Die italienische Lehre ernst nehmen
Ist Rot-Rot-Grün als Bündnis gegen Rechts die Option der Stunde? Nein, sagt Janis Ehling - und verweist auf Erfahrungen anderer. Ein Debattenbeitrag
Der bundesweite Aufstieg der AfD führt zu einem Revival der Debatten um Rot-Rot-Grün (R2G) in der Linken. Mit unterschiedlichen Akzenten argumentieren Klaus Ernst in der Frankfurter Rundschau, Petra Sitte, Jan Korte, Olaf Miemiec, Harald Pätzolt und Tobias Schulze sowie Dominic Heilig und Luise Neuhaus-Wartenberg in »neues deutschland« für ein Bündnis gegen Rechts auf Regierungsebene. Ein solches Bündnis ist augenblicklich keine Option, meint Janis Ehling.
Rot-Rot-Grün gegen Rechts?
Die Beiträge von Klaus Ernst, Dominic Heilig und Luise Neuhaus-Wartenberg wirken neben ihrer Forderung nach R2G als Antwort auf die AfD seltsam inhaltsleer. Als gemeinsamen Nenner für ein solches Bündnis wollen alle drei einen Politikwechsel auf europäischer Ebene zur Rettung des europäischen Sozialstaats. Wie dieser Politikwechsel aber aussehen soll, und wie und warum das gegen Rechts helfen soll, erklären sie nicht.
Petra Sitte, Jan Korte, Olaf Miemiec, Harald Pätzolt und Tobias Schulze werden in ihrem Beitrag konkreter. Sie identifizieren als Ursachen des Rechtstrends den Abstieg der Mittelschicht und Ängste vor Konkurrenz zwischen Flüchtlingen und Teilen der Unterklassen. Sie regen daher ein gewaltiges Investitionsprogramm für eine soziale Modernisierung der Gesellschaft an. Diese Politik solle den Abstieg der Mittelschichten stoppen und der Konkurrenz um Wohnungen und Arbeitsplätzen einen Riegel vorschieben. Sie schlagen damit letztlich eine klassisch sozialdemokratische Politik gegen Rechts vor. Das klingt soweit plausibel, denn der Aufstieg des europäischen Rechtspopulismus fällt zeitlich wohl nicht zufällig mit dem neoliberalen Schwenk der Sozialdemokratie zusammen. Gesine Schwan (SPD) sagte dazu treffend: »Wer von Rechtsextremismus reden will, darf von Austerität nicht schweigen.«
In Zeiten der Schuldenbremse kann die Regierung aber nicht klassisch keynesianisch Kredite aufnehmen, sondern müsste ihre Einnahmen drastisch erhöhen. Ein solches soziales Anti-Rechts-Bündnis steht und fällt deswegen mit einer anderen Einnahmenpolitik. Darauf haben Bernd Riexinger sowie Joachim Bischoff und Björn Radke in ihren Beiträgen treffend hingewiesen.
Einer anderen Steuerpolitik, um Reiche und Konzerne zu stärker zu besteuern, haben die Spitzen von SPD und Grünen aber immer wieder eine Absage erteilt. Ein Politikwechsel, die Verteidigung oder sogar der Ausbau des Sozialstaats sind derzeit mit R2G nicht durchsetzbar. Das ist den Beteiligten auch klar, sonst klaffte in ihren Texten nicht so eine inhaltliche Lücke. Dennoch plädieren Heilig/Wartenberg für R2G auch ohne einen Politikwechsel. Das wird durch ihren Verweis auf den »historischen Kompromiss« als Vorbild deutlich. Nur erklären sie nicht, was das eigentlich ist.
Die italienischen Erfahrungen mit Anti-Rechts-Regierungen
Zur Erinnerung, der »historische Kompromiss« bezeichnete eine spezifische Situation in Italien. Die Kommunistische Partei Italiens (KPI) tolerierte Ende der 1970er angesichts der innenpolitischen Spannungen eine Regierung der Christdemokraten, weil keine Mehrheit zustande kam. Die Christdemokraten führten in ihrer Regierung einige sehr unpopuläre Maßnahmen durch, die wir heute als neoliberal bezeichnen würden und die KPI trug sie mit. Der »historische Kompromiss« bezeichnet also keinen Politikwechsel, sondern ein Agreement mit dem neoliberalen »Weiter so«.
Das Ergebnis dieser Politik war damals verheerend. Der »historische Kompromiss« war der Anfang vom Ende der größten Linkspartei, die es bis dato in der westlichen Welt gegeben hat. Der Initiator des Kompromisses, Enrico Berlinguer, stufte diese Politik im Nachhinein auch als schweren Fehler ein und rückte davon ab. Als historisches Vorbild für R2G gegen Rechts taugen die italienischen Erfahrungen daher nicht. Das zeigte sich in den 1990ern und 2000ern noch deutlicher:
Italien hatte zu der Zeit mit Berlusconi den Prototypen eines Vertreters des heutigen Rechtspopulismus. Und auch damals gab es in Italien die Diskussion, um eine Mitte-Links-Regierung, um Berlusconi zu verhindern. Die italienische Schwesterpartei der LINKEN, die Rifondazione Communista (RC), bildete 1996 daraufhin eine solche Regierung unter Prodi als Präsident mit. Diese Anti-Rechts-Regierung änderte aber nichts an Berlusconis neoliberaler Politik – im Gegenteil: Mitte-Links setzte einige neoliberale Reformen durch. Das Ergebnis war niederschmetternd: Die Regierung endete mit dem Ausstieg der Rifondazione aus der Regierung und der Parteispaltung der Rifondazione. Berlusconi regierte einige Jahre später erneut. 2006 gab es weitere Auflage dieses Anti-Rechts-Bündnis, wieder unter Prodi, wieder gegen Berlusconi – mit demselben Ergebnis: Wieder gab es keinen linken Politikwechsel. Nach zwei Jahren scheiterte die Koalition und erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg saß kein Kommunist mehr im Parlament. Berlusconi gewann die Wahl und regierte erneut für drei Jahre.
Mindestens vier weitere Jahre Opposition
Diese italienischen Erfahrungen sollten wir ernst nehmen. Die Mindestbedingung für ein erfolgreiches Anti-Rechts-Bündnis muss ein grundlegender Bruch mit dem Neoliberalismus sein.
Eine solche Regierung müsste viele Menschen mit klaren Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen überzeugen. Das Beispiel Italiens zeigt, dass eine Mitte-Links-Regierung ohne progressive Politik die gesellschaftliche Linke sogar auf Jahre lähmen und den Aufstieg der Rechten befördern kann.
Ein möglicher Politikwechsel wird in Deutschland außerdem durch die Schuldenbremse blockiert. Auf der Bundes- und Landesebene greift die Schuldenbremse bis spätestens 2020 komplett. Das bedeutet, dass jede Regierung zum Sparen gezwungen ist, sofern sie keine verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit hat. Ob eine sozialere Gestaltung dieser Kürzungspolitik – wie etwa der Kreisgebietsreformen in Brandenburg und Thüringen bei den Menschen besser ankommen wird, darf angesichts der Wahrnehmung bisheriger linker Regierungsbeteiligungen bezweifelt werden. Denn die Menschen schreiben die schlechtere Versorgung im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich eher der Regierung zu als den strukturellen Zwängen. Diese Erkenntnis legen jedenfalls die wissenschaftlichen Auswertungen linker Regierungsbeteiligungen nahe.
Was bedeutet diese Ausgangslage für die LINKE? Wir sollten ehrlich sein und uns auf mindestens vier weitere Jahre Opposition im Bund einstellen und wären gut beraten, das in den Ländern auch zu tun.
Diese Erkenntnis sollte die Ausgangsposition linker Strategiedebatten um die Frage nach Gesellschaftsveränderung und dem Kampf gegen Rechts sein. Dabei sollten die konkreten Handlungsmöglichkeiten als Partei oder gesellschaftliche Linke im Vordergrund stehen. Davon war in den eingangs genannten Beiträgen aber wenig zu lesen.
Was können wir wirklich beeinflussen?
Die bislang vorgeschlagenen Projekte sind entweder Regierungsprojekte und damit komplett abhängig von SPD und Grünen oder eher nebulöse Verweise von Korte/Sitte auf Projekte des Nichtkapitalismus wie IT und Netzbasierte Ökonomie. Ergänzend ließe sich noch bemerken, dass der linke Parteiflügel meist ebenso hilflos auf Gewerkschaften und Bewegungen als Hoffnungsträger verweist oder über eine alternative Außenpolitik streitet (ohne Aussicht auf Realisierungschancen).
Wenn wir also mit einem Finger auf die anderen zeigen, die es richten sollen, zeigen doch vier Finger auf uns. Was können wir als Partei eigentlich tun? Wenn wir ehrlich sind, viel zu wenig: Die LINKE ist eine schrumpfende Partei. Das liegt aber nicht nur an der Überalterung. Im Osten treten zum Beispiel mehr Mitglieder aus, als durch Tod ausscheiden. Die Austritte können jedoch nicht durch Neueintritte aufgefangen werden. Diese Entwicklung betrifft aber nicht nur den Osten, sondern auch viele Westlandesverbände. Auch die Jugend- und Neumitgliederarbeit ist eher zufällig als geplant. Die Mobilisierungs- und Konfliktfähigkeit der Partei zu Lokal- und Großveranstaltungen ist ohnehin sehr überschaubar. Böse Zungen könnten daher sagen: Alle reden von der LINKEN als Mitgliederpartei, haben sich aber mit dem Wahlverein LINKE eingerichtet.
Angesichts dessen scheint es verständlich, wenn DIE LINKE sich darauf konzentriert als parlamentarische Partei von links in Debatten einzugreifen oder über R2G zu fabulieren. Das macht sie oft nicht schlecht. Nicht auszudenken, wenn wirklich nur CDU, SPD und Grüne über Sozial-, Außen- oder Migrationspolitik reden würden. Hier braucht es die LINKE. Mittel- bis langfristig wird diese Rolle als angenehm »dissonante Stimme« (Zelik) aber nicht ausreichen und ein »Weiter so« ist angesichts der Gesellschafts- und Parteientwicklung keine Option. Egal, ob wir nun eine bessere Verwaltung über Regierungsbeteiligungen oder antikapitalistische Politik anstreben – selbst kleinste Gesellschaftsveränderungen brauchen gesellschaftlichen Druck und an diesem Faktor kann DIE LINKE tatsächlich arbeiten.
Die LINKE als sozialer Akteur
Damit möchte ich nicht die Entgegensetzung von Bewegung vs. Partei aufmachen. Sondern für eine ebenso kritische Bestandsaufnahme von Bewegungspolitik plädieren. Auch die Konzepte der Partei als Plattform der Bewegungen (Rifondazione) und der Partei als bloßer Unterstützerin aller Basisinitiativen (Parti de Gauche, Frankreich) scheinen wenig erfolgsversprechend. Beide Parteien schafften es nicht, gemeinsame Ziele zu formulieren, für die alle einstehen können. Die andauernde Bewegungsarbeit führte darüber hinaus zu einer enormen Mitgliederfluktation aufgrund des Verschleißes vieler Aktivist*innen – davon können linksradikale Organisationen mit ähnlichem Fokus auch in Deutschland ein Lied singen.
Ich plädiere daher für eine Partei als soziale Bewegung im alten Verständnis. Das scheint mir angesichts des Rückbaus des Sozialstaats die richtige Lösung zu sein. Korte/Sitte haben völlig richtig diese Entwicklung des Neoliberalismus skizziert. Vielleicht braucht der jetzige Postneoliberalismus aber auch neue Organisationsformen. Angesichts des Wegfalls der Großfamilien und nun auch immer mehr des Staates in vielen Bereichen, bedarf es wieder großer kollektiver Akteure. Als Einzelne sind wir sonst komplett auf uns gestellt. Ich meine daher, wir sollten wieder offensiv zur Partei als Organisation stehen. Dass es anders geht und der Schrumpfungsprozess einer Organisation aufgehalten werden kann, zeigen die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften. Viele Gewerkschaften haben den jahrelangen Mitgliederrückgang gestoppt, weil sie erstens, wieder verstärkt auf Konflikte orientieren und sich zweitens massiv um Neumitgliederwerbung und -einbindung kümmern. Damit gelingt es ihnen gerade junge Mitglieder anzusprechen.
Nicht zuletzt sorgen die derzeitigen Debatten über Migration für einen großen Politisierungsschub meiner Generation. Unsere SDS-Hochschulgruppen wurden in diesem Semester förmlich überrannt. Von der Migrationsdebatte profitiert nicht nur die AfD, sondern auch die LINKE, wie die jüngsten Umfragen in Hessen zeigen. Hier lag die LINKE bei acht Prozent. Auch Erfolge sollten uns zu denken geben – nicht nur die Niederlagen.
Menschen werden aktiv, wenn sie sich aufgehoben fühlen in einer Organisation und dort tatsächlich etwas bewegen können. Mit Formen politischer Aktivität wird ja auch nicht erst seit heute experimentiert. Der Blick auf einige Landes- und Kreisverbände der Linken zeigt, dass es große Unterschiede in der Mitgliederentwicklung und der politischen Aktivität gibt. Hier gibt es Landes- und Kreisverbände mit ordentlichen Zuwächsen, tollen Aktionen und einer starken Verankerung – meist in den Städten. Hier ließen sich viele Erfahrungen aufnehmen und verallgemeinern, wenn darauf ein größerer Fokus liegen würde. Auch Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass mit wenigen Aktiven und einem klarem Fokus einiges bewegt werden kann als Partei. Von der KPÖ Graz lässt sich lernen, dass so eine langfristige Fokussierung auf ein zugespitztes Thema wie der Wohnungsfrage zu Mitgliederwachstum und stabilen Wahlergebnissen über 20 Prozent führen können. Hier macht die Aktivität tatsächlich einen Unterschied, weil die KPÖ vor Ort konfliktfähig ist und etwas bewegt.
Immer noch gilt: Ideen machen sich meist lächerlich, wenn sie nicht mit Interessen verbunden sind. Aber es reicht nicht, als Partei nur die Vertretung der Interessen zu proklamieren – gerade angesichts der Parteienverdrossenheit. Eine Partei muss etwas durch ihre Aktiven bewirken, sonst braucht es sie nicht. Eine Stärkung unser Basisstrukturen und die Interessenvertretung mit und durch viele Menschen zeigt, wer die wirkliche Alternative in Deutschland sein kann.
Das bedeutet auch wieder langfristig denken zu lernen. Wir denken nur von Wahl zu Wahl. Für Linke tun sich jedoch nur manchmal kleine Möglichkeitsfenster auf – wie im Falle Syrizas oder der LINKEN in Berlin 2001. Die Auswertungen der eingegangenen Regierungsübernahmen zeigen aber, dass die Linke für wirkliche Veränderungen zu schwach war. Die gesellschaftliche Basis für grundlegende Veränderungen fehlten.
Der Neoliberalismus und auch der Kapitalismus sind nicht über Nacht entstanden, also werden sie auch nicht so schnell und so leicht wieder gehen. Das klingt banal. Die Kurzfristigkeit unserer Orientierung zeigt aber das Gegenteil. Das sollte wir auch im Kampf gegen rechts berücksichtigen und zwischen kurz- und langfristigen Strategien unterschieden.
Bündnis gegen Rechts
Wenn ein soziales Regierungsbündnis unwahrscheinlich ist, was sollen wir dann aktuell tun? Diese Frage kann mit Blick auf den Charakter der AfD beantwortet werden: Die AfD ist eine Sammlung der rechten Strömungen in Deutschland, die schon lange da waren, aber keine parlamentarische Entsprechung hatten: Wirtschaftsliberale um Meuthen, christliche Fundamentalisten um von Storch, Nationalkonservative à la Gauland, Petry oder Protofaschisten wie Björn Höcke. Diese Gruppen würden auch dann nicht verschwinden, wenn R2G ein soziales Regierungsbündnis wäre. Sie können aber an den Rand gedrängt und wieder politisch marginalisiert werden.
Die Bedingung dafür ist die diskursive Hegemonie, also die Vorherrschaft über die Stammtische, Talkshows, Raucherecken und Kommentarspalten zurückzugewinnen. Dafür brauchen wir tatsächlich ein breites gesellschaftliches Bündnis von unten gegen Rechts - klar antirassistisch und antisexistisch. Ohne die Gewerkschaften, Verbände, SPD und Grüne wird das schwer zu machen sein.
Auf allen gesellschaftlichen Ebenen muss der Rassismus und Sexismus der AfD, von Pegida usw. geächtet und die Doppelmoral der AfD entlarvt werden. An Widersprüchen und Ansatzpunkten mangelt es nicht, um die AfD argumentativ zu stellen: In den Wahlkämpfen in Sachsen-Anhalt plakatiert die AfD soziale Themen, macht aber nirgendwo soziale Politik. Beatrix von Storch ist für den Schutz des Lebens und daher gegen Abtreibungen. Das gilt für Storch aber nur wenn das Leben nicht vor der deutschen Grenze steht und passieren will … dann darf auch geschossen werden. Petry fordert mehr Wahlfreiheit für den Menschen, fordert aber mindestens drei Kinder pro Frau. Es lassen sich noch viele weitere Punkte finden. Derart viele Widersprüche lassen sich nicht ewig kaschieren.
Klar ist aber: ein solches Anti-Rechts-Bündnis von unten kratzt nur an der Oberfläche. Die tieferliegenden strukturellen Gründe des Aufstiegs der Rechten können nur durch eine andere antineoliberale Politik beseitigt werden. Darauf müssen wir hinweisen und klar machen, dass es eine soziale Politik für alle Menschen gleichermaßen braucht. Um aber wirklich viele Menschen zu erreichen und auch gerade die, die von den medialen und politischen Diskussionen abgekoppelt sind, müssen wir langfristige Strukturen aufbauen, konfliktfähig werden und die Debatten um R2G sein lassen, was sie sind: Keine Lösung und daher keine Option!
Janis Ehling, Jahrgang 1985, ist einer der Bundesgeschäftsführer des linken Studierendenverbandes Die Linke.SDS
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