Breite Kritik an »Dumpinglohnkonkurrenz« durch Flüchtlinge

DGB, ver.di und LINKE kündigen Widerstand gegen Unionspläne für Ausnahmen beim Mindestlohn an / Berliner SPD sieht große Koalition im Bund in Gefahr / Konzernlobby BDA: Nicht nur Flüchtlinge sollen zwölf Monate ohne Lohnuntergrenze arbeiten

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Das nennt man Zusammenspiel: Kaum hat die CDU angekündigt, ein Papier mit der Forderung vorzulegen, Flüchtlinge sechs Monate lang vom Mindestlohn auszunehmen, nimmt die Konzernlobby den Ball auf - und verlangt noch mehr Einschränkungen: So soll nach dem Willen eines Sprechers der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände »allen Menschen, die es am Arbeitsmarkt besonders schwer haben«, der Mindestlohn vorenthalten werden - und zwar für zwölf Monate. Die Konzernlobby formuliert das so: Man müsse diesen Menschen »eine von den strikten Bedingungen des Mindestlohngesetzes befreite Beschäftigung« ermöglichen.

Mit dem Vorschlag, Ausnahmen für Flüchtlinge beim Mindestlohn zuzulassen, riskiert die Union allerdings massiven Streit mit der SPD, die ihrem Koalitionspartner den Bruch von Absprachen vorwirft. SPD-Generalsekretärin Katarina Barley verschärfte den Protest gegen Ausnahmen beim Mindestlohnt. In einem Gespräch mit der »Neuen Osnabrücker Zeitung« warf Barley der CDU/CSU vor, im Koalitionsvertrag vereinbarte Positionen aufgeben zu wollen. »Jetzt merkt man, wie ernst es die Union mit dem Mindestlohn meint«, sagte die SPD-Politikerin. Laut Barley birgt der Vorschlag »sozialen Sprengstoff«. Sie betonte: »Was wir stattdessen brauchen, sind massive Investitionen in Kitas, Schule und den sozialen Wohnungsbau.«

Beim SPD-geführten Bundesarbeitsministerium lehnt Ausnahmen vom Mindestlohn für Flüchtlinge weiter ab. Die Lohnuntergrenze gelte für alle, unabhängig vom Pass, sagte Ministeriumssprecherin Lena Daldrup am Montag in Berlin. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sei der Überzeugung, dass keine Gruppe gegen eine andere auf dem Arbeitsmarkt ausgespielt werden dürfe. Eine »Dumpinglohnkonkurrenz« dürfe es nicht geben.

Die Ministeriumssprecherin wies daraufhin, dass für Flüchtlinge, die lange ohne Beschäftigung sind, die gleichen Regeln gelten wie für Langzeitarbeitslose. Schutzsuchende beziehen zunächst Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Danach - in der Regel nach 15 Monaten - wechseln sie in den Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch.

Sind Flüchtlinge dann weiter mindestens ein Jahr ohne Beschäftigung, gelten auch sie als langzeitarbeitslos, erklärte Daldrup. Dann gelte auch für sie die Regel, dass maximal ein halbes Jahr nach Aufnahme einer Beschäftigung ein Gehalt unterhalb des Mindestlohns gezahlt werden darf.

Andere SPD-Vertreter sehen sogar die gemeinsame Regierung bereits in Gefahr. Das Mindestlohn-Vorhaben gefährdet nach Einschätzung des Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, sogar den Fortbestand der großen Koalition im Bund. »Wenn die Union darauf besteht, müssen unsere Leute stehen«, sagte Saleh der »Berliner Zeitung« (Dienstagausgabe). »Notfalls müssen wir im Bund aus der Koalition raus.« Ein Aufweichen des Mindestlohns berühre den Kern der Sozialdemokratie: »Ein falscher Kompromiss an der Stelle würde die Glaubwürdigkeit der Partei zerstören.«

Auch der Gewerkschaftsverband DGB hat bereits Widerstand gegen den CDU-Vorschlag zur Einschränkung des Mindestlohns für Flüchtlinge angekündigt. »Eine Ausnahme vom Mindestlohn für Flüchtlinge ist glatter Unsinn«, sagte Stefan Körzell, DGB-Bundesvorstandsmitglied, dem »Tagesspiegel«. Die CDU will am Montag ein Eckpunkte-Papier vorlegen, das angeblich der »Integration« von Geflüchteten dienen soll - es geht aber auch darum, die Asylsuchenden zu Lohndrückern zu machen.

CDU-Vize Thomas Strobl verteidigte dagegen den Plan. Er sagte der »Bild am Sonntag«: »Wir müssen klare Ansagen machen, was wir hier erwarten. Sonst funktioniert das Zusammenleben nicht.«

Kritik hatte zuvor auch schon die Linkspartei geäußert. Die gewerkschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Jutta Krellmann, sagte, »wer Flüchtlinge als Billigarbeiter ausnutzen will und die aktuelle Situation als Möglichkeit, wieder einmal den Mindestlohn anzugreifen, versteht, sollte sich was schämen«.

Auch aus den Reihen der hessischen LINKEN gab es scharfe Kritik an den Mindestlohn-Plänen: »Was die CDU ein ‚Integrationspapier‘ nennt, ist in Wahrheit ein Paket zur Spaltung und weiteren Ausgrenzung: strengere Vorgaben für die Integration von Flüchtlingen, Ausnahmen beim Mindestlohn und höhere Hürden für Menschen, die hier bleiben wollen. All das hat nichts mit Integration zu tun«, erklärte die hessische Linksfraktionschef Janine Wissler. Ihre Befürchtung: Durch Ausnahmen beim Mindestlohn würden Flüchtlinge und Geringverdiener gegeneinander ausgespielt. Damit würde das gesellschaftliche Klima weiter vergiftet, warnte Wissler.

Ähnlich äußerte sich ver.di-Chef Frank Bsirske. Er warnte davor, »einen tiefen Graben zwischen den Menschen im Niedriglohnbereich und den Flüchtlingen aufzureißen«. Der Vorschlag, Flüchtlinge vom Mindestlohn auszunehmen, mache sie wider Willen zu Lohndrückern und spiele sie gegen andere aus, die eine Beschäftigung im Niedriglohnbereich hätten und anstrebten.

Auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sieht massive Gefahren durch den Vorschlag. »Der Vorschlag, den Mindestlohn für Flüchtlinge auszusetzen, ist brandgefährlich, weil er in einer bereits aufgehetzten Stimmung weiteren Neid und Hass schürt«, warnte die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger. »So werden die Schwächsten am Arbeitsmarkt, nämlich Langzeitarbeitslose, Mindestlohnempfänger und Flüchtlinge, gegeneinander ausgespielt.« Gleichzeitig käme dies »de facto« der Abschaffung des Mindestlohns gleich. Agenturen/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -