- Politik
- Gaza-Krieg
Ringen um die Waffenruhe im Gazastreifen
Israels rechte Regierungskoalition hat die Wiederaufnahme der Kriegshandlungen im Blick
Mit Beginn des Fastenmonates Ramadan endete am vergangenen Samstag auch die erste Phase des Waffenstillstands im Gazastreifen. Die Bewohner von Rafah, Khan Junis und anderen Städten hatten zwischen den Trümmern ihrer Häuser lange Reihen von Tischen aufgestellt, um nach Sonnenuntergang gemeinsam das Fasten zu brechen, ein Ritual, das auf Arabisch »Iftar« heißt. »Viele meiner Verwandten und Freunde stehen nach der Rückkehr wortwörtlich vor dem Nichts«, sagt der Fotograf Omar Al-Qattaa aus Gaza-Stadt. »Die Tradition des Teilens im Ramadan hilft, die Solidarität untereinander zu stärken.«
Nach einer Woche relativer Ruhe und wieder gefüllter Lebensmittellager könnten die Iftar-Abende schon bald ausfallen. Denn wegen der Weigerung der Hamas-Führung, die erste Phase des Waffenstillstands zu verlängern, hat die israelische Regierung am vergangenen Wochenende die Hilfslieferungen in den Gazastreifen gestoppt. Nun soll auch noch die Stromversorgung abgestellt werden. Obwohl sich die Regierung von Benjamin Netanjahu im Januar auf einen in drei Phasen geteilten Waffenstillstand geeinigt hatte, droht dieser nun bereits bei dem ersten Härtetest zu scheitern.
Bruch der Waffenruhe
Während in Kairo in der letzten Woche der für Phase zwei vorgesehene vollständige Abzug der israelischen Armee und die Freilassung aller Geiseln verhandelt wurde, kündigte Israels Premier Netanjahu an, den aktuellen Status quo verlängern zu wollen. »Mit Phase zwei hätte Netanjahu auch dem endgültigen Ende des Krieges zustimmen müssen«, sagt Mustafa Barghuti aus Ramallah. Der palästinensische Politiker und Bürgerrechtler gilt als durchaus Hamas-kritisch, sieht aber Netanjahus Ankündigung wie auch die Hamas als Bruch der von Katar, Ägypten und den USA vermittelten Waffenruhe.
»Netanjahu muss die ultrarechten Parteien seiner Regierungskoalition zufriedenstellen«, so Barghuti. Die Ultranationalisten pochen weiterhin auf die völlige Zerschlagung der Hamas, diese will ein sofortiges Ende des Krieges.
Vorschlag des US-Sondergesandten
Nach den auch im israelischen Fernsehen live übertragenen Übergabezeremonien der israelischen Geiseln vor zahlreichen Hamas-Milizionären fordern Finanzminister Bezalel Smotrich und andere ganz offen die Umsiedlung der Palästinenser ins Exil. An eine Zerschlagung der Hamas-Strukturen glauben auch sie nicht mehr.
Der US-Sondergesandte für den Nahen Osten, Steve Witkoff, versucht, die Rückkehr der Gewalt zu verhindern. Sein Kompromissvorschlag sieht die Verlängerung der Waffenruhe über den vierwöchigen Fastenmonat und das jüdische Pessach-Fest bis zum 20. April vor. Danach dürfte die israelische Armee die Angriffe wieder aufnehmen. Am ersten Tag des Inkrafttretens von Witkoffs Kompromissvorschlag soll die Hälfte aller israelischen Geiseln im Austausch für inhaftierte Palästinenser freikommen.
»Mit Phase zwei hätte Netanjahu auch dem endgültigen Ende des Krieges zustimmen müssen.«
Mustafa Barghuti Palästinensischer Politiker
Mit der am Freitag von der US-Regierung angekündigten neuen Waffenlieferung im Wert von drei Milliarden Dollar an Israel gelten die USA endgültig nicht mehr als neutraler Makler, sondern als Unterstützer des regionalen Hegemonieanspruchs von Benjamin Netanjahu. Dieser wirbt für eine Art Sicherheitszone rund um Israel, die bis in den Irak reichen soll.
Verteidigungsminister Israel Katz warnte, die israelische Armee werde keinerlei militärische Präsenz der islamistischen Milizenallianz Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) im Süden des benachbarten Syrien akzeptieren. Die dort lebenden drusischen Stämme haben offenbar ein Bündnis mit Israel, das ihnen Schutz vor den Islamisten in Damaskus gewähren soll. Ahmad Al-Scharaa, syrischer Übergangspräsident und vormals Anführer der HTS-Miliz, die Ende letzten Jahres Langzeitherrscher Baschar Al-Assad gestürzt hatte, äußerte sich bisher nicht dazu.
Konflikt im Libanon
Er gab aber den Befehl, den von Drusen kontrollierten Vorort im Süden von Damaskus, Dscharamana, einzunehmen. Während der Kämpfe am vergangenen Wochenende flogen laut Augenzeugenberichten israelische Kampfflugzeuge am Himmel. »Wir werden Dscharamana verteidigen«, wird Katz von mehreren israelischen Medien zitiert.
Im nördlich gelegenen Libanon hat die israelische Armee mithilfe von fünf Militärstützpunkten Teile des Nachbarlandes besetzt.
»Netanjahu hat keinen Friedensplan«
»Eine Rückkehr der Gewalt in Gaza könnte zu ernsthaften Spannungen im Libanon, Jordanien und Syrien führen«, so der politische Analyst Ori Goldberg aus Tel Aviv, »trotz der Protest-Verbote der Regierungen. Netanjahu hat keinen Friedensplan, er setzt ausschließlich auf militärische Stärke. Doch die israelische Armee kann derzeit nicht mehr an mehreren Orten gleichzeitig eingreifen«.
Laut dem katarischen Nachrichtensender Al-Jazeera will seine Regierung 400 000 Reservisten mobilisieren. 2025 werde das Jahr des Krieges, zitiert der in Israel verbotene Sender Regierungsmitarbeiter.
Provokationen gegen das Abkommen
Eigentlich überwog auf palästinensischer und israelischer Seite bisher vorsichtiger Optimismus, dass der bisher recht reibungslos verlaufene Austausch von Geiseln und Gefangenen weitergehen wird. Ori Goldberg glaubt, dass es trotz des öffentlichen Säbelrasselns immer noch im Interesse von Netanjahu und der Hamas liege, die Waffenruhe fortzuführen.
Doch die in Kairo weiterlaufenden Gespräche werden auch von radikalen Siedlern aus dem besetzten Westjordanland torpediert. Fast täglich attackieren sie palästinensische Dörfer, 500 Siedler stürmten am Wochenende das Gelände der Al-Aqsa-Moschee, drittheiligste Stätte des Islam. Der Zeitpunkt ist nicht zufällig gewählt. Das in Ostjerusalem liegende Gelände wurde in den letzten Jahren immer wieder für Provokationen genutzt. Dort wurde am Wochenende in Sprechchören wiederholt, was Netanjahu nach der Ankündigung von US-Außenminister Marco Rubio als Kriegsziel formulierte. Rubio hatte die Beschleunigung der US-Militärhilfe in Höhe von vier Milliarden Dollar an Israel versprochen. »Schluss mit Irans Terrorachse«, skandierte die Menge.
»Missbrauch humanitärer Hilfe«
Im Gazastreifen machen sich die Menschen derweil Sorgen über die Knappheit an Lebensmitteln wie vor Beginn der Waffenruhe am 19. Januar. Über eine halbe Million Rückkehrer sind vor allem in Gaza-Stadt und dem nördlichen Teil des 41 Kilometer langen Gebiets von internationaler Hilfe abhängig. Mohammad Abdullah, der für eine internationale Hilfsorganisation arbeitet, schätzt, die angelegten Vorräte würden für wenige Tage reichen. »Der Missbrauch der humanitären Hilfe als politisches Druckmittel ist schon lange Normalität. Bisher wurden auch nur ganze 15 von 60 000 an der Grenze bereitstehenden mobilen Häuser nach Gaza hineingelassen.«
Abdullah ist wie viele überzeugt, dass der eigentliche Zweck der Blockade nicht mit dem Waffenstillstand zu tun hat. »Die Radikalen um Netanjahu wollen den Durchhaltewillen der Palästinenser schwächen.« Doch noch scheint dieser ungebrochen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.