Selbst Monarchien brauchen einen gewissen Konsens

Die Soziologin Zahra Babar hält eine Veränderung der Arbeitsverhältnisse in Katar nur durch gesamtgesellschaftlichen Wandel für möglich

  • Lesedauer: 3 Min.
Zahra Babar ist als stellvertretende Forschungsdirektorin am Center for International and Regional Studies der Georgetown University in Katar tätig. Die gebürtige Pakistanerin mit australischem Pass arbeitet zu den Themen Migration und Arbeitsverhältnisse in den Golfstaaten. Mit der Soziologin sprach Tom Mustroph über das Kafala-System in Katar und Möglichkeiten, die Menschenrechtssituation dort zu verbessern.

Vor wenigen Monaten verabschiedete Katar Reformen im Arbeitsrecht. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Reformen als zu gering. Warum bewegt sich in Katar trotz des erheblichen internationalen Drucks so wenig?

Ich muss sagen, ich war skeptisch, dass sich sehr viel bewegen würde. Grund ist ein Wahrnehmungs- und Einschätzungsproblem. Die Golfstaaten werden als autoritäre Staaten gesehen, in denen es ausreicht, direkten Zugang zum Emir zu haben und ihn zu überzeugen, damit es zu Änderungen kommt. Das aber ist eine Simplifizierung. Natürlich handelt es sich um Monarchien und es gibt kaum demokratische Strukturen. Aber trotzdem können die Herrscher nicht absolutistisch regieren. Sie brauchen den Konsens mit wichtigen gesellschaftlichen Gruppen.

Welche Gruppen sind das?

In erster Linie die großen Unternehmen. Aber auch die einheimische Bevölkerung. Wenn man das Kafala-System abschafft, dann fürchten viele hier Einbußen.

Welche Einbußen genau?

Die großen Unternehmen haben Angst, dass Führungskräfte, die Zugang zu hochsensiblen Daten haben, das Unternehmen verlassen und vertrauliche Informationen verraten könnten. Auch die Spitzenkräfte in den Unternehmen sind sehr oft Ausländer. Dieser Angstkomplex hat eine stärkere Reform des Arbeitsrechts verhindert. Die Katarer, die selbst arbeiten, befürchten, dass sie bei einem liberalisierten Arbeitsmarkt größere Konkurrenz von Ausländern erhalten. Und dann gibt es natürlich die Katarer, die direkt von dem »Sponsor«-System profitieren. Sie bekommen Arbeitskräfte für wenig Geld. Sie können zudem mehr Arbeiter holen, als sie eigentlich benötigen, und sie dann gegen Geld an andere Unternehmen verleihen.

Das läuft den Rekrutierungsgesetzen aber zuwider, oder?

Ja, das ist Missbrauch. Das macht auch nicht jeder, aber es kommt vor.

Verboten ist nach den Vorschriften auch, dass die Arbeiter Rekrutierungsgebühren zahlen. Das Gesetz verpflichtet katarische Arbeitgeber sogar, für derlei Kosten aufzukommen. Warum hält sich die Rekrutierungsgebühr in der Praxis dennoch so hartnäckig?

Da ist eine ganze Kette an Mittelsmännern involviert - in den Herkunftsländern, in Nepal, Indien, Sri Lanka, in einigen afrikanischen Ländern. Sie kennen »Sponsoren« hier und sagen ihnen: ›Ich kann dir hier 100 Leute besorgen. Du kriegst 200 Rial pro Person.‹ Und selbst nehmen sich die Mittelsmänner auch noch etwas. Es gibt nicht den einen Bösen dabei. Es denkt nur jeder an seinen eigenen Vorteil.

Welche Lösungswege sehen Sie?

Ich habe viele Jahre in den ländlichen Regionen Pakistans zu einer Vielzahl humanitärer Themen gearbeitet. Wenn wir dort Veränderungen anstoßen wollten, etwa mehr Gendergerechtigkeit, dann gab es lokale Initiativen mit pakistanischen Frauen, die dieses Thema eingebracht haben. Internationale Organisationen konnten es dann aufgreifen, verstärken und Druck auf die Regierung ausüben. Die internationale Beachtung stärkte dann die Arbeit der Gruppen vor Ort. Auch in Katar kann es nur mit der Einbindung der lokalen Bevölkerung geschehen. Selbst wenn es schwierig ist, weil eine Zivilgesellschaft hier kaum existiert. Aber wenn internationale Gruppen eine wirksame Änderung der Arbeitsverhältnisse für Migranten erreichen wollen, müssen sie katarische Interessensgruppen ins Boot nehmen.

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