Der Papst und die Macht des Ziegenhorns
Mexikaner erwarten vom Heiligen Vater schlagende Argumente gegen die Träger der Kalaschnikows
Über dem Bunker am Stadteingang von Tancítaro hängt die mexikanische Flagge. Davor stehen drei ältere Männer und mustern die vorbeifahrenden Wagen, ein vierter mit schusssicherer Weste und Schnellfeuergewehr kontrolliert stichprobenartig Innen- und Kofferraum. «Keine Fotos» ruft ein fünfter Mann, der aus dem Innern des Bunkers kommt, wo eine weitere Maschinenpistole auf dem Tisch zu sehen ist. «Wir machen das hier nicht zum Spaß», schiebt er barsch hinterher.
Tancítaro liegt im mexikanischen Bundesstaat Michoacán, wo 2013 die Autodefensas, die Selbstverteidiger, Schlagzeilen machten, weil sie eine Stadt nach der anderen vom Kartell der Tempelritter befreiten. Rund 28 Monate ist das her und in der von Avocadoplantagen umgebenen Provinzstadt gibt die Bürgerwehr noch immer den Ton an. «Es ist leidlich sicher», erklärt José Alfredo Estrada Montero. Der 52-Jährige ist einer der Wasserverantwortlichen der Region und nimmt regelmäßig die Waffe in die Hand und geht auf Patrouille. «Das hätte ich mir früher nie vorstellen können, aber wir wurden so terrorisiert, dass wir uns nicht anders zu helfen wussten», erklärt der grau melierte Mann mit den ausgelatschten Cowboyschuhen. Waffen sind immer noch nichts für ihn und nach der Patrouille gibt er das Maschinengewehr sofort wieder ab. Anders geht es ohnehin nicht, denn die Bürgerwehr ist schlecht ausgerüstet, gilt aber als hoch motiviert.
Neben einer Umarmung gab es Wangenküsse. Papst Franziskus und Patriarch Kirill wollen nach fast 1000 Jahren Kirchenspaltung die Christenheit wieder stärken einen. Beim ersten Treffen der Oberhäupter von römisch-katholischer und russisch-orthodoxer Kirche forderten sie eindringlich, dass die Christenverfolgungen in Nahost und Afrika gestoppt werden müssen. Die Zivilisation stehe vor einem epochalen Wandel, der ein Zusammenstehen aller Christen erfordere.
Die Begegnung in Kubas Hauptstadt Havanna solle »zur Wiederherstellung dieser von Gott gewollten Einheit« beitragen, heißt es in einer Freitagabend unterzeichneten Erklärung. Katholiken und Orthodoxe gehen seit der Spaltung 1054 getrennte Wege. dpa/nd
Tancítaros Ortseingang und -ausgang wird mit einem Netz von selbst gebauten Bunkern geschützt. «Ist eine Bastion genommen, kommt ein paar Hundert Meter weiter die nächste», erklärt Estrada Montero und sein Kollege Reynaldo Bucio nickt zustimmend. Tancítaro gehört zu den letzten Orten, die in Michoacán von der Bürgerwehr kontrolliert werden.
In großen Teilen des Bundesstaats, der sich gerade 300 Kilometer entfernt von Mexiko-Stadt befindet, liefern sich gleich mehrere Kartelle einen erbitterten Kampf um Territorien. «Polizei und Militär sind oftmals Teil des Problems», erklärt der emeritierte Bischof Miguel Patiño Velásquez. Der 77-jährige Geistliche hat 33 Jahre im benachbarten Apatzingán als Bischof gewirkt und kennt die Verhältnisse in der strategisch wichtigen Region nur zu gut. Fünf seiner Priester wurden zwischen Mitte der 1980er Jahre und 2012 getötet, viele weitere mit Waffengewalt gezwungen, den Mund zu halten. Was soll man machen, wenn sie einem das Ziegenhorn unter die Nase halten?«, fragt Patiño Velásquez. Ziegenhorn, cuerno de chivo, wird die AK-47 genannt, das Gewehr der Marke Kalaschnikow, das von den Kartellen oft eingesetzt wird und auch bei der Bürgerwehr beliebt ist. Nicht nur in Michoacán, wo der Papst bei seiner Mexikovisite in der Hauptstadt Morelia Station machen wird.
Mexikos Bewohner erwarten mahnende Worte vom Oberhaupt der katholischen Kirche. Die gilt in Mexiko als glaubwürdige Institution, und mit zahlreichen Projekten zur Versöhnung ist sie auch in Tancítaro im Einsatz. Cintia Garcia Nieves ist eine Freiwillige, die in Tancítaro für die Caritas im Einsatz ist und aus Ciudad Juárez stammt. »Hier gibt es die Voraussetzungen, mit den Familien Versöhnungsarbeit zu machen, in Ciudad Juárez ist das nicht der Fall«, sagt die Sozialarbeiterin von Anfang 30.
Ciudad Juárez ist eine graue Industriemetropole an der Grenze zu den USA, wo Industriearbeiter aus den armen Bundesstaaten Mexikos schuften und von wo Drogen in großen Mengen in die USA gelangen. Die 1,5-Millionen-Einwohner-Stadt ist ein Brückenkopf in die USA: Es kommen Autos und Waffen und es werden Drogen, Autoteile und montierte Fernseher aus den Weltmarktfabriken geliefert, die die Stadt wie ein Schwimmring umgeben. In der von Wüste umschlossenen Stadt wird der Papst auch Station machen auf seiner fünftägigen Mexiko-Reise. Für die Messe an der Grenze sind mehrere Plätze für die Angehörigen der 43 verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa reserviert worden, von denen seit September 2014 jede Spur fehlt. Folgerichtig wird Papst Franziskus auf die unzähligen gewaltsam Verschwundenen in Mexiko zu sprechen kommen, darunter auch Hunderte von jungen Frauen, die in den vergangenen 15 Jahren in und um Ciudad Juárez verschwanden. Unter dem Schlagwort »Feminicido« wurde das international bekannt und Menschenrechtsaktivisten wie die Theaterdirektorin Perla de la Rosa hoffen, dass der Papst die jahrelange Untätigkeit der staatlichen Ermittlungsbehörden geißeln wird. Das könnte Bewegung in die mexikanische Zivilgesellschaft bringen, denn unstrittig ist in Mexiko, dass das Gros der Bevölkerung mit der Bilanz der Regierung von Enrique Peña Nieto alles andere als zufrieden ist. Der Ölpreisverfall hat die Wirtschaft trotz aller neoliberalen Reformprogramme in Schieflage gebracht, die soziale Bilanz ist nach gut drei Jahren PRI-Regierung verheerend und die Straflosigkeit nahezu total - dafür ist das Beispiel der 43 Studenten nur das prominenteste. Auch ein Grund, weshalb es in der katholischen Kirche Stimmen gab, die befürworteten, dass Papst Franziskus auch nach Ayotzinapa reisen sollte. Dazu wird es jedoch nicht kommen, sagt Bischof Felipe Arizmendi. »Aber Franziskus wird in Chiapas seine Solidarität mit den indigenen Minderheiten Mexikos und mit den Migranten aus Mittelamerika zeigen«, so der 76-jährige Geistliche aus San Cristóbal de las Casas. Die werden auf ihrem Weg durch Mexiko oft ausgeplündert, manchmal versklavt und oft sexuell missbraucht, klagt der Bischof. »Wir brauchen mehr soziale Integration, müssen mehr tun gegen Rassismus und Stigmatisierung«, fordert der Bischof, der zu den mahnenden Stimmen innerhalb der Kirche gehört. Für ihn kommt die Visite des Heiligen Vaters aus Rom genau zum richtigen Zeitpunkt.
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