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Gedichte aufs Ungereimte

Martin Hatzius macht sich beharrlich einen Reim auf die Woche. Seine gesammelten Verse liegen jetzt als Buch vor

  • Brigitte Zimmermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Zu den in dieser Zeitung angewendeten Kulturtechniken zählt neben dem zur Großräumigkeit neigenden Feuilleton glücklicherweise regelmäßig ein kleineres Stück Poesie. Es erfüllt hohe Ansprüche, obwohl es vorsätzlich gefertigt werden muss. Denn spätestens jeden Freitagmittag wird von Martin Hatzius der nach einer repräsentativen Stichprobe der Autorin sehr geschätzte Reim auf die Woche benötigt.

Mit dessen Hilfe finden Leser und Leserin in der Sonnabendausgabe des »nd« über das Sprachbild zurück zu den meist ungereimten Geschehnissen der letzten Tage. Diese sind leider oft so schmerzhaft, dass es schon gut tut, wenigstens in Versform daran erinnert zu werden und nicht von schlimmen Fernsehbildern.

In aller Regel schließen sich Poesie, Vorsätzlichkeit und obendrein Termintreue des Produkts aus. Auch bei den meisten willigen Menschen käme da etwas heraus, das man besser keinem Zweiten zu lesen gibt. Und deshalb muss man fragen, wie es Hatzius gelingt, Ereignisse, Schlaglichter und schlagende Worte im »Reim auf die Woche« nicht nur intelligent zusammenzubinden, sondern sie wahrhaft hintergründig und nur scheinbar gefällig und eingängig zu kommentieren. Das nun erschienene Buch, das alle Verse für das Jahr 2015 versammelt, gibt da einige Fingerzeige, aber erklären kann man Gedichte nach wie vor nicht. Sehr hilfreich ist indes, dass der Autor neben seinen Gedichten die Ereignisse notiert hat, auf denen der jeweilige Vers fußt.

Martin Hatzius, 40 Jahre alt und Berliner, ist einer der beiden Feuilletonchefs des »nd«. Aber das war schon mancher, ohne mit Reimen auf die Woche auffällig geworden zu sein. Mehr ins Gewicht fällt da wohl seine Ausbildung als Germanist und Musikwissenschaftler, die er in Berlin und im irischen Galway absolvierte. Ohne einen feinen Sinn auch für Sprachmelodien, die schwierigen eingeschlossen, kann man keine Verse machen, die andere sofort ernstnehmen. Außerdem bewährt es sich natürlich aufs Beste, wenn man seinen Heine, seinen Kästner, aber auch seinen Hans-Eckardt Wenzel und Reinhard Mey kennt. Selbst Jürgen Harts unsterbliches »Sing, mei Sachse, sing«, von Arndt Bause seinerzeit in die Biedermeierlichkeit vertont, kann Hatzius aller Eigenliebe entreißen. Für die letzte Augustwoche 2015 bot er einen Vers an, der heute noch in jedem Sinne des Wortes brandaktuell ist und sich auch als Fließtext erschließt: »Der Sachse liebt das Reisen sehr, doch nu bleibt er daheeme, weil sonst womöchlich sonstwoher der schwarze Neecher käme; Zigeuner aus Bulgarchen wolln Heidenau beschnarchen!«

Das kann nicht jedem Sachsen gefallen, soll es auch ausdrücklich nicht. Die »Reime auf die Woche« sind keine ästhetischen Wortspielereien, sie gewinnen ihre Qualität im Gegenteil durch die unmissverständliche Haltung des Autors zum Geschehen. Und da bleibt auch keiner und keine verschont.

Zu dem peinlichen Widerspruch, dass Brandanschläge und Übergriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte nicht den vermehrten Schutz für diese hervorrufen, sondern immer neue Vorschriften zu ihrer Abwehr und Abschreckung, heißt es im Vers auf die Woche vom 12. bis 18. Oktober klar und knapp: »Kanzlerinnen, die da wohnen in des Wählers Transitzonen, schärfen die Asylgesetze angesichts von Hass und Hetze.«

Für solche Verdichtung, dass die Einladerin der Flüchtlinge längst begonnen hat, mit den Wölfen im Lande zu heulen, bräuchte mancher Großessay neun Absätze Anlauf.

Nirgends las man bisher auch die vermeintliche Nebenrolle der Katzenfreundin Beate Zschäpe im NSU-Trio so kompakt zurechtgerückt wie in der Fünf-Worte-Zeile: »Und sie fütterte die Glatzen«.

Man möchte sich als Leser wünschen, dass der Reim auf die Woche auch im Jahr 2016, wie bisher, pünktlich zur Stelle ist. Schon weil es diese Form des Kommentars zurzeit wohl nur im »nd« gibt. Aber für den Autor bleibt es eine Anstrengung, und irgendwann werden die Dinge, wie man das bei Prosastücken nennt, »auserzählt« sein. Das müsste man verstehen.

Zum Schluss muss allerdings angemerkt werden, dass auch Martin Hatzius nicht alles gelingt. Im spielerischen »nd«-Tipp-Wettbewerb zur Fußball-Bundesliga kämpft er in der Abstiegszone. Das wirft Fragen auf. Ist es etwa leichter, sich einen Reim auf das nun wirklich diffuse Weltgeschehen zu machen als auf die Ergebnisse der Bundesliga? Ach. Verstehe einer die Dichter.

Martin Hatzius: Reim auf das Jahr. Mit einem Vorwort von Wolfgang Hübner. Verlag neues deutschland. 116 S., br., 9,90 €. Buchpremiere am Dienstag, dem 8.3., 18.30 Uhr, im Münzenbergsaal, Franz-Mehring-Platz 1, Berlin

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