Bis das System kollabiert

Die ARD belegt, dass Russlands Leichtathletik noch lange nicht dopingfrei ist

Die Beteuerungen Russlands, seine Leichtathletik vom Dopingsumpf zu säubern, scheinen nur Lippenbekenntnisse zu sein. Dies zeigen neue Enthüllungen der ARD.

Russland kommt nicht aus den Dopingschlagzeilen heraus. Dass Hajo Seppelt dort nicht mehr willkommen ist, kann man irgendwie auch verstehen, aber der ARD-Reporter schafft es nun mal, in aller Regelmäßigkeit neue Dopingenthüllungen zu präsentieren, die einen Start der russischen Leichtathleten bei den Olympischen Spielen immer mehr infrage stellen. Die ARD hatte bereits dafür gesorgt, dass die Welt-Antidoping-Agentur WADA ermittelte und die Vorwürfe des massiven, staatlich begünstigten Dopingmissbrauchs bekräftigte. Daraufhin sperrte der Weltverband IAAF die russische Leichtathletikföderation RUSAF und ihre Athleten von internationalen Wettkämpfen aus, bis der Dopingsumpf trockengelegt wird. Die neuesten Enthüllungen der ARD vom Sonntag, lassen daran aber stark zweifeln.

Der Reporter bereist das Land in seiner Dokumentation »Geheimsache Doping: Russlands Täuschungsmanöver« nicht mehr selbst, hat aber offenbar mittlerweile genügend Whistleblower und Helfer, die bereit sind, seine Recherchen zu unterstützen. So wurden der ARD Tondokumente zugespielt, auf denen Anna Anzeliowitsch zu hören ist, wie sie im Jahr 2014 als Mitarbeiterin der Russischen Antidoping-Agentur RUSADA Terminabsprachen mit Athleten trifft, wann diese gern ihre Dopingprobe abgeben würden - ein Verstoß gegen die Maßgabe, dass Kontrollen unangekündigt zu erfolgen haben. Sie blies offenbar einen Test auf Wunsch einer Athletin sogar ganz ab.

Das Problem am Fall Anzeliowitsch ist, dass die Frau mittlerweile die Direktorin der RUSADA ist, eingesetzt von Sportminister Witali Mutko, der versprochen hatte, nur noch »unverdächtige« Personen im Antidopingkampf einzusetzen. Dies trifft auf Anzeliowitsch nicht zu. Überraschend kommt dies nicht. Bemerkenswert ist vielmehr, dass jemand das Gespräch vor knapp zwei Jahren mit der damals noch nicht in hohen Ämtern tätigen Mitarbeiterin überhaupt aufnahm, archivierte und nun an die ARD weiterleitete. Anscheinend wächst in Russland die Zahl der Protagonisten, die das alte Dopingsystem endgültig kollabieren lassen wollen, auch wenn sie es immer noch verdeckt tun müssen.

So half ein russischer Journalist den deutschen Kollegen dabei, heimlich Wladimir Mochnew zu filmen. Der trainiert derzeit in der Kleinstadt Gubkin mehrere Athleten, obwohl er von der IAAF suspendiert ist und eine lebenslange Sperre fürchten muss. Ausgerechnet Mochnew! Der Mann, der 800-m-Läuferin Julia Stepanowa mit EPO, Anabolika und Testosteron belieferte und ihr half, einen positiven Dopingtest durch Bestechung zu vertuschen. Stepanowa war später Seppelts erste Whistleblowerin, die den ganzen Skandal Ende 2014 ins Rollen brachte. »Wir werden es einzelnen Menschen nicht erlauben, einen Schatten über die russische Leichtathletik zu werfen«, teilte die RUSAF am Montag mit. Man werde den Fall prüfen, hieß es, als ob man von der heimlichen Arbeit Mochnews gar nichts wisse.

Dabei ist die nicht geheim. Die RUSAF führe ihn. laut ARD sogar offiziell auf Ergebnislisten der Hallenmeisterschaften im Februar in Moskau als Betreuer einiger Athleten. Dabei hätte es sich Seppelt diesmal bei der Recherche noch einfacher machen können, denn selbst auf der RUSAF-Homepage rusathletics.com wird Mochnew noch immer als Teammitglied geführt - trotz IAAF-Suspendierung! Am Rande derselben Meisterschaften soll übrigens ein weiterer Jugendtrainer einem ARD-Lockvogel sogar Steroide und Testosteron zum Verkauf angeboten haben.

»Offensichtlich hat sich die Situation nicht geändert. Das kann nur bedeuten, dass die Voraussetzung für die Olympiateilnahme der russischen Leichtathleten nicht gegeben ist«, sagte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes der ARD. Doch Prokop entscheidet nicht darüber, sondern die IAAF.

Der Norweger Rune Andersen soll vor dem obersten Gremium des Weltverbands, dem Council, Ende der Woche über Erkenntnisse seiner Task Force berichten, die die Umsetzung der geforderten Reformen in Russland überwacht. Andersen beschrieb die neue Affäre Mochnew als »gravierenden Fall«. Sollte er dem Council nun empfehlen, die RUSAF nicht wieder aufzunehmen, dürfte es der IAAF trotz des großen Drucks der russischen Staatsführung und des IOC schwer fallen, Russlands Athleten in Rio an den Start gehen zu lassen.

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