Orban-Besuch: Seehofer provoziert Merkel und die SPD
CSU-Politiker bei Rechtsaußen-Regierung in Ungarn / Sozialdemokraten schwer empört über »separatistisches Gehabe« des Bayern / Grüne: »Das schadet deutschen Interessen« / Linkspartei für grundlegende Wende in der Asylpolitik
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer provoziert mit seinem Besuch beim ungarischen Rechtsausleger Victor Orban nicht nur den Regierungspartner SPD. Sozialdemokraten zeigen sich erbost, Konsequenzen wird die Partei von Sigmar Gabriel aber wohl abermals nicht ziehen. Derweil lobt der CSU-Politiker, der sich seit Monaten in einer Art AfD-Ähnlichkeitswettbewerb zu befinden scheint, die Abschottung der Balkanroute für Geflüchtete. Wegen der umstrittenen Grenzschließungen mehrerer osteuropäischer Länder wird in Griechenland die humanitäre Krise immer drastischer. Und auch wenn Orban wie Seehofer energisch bestritten, man sei »nicht gegen Angela Merkel«, so haben andere doch einen gegenteiligen Eindruck gewonnen.
Gefängnis für die MenschenretterDer Aktivist Salam Aldeen berichtet von seiner Arbeit als Rettungsschwimmer auf der griechischen Insel Lesbos. Ein Gespräch
Bremens Regierungschef Carsten Sieling von der SPD kritisierte Seehofers Nebenaußenpolitik inzwischen scharf. »Mit solch separatistischem Gehabe fällt Seehofer nicht nur ein weiteres Mal der Bundeskanzlerin in den Rücken, sondern entzieht der Koalition in Berlin immer mehr die gemeinsame Grundlage«, wurde Sieling von der Deutschen Presse-Agentur wiedergegeben. »Die Achse Seehofer-Orban-Putin ist nicht nur eine Gefahr für eine faire Lösung der Flüchtlingskrise in Europa, sondern gefährdet auch den Zusammenhalt der EU an sich«, warnte Sieling. Anfang Februar war Seehofer in Moskau bei Präsident Wladimir Putin, auch dieser Besuch war umstritten.
Der CSU-Chef hatte sich bereits vor seinem Besuch bei Orban positiv darüber geäußert, dass die Bundesrepublik »Profiteur« der Abschottung der Balkanroute sei. »Es gibt eine Wende in der Flüchtlingspolitik durch die weitgehende Schließung«, sagte er der Polit-Illustrierten »Spiegel«. Der bayerische Politiker begrüßte es, dass durch die Grenzkontrollen entlang der Hauptroute der Menschen in Not durch Europa die Zahl der hier ankommenden Geflüchteten zurückgegangen sei.
Seehofers Ungarn-Besuch lässt sich als symbolische Konfrontation mit Angela Merkel interpretieren – während der CSU-Chef beim Rechtsregime in Ungarn seine Aufwartung macht und damit die Position derer stärkt, die die Bundeskanzlerin auf EU-Parkett als Gegner in der Asylpolitik hat, bereitet sich die CDU-Vorsitzende auf das Sondertreffen zwischen der EU und der Türkei am Montag vor, in der ebenfalls die Flüchtlingsfrage im Zentrum steht. Die Kanzlerin kommentiere die Reise nicht weiter, sagte die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Christiane Wirtz.
Seehofers »Seperatismus« war deshalb unter anderem vom SPD-Chef kritisiert worden. Merkel versuche eine europäische Lösung zu erreichen, so Sigmar Gabriel gegenüber der »Bild«-Zeitung – dafür habe sie »jede Unterstützung verdient«. Die bayerische Strategie nannte er »verantwortungslos« und warf Seehofer vor, »der Kanzlerin kurz vor dem entscheidenden Gipfel derartig in den Rücken zu fallen«. Ähnlich äußerte sich SPD-Generalsekretärin Katarina Barley. »Wer sich öffentlich mit den ärgsten Gegnern einer europäischen Lösung verbrüdert, ist keine verlässliche Stütze der Bundeskanzlerin«, wurde sie in der »Passauer Neuen Presse« zitiert. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter befand immerhin, der Besuch komme »zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt«. Hofreiters Klage: »Der CSU-Chef schadet den deutschen Interessen.«
Derweil hat sich die Europaabgeordnete Cornelia Ernst von der Linkspartei für eine grundlegende Wende in der Asylpolitik ausgesprochen. Statt auf weitere Abschottung innerhalb der EU oder an den Außengrenzen zu setzen, könne die Europäische Union als Ganzes auch eine hohe Zahl von Geflüchteten aufnehmen – wenn der politische Wille dazu da wäre. »Von der Größenordnung her ist das nichts, was die EU nicht handhaben könnte«, so Ernst. »Sicher, einzelne Mitgliedstaaten können eine solche Zahl nicht stemmen, aber für die 28 Staaten gemeinsam wäre das Ganze ein Klacks. Ein Land oder 28, das ist der Unterschied zwischen einem lösbaren Problem und einem unlösbaren«, sagte die Politikerin.
Die Abschottung der Balkanroute bringe dagegen nun vor allem Menschen in Gefahr, die bereits in Not sind. Tausende seien an Grenzen im Niemandsland gefangen. »Sie hungern und frieren und bekommen Panik, dass sie gar keinen sicheren Ort mehr erreichen. Für all die Probleme, die Flüchtlinge auf der Flucht haben können – Polizeigewalt, Betrug, Menschenhändler und Kidnapper – sind sie noch anfälliger als zuvor«, warnte Ernst. Die Regierung Österreichs lasse hier »die Balkanländer die Drecksarbeit übernehmen«. Damit habe die Regierung des Sozialdemokraten Werner Faymann »die Balkanisierung der Flüchtlingskrise erreicht – und schlimmer noch: Mehr als 20 andere EU-Mitgliedstaaten haben das zugelassen«.
Die EU-Kommission will derweil alle wegen der Flüchtlingskrise verhängten Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums bis Jahresende beenden. Bis Dezember müssten »alle internen Kontrollen« aufgehoben werden, sagte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos am Freitag. Brüssel warnte vor Milliardenkosten für die europäischen Konzerne, sollten die Kontrollen dauerhaft in Kraft bleiben. Um eine »Rückkehr zu Schengen« bis Jahresende möglich zu machen, will die Kommission drei Prioritäten setzen: eine Abschottung der Schengen-Außengrenze in Griechenland, das Ende des »Durchwinkens« von Flüchtlingen innerhalb der EU und entlang der Balkanroute – und ein Ende von Alleingängen. mit Agenturen
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