Erleichterung für Flüchtlinge
Anhaltinisches Unternehmen bringt erste Toilette auf den Markt, das den Bedürfnissen aller entspricht
Jenseits von Auseinandersetzungen um Religionsfreiheit und Rollenverständnis schwelt zwischen Orient und Okzident ein Jahrhunderte alter Konflikt: Hocken oder Sitzen? Wasser oder Klopapier? Ein Hersteller von mobilen Toiletten will dene alten Konflikt nun lösen.
Vielleicht ist es das letzte große Tabu der aktuellen Flüchtlingskrise. Hunderttausende Männer, Frauen und Kinder kommen nach Deutschland, um ein besseres Leben zu finden. Doch egal, wie gut organisiert das lokale Willkommensbündnis, wie hoch die Integrationsbereitschaft der Flüchtlinge auch ist, eines wird ihnen in den seltensten Fällen gewährt: ein anständiger Gang aufs Klo.
Ein Hersteller von mobilen Toiletten aus dem sachsen-anhaltinischen Coswig könnte nicht nur Hunderttausenden Flüchtlingen, sondern auch Millionen anderen Menschen mit anderem Sanitärhintergrund in Deutschland Erleichterung schaffen. Sein Mutikulti-Klo soll Antworten auf jene Fragen liefern, die jeder kennt, der schon einmal außerhalb der westlichen Hemisphäre im Urlaub war - nur eben mit umgekehrten Vorzeichen: Soll ich jetzt wirklich in dieses Loch? Wo ist das Klopapier? Und was zur Hölle soll ich mit dem Schlauch anfangen?
»Als Hersteller von mobilen Toiletten sind wir auch international tätig und wissen, dass die Gewohnheiten in anderen Kulturkreisen anders sind als bei uns«, erklärt Peter Fliegenschmidt, Chef des Mobil-Toiletten-Herstellers Global-Fliegenschmidt. »Im Orient ist es üblich, dass die Toilette nicht im Sitzen benutzt wird, sondern im Hocken.« Seine neue mobile Toilette soll nun ermöglichen, was weltweit bisher einmalig wäre: Hocken und Sitzen, Wasser und Toilettenpapier.
»Wenn Sie im westlichen Kulturkreis einer Dame sagen, sie soll sich das Gesicht mit Papier säubern, dann geht das auch nicht«, erklärt Fliegenschmidt die interkulturelle Dimension des Klo-Streits. Und die geht weit über lustige Urlaubsanekdoten hinaus: Von Ghana über Indien bis nach Japan verrichtet ein Großteil der Weltbevölkerung sein Geschäft im Hocken. Die im 18. Jahrhundert am englischen Königshaus eingeführte Sitztoilette ist bis heute vielen Menschen auf der Welt fremd, genauso wie die ebenfalls vor allem auf die westliche Welt beschränkte Angewohnheit, sich den Hintern mit Papier statt mit Wasser zu säubern.
Zum Problem wird der Kulturkonflikt nicht nur für Hunderttausende Flüchtlinge: In sozialen Medien nutzen Ausländerfeinde Fotos von verschmutzten Toiletten aus Flüchtlingsunterkünften, um das Bild vom unzivilisierten Migranten zu schüren. Mediales Aufsehen erregte im vergangen Sommer die Kommunalverwaltung des baden-württembergischen Hardheim, als sie einen Flüchtlingsknigge verteilte. Dieser verband stereotype Klischees mit Hinweisen zur richtigen Toilettenbenutzung. Zuletzt widmete sich das niedersächsische Landesgesundheitsamt dem Phänomen und veröffentlichte eine Sammlung von Piktogrammen, die die richtige Toilettenbenutzung erklären und die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften anbringen sollen. Auch Unternehmen wie Global-Fliegenschmidt stöhnen unter erhöhten Reinigungskosten. »Die hatten wirklich das Problem, dass die Leute nicht wussten, wie sie das benutzen sollen«, erzählt Fliegenschmidt.
Zwei zusätzliche erhöhte Fußtritte, ein Wasserschlauch und ein größerer Tank sollen das Problem nun lösen. Das Konzept für die mobile Multikulti-Toilette stammt ursprünglich von der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Für das Konzept bekam die Industriedesignerin Sabine Schober im Jahr 2012 den »World Toilet Organization Design Award« und wandte sich mit der Umsetzung an Global-Fliegenschmidt. Neben Hocken und Sitzen sah ihre »Toilette der Zukunft« sogar noch die Umwandlung von Kot und Urin in fruchtbare Schwarzerde vor.
Auch Peter Fliegenschmidts Pläne gehen weit über die aktuelle Flüchtlingskrise hinaus. Er sagt, dass es in »Amerika selbstverständlich ist, dass man mobile Toiletten in der Landwirtschaft und in Parks benutzt«. Er spricht davon, dass es in ganz China erst zwei Anbieter gebe, und vom großen unerschlossenen Markt in Deutschland. Schließlich läge allein der Anteil von Muslimen bei rund fünf Prozent in Deutschland: »Davon benutzen natürlich nicht alle Hocktoiletten, viele haben sich inzwischen unseren Gewohnheiten angepasst. Wesentlich höher ist der Anteil allerdings im Baugewerbe.« Fliegenschmidts Vision für die Zeit nach der Flüchtlingskrise: »Der Bauarbeiter, der die Toilette so benutzen kann, wie er es gewohnt ist - egal wo er herkommt.«
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