Von einem, der auszog...
Auf der Suche nach Frieden - der Augsburger Simon Jacob versteht sich als »Peacemaker«
Er ist ungeduldig, spricht drängend. Erst vor wenigen Tagen kehrte Simon Jacob von seiner Expedition durch die Türkei, Georgien, Armenien, Syrien und Irak zurück. Mitten im Winter folgte der 37-jährige Augsburger per Flugzeug, Auto, Minibus und zu Fuß den Spuren von Christen, Jesiden und Muslimen im Orient und im Kaukasus. Er sprach mit den Geistlichen der Minderheiten, mit militärischen Führern, Kämpfern und einfachen Menschen. Jetzt, wieder in Deutschland, erzählt er, und in seinen Erzählungen mischen sich Empörung, Bewunderung, Entsetzen. Ein Wechselbad der Gefühle.
Mit eigenen Augen wollte er sehen, ob Dialog und Empathie zwischen den Ethnien und Religionen der Region noch möglich sind. »Ich hoffte, dass trotz der Brutalität Assads und des Islamischen Staates (IS) in Syrien, trotz der wieder alltäglichen Repressionen des türkischen Militärs gegen die Kurden die Menschen noch eine Hoffnung auf ein besseres Leben haben«, so Jacob.
Im Sommer hatte er seinen Job als Europa/Nahost-Analyst bei einer großen US-Beratungsfirma in München gekündigt und machte sich Ende September auf den Weg. Sein Projekt heißt »Globalo Youth Peacemaker Tour« und läuft unter dem Dach des Zentralrats der Orientalischen Christen - und er ist der Friedensmacher. »Dass wir Christen sind, ist zweitrangig. Wir wollen die Menschen zusammen bringen«, erklärt Jacob.
Er wurde in Kafro, einem syrisch-orthodoxen Dorf im türkischen Tur Abdin geboren. Seine Muttersprachen sind Deutsch und Suryoyo, jener westaramäische Dialekt, den schon Jesus gesprochen haben soll. 1980, da war er zwei Jahre alt, flohen seine Eltern nach Deutschland. Sie ließen sich in Augsburg nieder, wo sich der dortigen syrisch-orthodoxen Gemeinde anschlossen. Jacob besuchte einen katholischen Kindergarten, dann die Hauptschule und schaffte später den Realschulabschluss. Nach seiner kaufmännischen Ausbildung eröffnete er erst eine Firma für das Design elektronischer Produkte und anschließend eine Beratungsfirma in München. Mit ihr organisierte und begleitete er Reisen für Delegationen aus Medien, Politik und Wirtschaft in die Türkei, den Irak sowie nach Syrien.
Jetzt also »Peacemaker«. Seine erste Station hieß Istanbul, die letzte Qamishli. Sein Fazit: »Viele Menschen im Nahen Osten leben sehr wohl in Frieden zusammen - egal, an was sie glauben oder welcher Ethnie sie angehören.« Zu diesem positiven Blick trug auch eine Begegnung in der irakisch-kurdischen Autonomieregion Region nahe der syrischen Grenze bei. Jacob traf ihn in einem Café und der junge Mann erzählte begeistert von seiner Freundin. »Er war zuversichtlich, weil er sich erstmals mit ihr frei auf der Straße zeigen konnte«, berichtet Jacob.
Doch jetzt, kurz nach der Rückkehr, überwiegen die grausigen Erinnerungen. An Bilder und Geschichten, die er los werden muss, ordnen, verarbeiten. Nicht nur im Laptop und in seinem Blog, sondern im Kopf. An die Massengräber, Schlacht- und Sklavinnenhäuser in Irak, an die Verzweiflung der Menschen, mit denen er sprach. Auch die Gefahren, denen er sich aussetzte.
Anfang Dezember erreichte er über die kurdische Hauptstadt Arbil die Region Shingal im Nordirak. Jesidische Kampfeinheiten begleiteten ihn von dort in die völlig zerstörte, mit Leichen übersäte Stadt Sindschar. »Der IS hat alles vermint, jeder Schritt kann den Tod bedeuten. Ich musste sehr vorsichtig sein. Für die Menschen ist das die Hölle. Sie bleiben trotzdem, nicht jeder hat das Geld für ein Ticket nach Europa.«
Die erschütterndsten Momente, erzählt Jacob, erlebte er in Sherfidin, der zweitheiligsten Stadt der Jesiden am Fuße des Shingal-Gebirges. Im August 2014 griff der IS hier an. Er belagerte vier Monate lang das Heiligtum. Unter den 17 Männern, die sich dort verschanzt hatten, waren auch zwei Jesiden mit deutschem Pass, die aus der Stadt stammten, wie sie Jacob erzählten. Im Dezember schlugen sie den IS, seit Anfang 2015 gehört das Gebiet wieder zur irakisch-kurdischen Autonomieregion.
Die Bewohner, die den IS-Massakern entkommen und zurückgekehrt sind, zeigten dem Augsburger fußballfeldgroße Halden mit Kinderskeletten. »Dieses Massengrab war unglaublich. Überall liegen Gebeine und kleine Schädel. Wenn ich mit der Hand nur ein wenig unter die Erde fasste, hatte ich weitere Knochen in der Hand«, berichtet Jacob. Sein Blick wird unstet, er hat diese Erlebnisse noch niemandem erzählt.
Auf seinen Fotos hielt er zertrümmerte Köpfe fest. Kleine Kiefer und Zähne liegen in einigem Abstand daneben. »Die Überlebenden haben mir erzählt, dass der IS die Kinder erst erschoss, dann köpfte und weiter zerstückelte. Das Areal ist ein fürchterliches Zeugnis dieses Massakers an Frauen und Kindern.« Auf den Fotos leuchten im Hintergrund die roten Wände eines zerstörten Hauses. Das Dach fehlt. Dort, berichtet Simon Jacob, sollen die IS-Terroristen Frauen und Mädchen gefangen gehalten und verkauft haben. Saudische Geschäftsmänner und Golfaraber seien angereist, um sie als Sklavinnen zu ersteigern. Das bringt Jacob richtig auf. »Verstehen Sie: Bürger Saudi-Arabiens, des wichtigsten strategischen Partners des Westens im Nahen Osten, kaufen auf dem IS-Markt jesidische Mädchen ein wie Tomaten.« Die andere Hälfte dieses roten Gebäudes nennen die Dorfbewohner »Schlachthaus«: Hier wurden die Männer des Dorfes hingerichtet.
Die überlebenden Bewohner nahmen Rache an den IS-Soldaten. »Ich sah in Sindschar die verstümmelte Leiche eines IS-Kämpfers. Zunächst dachte ich: ›Geschieht ihm recht.‹ Doch dann entdeckte ich neben den verschiedenen Körperteilen in den Trümmern ein Album mit Fotos von ihm mit seinen Frauen und Kindern. Die Bilder und die Scham über meine eigenen Rachegefühle trafen mich wie ein Schlag.« Die halb verweste, verkohlte und von Hunden angefressene Leiche zu sehen und zu riechen, hatte ihn kalt gelassen. Innerlich so taub zu sein, sagt er, habe ihn dann aber als gläubigen Christen sehr erschreckt. Es ist diese mentale Kälte, die Empathie und Menschlichkeit tötet und den Krieg am Laufen hält.
Jacob beobachtete aber auch, dass die kurdische Autonomiebehörde sich in ihren Städten um Rechtsstaatlichkeit bemüht. Eines seiner etwa 20 professionell aufgenommenen Videos, die er von seiner Reise mitgebracht hat und noch schneiden muss, zeigt einen Peshmerga-Kommandanten in grüner Uniform aus Kirkuk. Er spricht Deutsch, hat sein halbes Leben hier verbracht. Nachts bringt er heimlich IS-Gefangene in den Gewahrsam nach Arbil, um sie vor Rache und Lynchjustiz der lokalen Bevölkerung zu schützen und sie vor Gericht stellen zu können.
In diesem Winter, in dem kaum noch ein westlicher Journalist aus den irakischen und syrischen Krisengebieten berichtet, sind solche Details, die Simon Jacob aus eigener Anschauung mitzuteilen weiß, wertvoll. Man spürt den Analysten. Jacob ist es gewohnt, Informationen zu beschaffen und Dinge einzuordnen. In Syrien, sagt er, sei es enorm wichtig, auch die sunnitischen Stämme zu gewinnen. In der Nähe von Kobane konnte er kurz vor Weihnachten ein Treffen mit den Syrian Democratic Forces (Demokratische Kräfte Syriens) arrangieren, einem Zusammenschluss kurdischer Kämpfer und Kämpferinnen, bewaffneter christliche Milizen, sunnitischer Stämme und lokaler Kommandos der Freien Syrischen Armee, die seit Mitte Oktober mit Unterstützung der NATO vor allem gegen Raqqa, die zentrale Stadt des IS, vorgehen. Jacob interviewte unter anderem Colonel Tala Ali Selo, Sprecher der Allianz. Er ist turkmenischer Abstammung und gehört der Freien Syrischen Armee an. Jacobs Einschätzung: »Je breiter die Anti-IS-Basis, desto besser. Die sunnitischen Stämme sind ein Schlüssel im Kampf gegen diese Terroristen.«
Verhandlungen, an denen Assad und der IS beteiligt sind, lehnen die Stämme, aber auch die anderen Einheiten der Syrian Democratic Forces bisher kategorisch ab. Auch wenn Jacob selbst überzeugt ist, dass Verhandlungen ohne Assad nicht möglich sein werden - er akzeptiert und versteht ihren Standpunkt. Er hütet sich vor einfachen Wahrheiten und Lösungen. Nur eine Forderung vertritt er radikal: Um die junge Generation dort bei der Stange zu halten, muss die EU schon bald einen Marshall-Plan aufstellen. Vor allem für Bildung und Infrastruktur. »Das wäre ein gutes Signal für die jungen Leute. Sie fühlten sich anerkannt, wertgeschätzt und hätten eine Perspektive - ohne sich auf den Weg nach Europa begeben zu müssen.«
Weitsichtig organisiert, fast im Kielwasser der großen internationalen Politik, jetzt geht es für den Friedenssucher nach Iran. Das Visum ist erteilt, die ersten Termine mit Abgeordneten und Geistlichen sind festgezurrt. Von dort weiter nach Ägypten, Jordanien, in den Libanon und zum Schluss nach Israel, jene Region, wo sich die Religionen und ihre Geschichten so nah sind wie an keinem anderen Ort des Nahen Ostens. Wenn er wiederkommt, will er die Geschichten und Bilder dieser Spurensuche aufschreiben. Damit die Menschen, die sie erzählten, nicht vergessen werden.
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