So ein Theater

Gesine Schwan und Brian Eno machen Dank Yanis Varoufakis ein bisschen Hoffnung: Das paneuropäische, linke Projekt DiEM25 wurde in Berlin vorgestellt

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.

»Wenn die Parlamente zu Theatern werden«, sagt Miguel Crespo Urban von Podemos irgendwann an diesem Dienstagabend in der Volksbühne, müsse man eben »die Theater zu Parlamenten machen«. Daran gemessen, hätte das europäische Projekt »Democracy in Europa Movement 2025« in Berlin vor dem eigenen Anspruch versagt – keine Abstimmungen, nichts beschlossen, und anders als tagsüber in Arbeitsgruppen gab es am Abend auch keine Diskussionen.

Aber ist es wirklich das, was man von DiEM25 erwartet konnte? Erwarten wollte? Erwartet hat?

Schnell hat sich ein Lager der Unzufriedenheit in den sozialen Netzwerken und auf den Fluren der Volksbühne eingerichtet. Eine Bewegung, die von ein paar Prominenten gegründet wird? Das geht doch nicht. Ein Manifest, in dem das Wort »Kapitalismus« nur einmal auftaucht und der Begriff »Klasse« gar nicht? Das ist doch nicht links genug.

Stundenlanges Rezitieren politischer Forderungen? Sieht doch eher wie ein politischer Eurovision Contest aus. Aus fast jedem europäischen Land darf einmal jemand ans Mikro – nur die Punktevergabe fehlt. Und überhaupt: Ein Neuanfang, für den man eine Eintrittskartei lösen muss? Da klingt natürlich Lenins Diktum von den Deutschen in den Ohren, die, wenn sie einen Bahnhof stürmen wollen, sich erst einmal eine Bahnsteigkarte kaufen.

Es ist niemandem der Vorwurf zu machen, den Berliner DiEM-Abend genau so erlebt zu haben: als kleine Enttäuschung. In manchem Kommentar (einige sagten das baldige Ende der Bewegung noch vor deren Inauguration voraus) konnte man aber auch so etwas wie einen leninistischen Phantomschmerz erahnen: die Sehnsucht, dass da an einem Dienstag in Berlin Yanis Varoufakis persönlich Mitgliedskarten verteilt, die dazu berechtigen, sich am kommenden Morgen beim revolutionären Gebietskomitee zu melden.

Entschuldigung, das ist jetzt etwas überspitzt formuliert. Alle Regler auf Zimmerlautstärke könnte die Frage an die Kritiker so lauten: Was hattet ihr von anderen erwartet, das sie tun werden, damit eine Bewegung entsteht, die doch eine Angelegenheit von euch selbst sein müsste – nämlich: sich zu bewegen?

Die Volksbühne ist randvoll, wer keine Eintrittskarte mehr bekommen hat, kann sich vor Liveübertragungen hocken oder die DiEM-Sause als Public-Viewing-Event erleben. Geht so Politik, linke Politik zumal? Ja doch, verdammt. Es ist besser als jedes Attac-Plenum, als jedes Antifa-Koordinierungstreffen. Besser als jeder Parteitag ohnehin, schon weil die meisten hier besser reden können: ein melodramatisches Video zu Beginn, dann Varoufakis, Linke und Grüne aus Deutschland, Spanien, Dänemark, Portugal, Irland, Großbritannien, Kroatien. Sogar James K. Galbraith, der berühmte Ökonom, ist aus den USA zugeschaltet. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek hält die wohl kürzeste Rede seiner Karriere. Er spricht über die Sprengkraft einer einfachen Forderung – die wie ein roter Knopf funktioniert, den man drückt und alles gerät aus den Fugen. So geht es fast bis Mitternacht.

Und auch das ist wahr: Alle sagen, was alle, die gekommen sind, schon wissen. Dieses Europa dient nicht den Bedürfnissen einer Mehrheit. Die Entscheidungen werden von wenigen hinter verschlossenen Türen und nach Logiken gefällt, die mit dieser Mehrheit nicht viel zu tun haben. Die Institutionen sichern die Herrschaft ökonomischer Partikularinteressen ab.

Die Folgen: Krise, Armut, Konflikt, Aufstieg rechter Parteien, Nationalismus, vielleicht bald Schlimmeres. Die Alternative: ein Europa von unten, eines der sozialen und alltäglichen Auseinandersetzungen um Würde, Recht und Teilhabe. Eine neue Verfassung. Ein neuer Versuch. Die so sprechen, haben ihre Erfahrungen gemacht. Als Politiker, als Bürgermeister »rebellischer Städte«, als unabhängige Abgeordnete, als Aktivisten.

Und dann kommt Brian Eno. Was macht ein Weltklassemusiker an diesem Abend in der Volksbühne? Ein Mann, der mit David Bowie arbeitete und Coldplay produziert hat. Einer, der nun sagt: Er sei das letzte Mal vor 25 Jahren in Berlin gewesen, um etwas Ernsthaftes zu machen. DiEM ist also für ihn etwas wirklich Wichtiges. Warum?

Eno kommt auf die Band U2 zu sprechen, die er einst dabei begleitete, einen großen Schritt zu machen. Hin zu neuen Einflüssen, zu einem Stilwechsel. Das, was hier in der Volksbühne geschehe, sagt Eno, erinnere ihn daran: der Moment, in dem man einen Schritt zur Seite macht, in dem etwas beginnt, das man bisher nicht getan hat. Etwas, von dem niemand weiß, wie es ausgeht. »Lasst uns anfangen zu kochen. Das Rezept kommt später.«

Es ist vielleicht dieser Punkt, der zu einem wunden auf der noch so jungen DiEM-Haut geworden ist und an dem nun gekratzt und gerieben wird: Eine Hoffnung, die aus der Erfahrung eigener Schwäche und von Niederlagen gespeist ist, stößt mit Ratlosigkeit zusammen, die sich einstellt, weil man doch glaubt, alles schon einmal versucht zu haben, um die Welt zu ändern. Und: Hier wird Empathie in die Politik zurückspeist (Eno sagt, wir haben keine Antworten, aber wir haben starke Gefühle), doch diese gerät mit dem schon ziemlich abgekühlten Wissen darum in Widerspruch, dass dieser Versuch hier wohl auch scheitern wird.

Es sind dann, und das sollte man nicht als Merkwürdigkeit empfinden, ausgerechnet zwei deutsche Sozialdemokraten, die die DiEM-Vorstellung ein wenig auf den Boden der Tatsachen zurückholen.
Hans-Jürgen Urban von der IG Metall, der erstens darauf pocht, dass die angepeilte Demokratisierung nicht bloß die politische Form, die Institutionen und Verfahren erfassen darf, weil sie unvollendet bleiben wird, wenn nicht auch die Ökonomie von dieser Demokratisierung radikal ergriffen wird – was Fragen nach Eigentum und so fort aufwirft. Urban sagt zweitens, dass ein anderes Europa überall erkämpft werden muss, vor allem aber in Berlin – gegen das deutsche, auf Exportnationalismus gründende Hegemoniestreben.

Und weil das nicht nur eine Frage von Bürgermeetings in Theatern wird sein können, sondern auch eine der politischen Mehrheitsverhältnisse werden muss, kommt man auch am »alten System« der Parteien und Institutionen nicht vorbei. Man muss es verändern.

Die das sagt, wäre in der SPD vor ein paar Jahren noch auf dem rechten Flügel eingeordnet worden. Gesine Schwan steht nun da auf dieser Bühne, die Chefin der SPD-Grundwertekommission und Ex-Präsidentschaftskandidatin, sagt, dass sie bei DiEM nicht mitmachen werde – aber auf eine Partnerschaft der vielen hofft, die noch daran glauben, dass man etwas ändern kann. Weil sonst Furchtbares droht.

»Wer von Rechtsextremismus reden will, darf von Austerität nicht schweigen«, sagt Schwan in Anlehnung an Max Horkheimer. Und kritisiert dann die Politik ihrer Partei, besser gesagt: die der oberen Funktionäre. An der SPD-Basis, sagt Schwan, habe sie in der jüngeren Zeit niemanden getroffen, der den Kurs der Führung gutheißen würde.

Was Schwan macht, ist: ein bisschen Hoffnung. So wie DiEM25. Ist das wirklich zu wenig in diesen Zeiten?

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