»Wir sind auf dem richtigen Weg«

TTIP-Gegner Roland Süß über die Stimmung unter den Aktivisten und den Protestfahrplan 2016

  • Lesedauer: 5 Min.
Die TTIP-kritische Bewegung beriet am Wochenende in Kassel, wie es mit dem Widerstand weitergehen soll. Roland Süß vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis war dabei. Mit dem 61-jährigen Gebäudeenergieberater und Handelsexperten sprach Ines Wallrodt.

nd: Eine Viertel Million Menschen in Berlin auf der Straße, europaweit drei Millionen Unterschriften gegen TTIP. Das sind Erfolge, auf die die Politik auch reagiert. Fundamentale Änderungen an den Freihandelsplänen gab es dennoch nicht. Wie war die Stimmung unter den Aktivisten am Wochenende - sehen sie das Glas halbvoll oder halbleer?
Süß: Innerhalb von zweieinhalb Jahren haben wir eine enorme Bewegung aufgebaut. Wir haben in der öffentlichen Debatte sehr viel Punkte gewonnen. Aber wir haben TTIP und CETA noch nicht verhindert. Wir wissen, dass dahinter sehr starke wirtschaftliche Interessen stehen und dass wir da noch ganz dicke Bretter bohren müssen. Deswegen müssen wir noch besser und noch breiter werden.

Breiter in welche Richtung?
Das Nein zu TTIP wird bereits von vielen kleinen und mittleren Unternehmen unterstützt, aber es könnten wesentlich mehr werden. Auch TTIP-freie Kommunen kann es nie genug geben.

TTIP-Aktionskonferenz in Kassel

Die Strategiekonferenz in Kassel wurde organisiert vom zivilgesellschaftlichen Bündnis “TTIP unfairhandelbar” und zahlreichen weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Brot für die Welt, Greenpeace und dem Paritätischen Gesamtverband. Nächster Höhepunkt des Protestes soll eine überregionale Demonstration in Hannover am 23. April werden, zu der ein breites Bündnis aus Anlass der Eröffnung der Hannover Messe durch Bundeskanzlerin Merkel und US-Präsident Obama aufruft. Auch im Herbst dieses Jahres sind Demonstrationen in mehreren Städten geplant.

Antikapitalistische Gruppen sind dagegen bislang wenig vertreten. Dürfen die nicht mitmachen, um »die Mitte« nicht zu verschrecken?
Quatsch, da gäbe es keine Widerstände. Aber Bündnisse wie Blockupy setzen bislang eben andere Schwerpunkte. Es gibt so viele Baustellen, da ist etwas Arbeitsteilung gar nicht schlecht. Wichtig ist, dass wir uns nicht im Gegensatz zueinander sehen.

Sind alle bisherigen Bündnispartner erst zufrieden, wenn TTIP ganz gescheitert ist oder würden einige aussteigen, wenn die für sie zentrale Forderung erfüllt wäre?
Das gemeinsame Ziel ist, diese Abkommen zu verhindern. Unterschiedliche Einschätzungen gibt es darüber, was danach kommen soll. Kann man mit einem neuen Mandat gleich einen neuen Anlauf versuchen? Muss es dann eine zivilgesellschaftliche Diskussion geben, wie wirklich ein fairer Handel weltweit organisiert werden kann? Wir haben in Kassel deshalb auch über eine große gemeinsame Konferenz Ende des Jahres diskutiert, bei der das herrschende exportorientierte Wirtschaftssystem hinterfragt werden soll und Alternativen für einen Handel über die Landesgrenzen hinaus.

Bei solchen Fragen dürften die Gemeinsamkeiten aufhören.
In diesen Punkten Einigkeit herzustellen, ist auch nicht unbedingt das Ziel. Für unsere Demonstration hatten wir einen Aufruf formuliert, unter dem im Prinzip alle Vorstellungen möglich sind. Natürlich gibt es Differenzen. Aber genau die gilt es zu diskutieren.

Ein Beispiel, bitte.
Für Attac ist Freihandel eine Ideologie, ein Kampfbegriff, um die Macht der Konzerne weiter zu stärken. Das Interesse von Umwelt und Gesellschaft spielt dabei keine Rolle. Einige Bündnispartner können sich hingegen vorstellen, dass es einen gerechten Freihandel geben kann.

TTIP-Befürworter meinen, damit würden lediglich Benachteiligungen von US-Konzernen auf dem europäischen Markt beseitigt. Malen sie zu schwarz?
Diskutieren wir es mal konkret: Wir sind gegen ein Klagerecht von Konzernen gegen Staaten vor Sondergerichten. Hier haben uns ja sogar die Befürworter in einigen Punkten recht gegeben und die Schiedsgerichte modifiziert, aber keine grundlegenden Änderungen vorgenommen. Unsere Hauptkritikpunkte bleiben: Wir lehnen ein paralleles Rechtssystem ab. Es wird gern pauschal behauptet, wir würden verallgemeinern, aber wenn man ganz konkret diskutiert, habe ich noch kein Argument gehört, das unsere Kritik wirklich entkräften kann.

Es gab auch Vorwürfe, die Bewegung würde sich nicht genug von nationalistischen Positionen gegen TTIP abgrenzen, wie sie etwa die AfD vertritt. Gibt es Kritik, die Sie sich zu Herzen genommen haben?
Ich glaube nicht, dass wir uns hier etwas vorzuwerfen haben. Wir betonen immer, dass wir eine internationale Bewegung sind. Wir arbeiten mit den Zivilgesellschaften in anderen Ländern eng zusammen. Die Trennlinie liegt nicht zwischen den USA und Europa. Menschen, die für soziale Verhältnisse und eine vernünftige Umweltsituation sorgen wollen, gibt es hier wie dort. Auf unserer Konferenz waren Aktivisten aus den USA, Großbritannien oder auch Spanien zu Gast. Es gab Diskussionsrunden zu den Auswirkungen von Freihandelsabkommen auf die Länder des globalen Südens. Damit machen wir deutlich, dass nationalistische rassistische Positionen in den Bündnissen der TTIP-Gegner nichts zu suchen haben.

Gibt es in den USA genauso viel Widerstand wie in Europa?
Aufgrund der Erfahrungen mit dem NAFTA-Abkommen gibt es auch dort eine große Bewegung gegen Freihandel. Das sollten wir in der Öffentlichkeit künftig stärker transportieren.

Wie bewerten Sie die gerade zu Ende gegangene TTIP-Verhandlungsrunde? Im Anschluss gab es zum ersten Mal eine Pressekonferenz.
Das sagt noch nicht viel. Bei WTO-Verhandlungen zum Beispiel sind Pressekonferenzen normal, aber das heißt noch lange nicht, dass man wirklich etwas erfährt. TTIP ist weiterhin alles andere als transparent.

Aber die EU-Kommission scheint doch ein paar Kritikpunkte aufgenommen zu haben.
Das sind kleinere Änderungen, die in der Öffentlichkeit das Bild erzeugen sollen: Wir nehmen eure Kritik doch ernst. Aber ich sehe an keinem Punkt wirklich substanzielle Änderungen. Dafür spricht auch, dass CETA, also das Abkommen mit Kanada, noch dieses Jahr ratifiziert werden soll. Und zwar ohne, dass Lehren aus der öffentlichen Debatte gezogen wurden. Deshalb werden wir den Widerstand auch gegen dieses Abkommen wesentlich stärker organisieren.

Die TTIP-Gegner planen weitere Demonstrationen und Lobbyarbeit. Wie wollen Sie nach den großen Aktionen 2015 damit noch einen drauf setzen?
Nach neuesten Umfragen sind nur noch 25 Prozent der Deutschen der Meinung, dass TTIP eine gute Sache ist. Wir sind also auf dem richtigen Weg. Wir müssen die politisch Verantwortlichen weiter unter Druck setzen, auch vor Ort. Die anstehenden Landtagswahlen bieten für die vielen regionalen Strukturen und Bündnisse gute Gelegenheiten. Die TTIP-Verhandlungen können sich noch jahrelang hinziehen. Wir müssen also einen langen Atem haben.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.