen die Austeritätspolitik der damaligen Tory-Regierung formierte. Aber es sind Szenen von heute, und die Demonstrationen richten sich gegen die Labour-Regierung von Keir Starmer.

Seit dem Wahltriumph im Juli 2024 hat die Regierung zwar Schritte unternommen, um das Leben der Lohnabhängigen zu verbessern. Sie hat beispielsweise den Mindestlohn erhöht und die Rechte am Arbeitsplatz gestärkt. Aber gleichzeitig hat Finanzministerin Rachel Reeves zu einer dicken Axt gegriffen, um den Sozialstaat zu stutzen. Unter anderem hat sie Millionen von Rentnerinnen und Rentnern den Heizzuschuss entzogen, was laut einer Regierungsanalyse bis zu 100 000 Menschen in die Energiearmut stürzen könnte. Eine von den Torys eingeführte Beschränkung des Kindergeldes für arme Haushalte hat Labour beibehalten.

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Ende März ging Reeves noch einen großen Schritt weiter: Sie kündigte an, die Sozialausgaben bis 2030 um weitere fünf Milliarden Pfund pro Jahr zu beschneiden – unter anderem durch die Absenkung der Leistungen für Behinderte und Arbeitsunfähige. Analysen zufolge werden davon drei Millionen Haushalte betroffen sein, 250 000 Menschen werden in die relative Armut abrutschen, darunter 50 000 Kinder. »Wozu ist ein Labour-Abgeordneter gut, der für eine so grausame und kurzsichtige Politik stimmt?«, fragte der linke Labour-MP John McDonnell rhetorisch.

Für Rachel Reeves ist es ein Preis, der bezahlt werden muss. Ihr oberstes Ziel ist »die Stabilität der Wirtschaft«, wie sie bei der Vorstellung ihres Sparpakets sagte. Um diese zu erreichen, hat sich Labour ein steuerpolitisches Korsett angelegt, die sogenannten »Fiskal-Regeln«. Diesen zufolge muss die Staatsverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung innerhalb von fünf Jahren sinken, und die Steuereinnahmen müssen sich mit den laufenden Staatsausgaben (exklusive Kapitalinvestitionen) decken – im Klartext heißt das: Der Staat darf nicht zu viel Geld ausgeben. Dann, so die Kalkulation, werden Investitionen steigen, die Wirtschaft wachsen und der Staat genügend Steuern einnehmen, um die öffentlichen Dienstleistungen auf Vordermann zu bringen.

Seit Ende letzten Jahres jedoch sind die öffentlichen Finanzen zunehmend unter Druck gekommen: Die Zinsen für Staatsanleihen sind stark gestiegen, was bedeutet, dass der britische Fiskus mehr Geld ausgeben muss, um seine Schulden zu bedienen. So hat sich Reeves entschieden, bei den Sozialausgaben noch stärker zu sparen, damit die Regierung ihre Fiskalregeln nicht brechen muss.

Reeves steht vor einer Reihe von Problemen. Zum einen sind Ökonomen sehr skeptisch, ob sich das nötige Wachstum einstellen können wird. Das unabhängige »Office for Budget Responsibility« (OBR), das den britischen Haushalt genau im Auge behält, hat für 2025 ein Wachstum von ein Prozent prognostiziert – im Oktober war es noch von zwei Prozent ausgegangen. Für die nachfolgenden Jahre geht das OBR von einem etwas stärken Wachstum aus – aber es betont, dass die Aussichten »höchst unsicher« sind. Insbesondere eine protektionistische Wende in der US-Wirtschaftspolitik könnte einen dicken Strich durch Reeves’ Pläne machen.

Eine Vermögensteuer wäre populär. Aber die Labour-Führung fürchtet den Widerstand von Konzernen und wirtschaftlichem Establishment.

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Bereits Mitte März, noch bevor Trump mit seiner Zollpolitik den befürchteten Handelskrieg vom Zaun brach, drängten mehrere prominente Ökonomen die Regierung, ihre Schuldenvorgaben zu lockern. »In einer Welt, in der Unsicherheit vorherrscht, sollte man die Hand am Ruder etwas lockern und sich um die größeren Probleme kümmern – die Fiskalregeln zählen nicht dazu«, sagte der Volkswirt David Blanchflower, der früher bei der britischen Notenbank arbeitete. Aber selbst, nachdem Trump letzte Woche eine protektionistische Zollmauer errichtet hatte, wies die britische Regierung die Forderung nach einer Aufweichung der Schuldenregeln zurück.

Darüber hinaus stellen sich immer mehr Briten die Frage, warum ausgerechnet beim Sozialstaat gespart werden sollte? Warum nicht stattdessen die Steuern auf Großverdiener erhöhen? Oder eine Vermögensteuer einführen? Umfragen zeigen, dass die Öffentlichkeit eine solche Steuerpolitik in überwältigender Zahl unterstützen würde: 77 Prozent würden lieber die Reichen stärker besteuern, als die öffentlichen Ausgaben zu kürzen. 78 Prozent würden eine zweiprozentige jährliche Abgabe auf Vermögen über 10 Millionen Pfund begrüßen; laut Schätzungen könnten so 24 Milliarden Pfund eingenommen werden.

Dass die Labour-Führung sich trotz dieser Popularität um solche Maßnahmen drückt, liegt in erster Linie daran, dass sie Widerstand von den Konzernen und dem wirtschaftlichen Establishment befürchtet – also genau jene Interessengruppen, die Labour unter Keir Starmer seit Jahren hofiert.

Aber innerhalb der Labour-Fraktion wächst der Unmut über den sozialen Kahlschlag. Wenn das Unterhaus in einigen Wochen über die Abstriche beim Behindertengeld abstimmt, dürften mehrere Dutzend Labour-Abgeordnete dagegen rebellieren. Unterdessen wächst die Basisbewegung auf der Straße. Für Anfang Juni ist in London eine größere Anti-Austerity-Demo geplant – es dürfte die größte seit zehn Jahren werden.

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