Die westdeutsche Dopingvergangenheit bleibt geheim
Die Kommission der Uni Freiburg gibt auf
Freiburg. Eines der wichtigsten Projekte des deutschen Sports seit der Wiedervereinigung endet im Chaos: Die Kommission, die die Dopingvergangenheit der Freiburger Universität aufarbeiten sollte, hat sich am Dienstag wegen fortlaufender Behinderung durch ihren Auftraggeber aufgelöst.
Damit ist mehr denn je unklar, ob das ganze Ausmaß der Verbrechen und Verfehlungen an der Keimzelle der westdeutschen Dopingvergangenheit jemals ans Tageslicht gelangen wird. Nach neunjährigem »Kampf gegen Windmühlen«, in dem sich die Kommission auch mit dem mächtigen Profifußball anlegte, hält sich das hochkarätig besetzte und von der Korruptionsexpertin Letizia Paoli angeführte Expertengremium aber eine Hintertür offen. Man werde der Universität nun einen Abschlussbericht vorlegen, sagte Kommissionsmitglied Fritz Sörgel, betonte aber angesichts möglicher Zensur: »Dass die Kommissionsmitglieder ihre eigene Sicht der Dinge in einer gesonderten Publikation zur Kenntnis bringen werden, liegt auf der Hand.«
Das Ende war den Mitgliedern zufolge nur der logische Abschluss eines schleichenden Prozesses voller Verschleierungstricks und Störmanöver durch die Uni-Führung um Direktor Hans-Jochen Schiewer. Die Kommission wollte ihren Abschlussbericht ohnehin in Kürze der Universität übergeben, doch weitere Scharmützel zwischen beiden Seiten hielten die Spannungen permanent hoch. Zuletzt berichtete die Kommission über Plagiate und bewusste Datenverfälschung innerhalb der Sportmedizin.
Schon zuvor mussten sich die Auftraggeber fast ständig den Vorwurf der Behinderung und Verschleppung gefallen lassen. »Die Uni hat immer ein dreckiges Spiel getrieben. Sie hat Akten versteckt, in Landesarchiven, irgendwelchen Schränken oder in Privatwohnungen von Mitarbeitern. Da sind groteske Sachen passiert«, sagte das ehemalige Kommissionsmitglied Werner Franke: »Natürlich ist der Hintergrund, dass das volle Ausmaß der Dopingvergangenheit nicht an die Öffentlichkeit gelangen soll.«
Der Deutsche Olympische Sportbund bedauert den Rückzug der Kommission. Es sei »sehr bedauerlich, dass die Uniklinik und die Kommission nicht zusammengefunden haben, um die Dopingvergangenheit der Freiburger Uniklinik endgültig aufzuklären«, sagte der DOSB-Vorstandsvorsitzende Michael Vesper: »Es ist eine verpasste Gelegenheit, sich auch nachhaltig mit der Vergangenheit im Westen auseinanderzusetzen.«
Die Kommission war 2007 im Zuge des Skandals um das Radsportteam Telekom mit dem Ziel ins Leben gerufen worden, die Geschichte der Freiburger Sportmedizin zu untersuchen. Schlüsselfiguren sind die ehemaligen Freiburger Professoren Joseph Keul und Armin Klümper, jene legendären Mediziner, die jahrzehntelang gewaltigen Einfluss auf den deutschen Sport ausübten.
Letztmals erregte die Kommission im März 2015 bundesweit Aufsehen: Eben nicht nur im Radsport, sondern auch im Fußball bei den Bundesligisten VfB Stuttgart und SC Freiburg wurde Ende der 1970er, Anfang der 80er Jahre mit Anabolika hantiert. Gerade dieser Fall offenbarte aber auch immer größere Differenzen innerhalb der Gruppe. Kommissionsmitglied Andreas Singler veröffentlichte den Skandal kurzerhand auf eigene Faust - und musste zurücktreten.
Fakt ist, dass der Sumpf in Freiburg tief ist und das ganze Ausmaß auch durch die Kommissionsarbeit wohl nicht mal ansatzweise sichtbar wurde. Bewiesen ist: Vor allem Klümper verschrieb einst massenhaft Dopingmittel, stellte Blankorezepte aus, er und Keul vertuschten und verharmlosten, wo sie nur konnten, und auch die Politik legte schützend die Hand über Freiburg. Vor allem Keul besaß auch Pioniergeist. Vier Jahre vor seinem Tod gründete er die noch heute in Freiburg ansässige Biopharma-Firma CellGenix, das beste Kontakte zum US-Pharma-Riesen Amgen unterhält. Amgen erfand 1985 künstliches Epo. Die Uni wiederum ist an CellGenix beteiligt.
Derlei Breisgauer Geflechte sind ein Fest für Verschwörungstheoretiker. »Ich erlebe hier, dass die Dopingszene exzellent organisiert ist, dass es gelingt, das Schweigen perfekt zu organisieren«, sagte einst der Freiburger Oberstaatsanwalt Christoph Frank, der gegen Klümper und später auch im Telekom-Fall ermittelte. Im Jahr 2000, 13 Jahre nach dem bis heute nicht komplett aufgeklärten Tod der von ihm betreuten Siebenkämpferin Birgit Dressel, wanderte der heute 80-jährige Klümper nach Südafrika aus - und schweigt seitdem. SID/nd
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