Tierschutz im Gerichtssaal geschreddert
Landgericht Münster lehnt Verfahrens wegen Tötung männerlicher Küken ab / Staatsanwaltschaft will Verfahren fortsetzen / NRW-Agrarminister Remmel (Grüne) bedauert verpasste Chance / Tierrechtsorganisation Peta: Entscheidung »extrem rechtsfehlerhaft«
Münster. Im Rechtsstreit um die bundesweit erste Anklage wegen des massenhaften Tötens männlicher Eintagsküken hat das Landgericht Münster die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen eine Brüterei abgelehnt. Der Betreiber der Firma habe sich nicht strafbar gemacht, befand das Gericht in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss. Die Staatsanwaltschaft Münster, die Anklage gegen die Brüterei erhoben hatte, kündigte sofortige Beschwerde gegen die Gerichtsentscheidung an.
Hintergrund der seit geraumer Zeit praktizierten Kükentötung ist, dass die Agrarindustrie für männliche Nachkommen der Legehuhnrassen keine Verwendung hat - sie legen weder Eier, noch setzen sie gut Fleisch an. Deswegen werden bundesweit Millionen von ihnen geschreddert oder vergast. Während die Staatsanwaltschaft Münster dieses Vorgehen für strafbar hält, vertrat das Münsteraner Landgericht nun in seinem Beschluss die gegenteilige Auffassung.
Zwar werde laut Tierschutzgesetz grundsätzlich bestraft, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund töte, hoben die Richter hervor. Diese gesetzliche Vorschrift biete aber »bei verfassungsgemäßer Auslegung« keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung - der Gesetzgeber habe nämlich beim Erlass der Vorschrift das Töten männlicher Eintagsküken nicht unter Strafe stellen wollen.
Die Kammer begründet diese Einschätzung unter anderem mit der 2012 erlassenen Tierschutzschlachtverordnung, die zulässige Tötungsformen für Eintagsküken regele. Zudem stützte sich das Gericht auf die Auswertung der Tierschutzberichte wechselnder Bundesregierungen sowie weitere Gesetzesmaterialien. Eine Änderung der strafrechtlichen Beurteilung für einen seit Jahrzehnten praktizierten Sachverhalt bedürfe einer Entscheidung des Gesetzgebers, die das Landgericht nicht an dessen Stelle treffen könne.
Zwar stelle die Tötung männlicher Eintagsküken einen »nicht umkehrbaren und schwerwiegenden Eingriff« in den Tierschutz dar, räumte die Kammer ein. Der Betreiber der Brüterei könne aber vor dem Hintergrund dieser jahrzehntelang gebilligten Praxis Vertrauensschutz für die Ausübung seines Betriebs beanspruchen.
Die Staatsanwaltschaft will den Gerichtsbeschluss nicht hinnehmen. Die Anklagebehörde halte an ihrer Rechtsauffassung fest, dass die Tötung der Küken eine »strafbare Handlung« sei, sagte ein Sprecher der Behörde auf AFP-Anfrage. Über die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft muss nun das Oberlandesgericht (OLG) in Hamm entscheiden.
Nordrhein-Westfalens Agrar- und Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne) bedauerte die Gerichtsentscheidung. »Hier wurde eine Chance verpasst, die grausame Praxis des Tötens von Millionen männlicher Eintagsküken zu beenden«, erklärte Remmel in Düsseldorf. »Tiere sind keine Abfallprodukte, die nur wegen der Steigerung des Gewinns getötet werden.«
Remmel begrüßte aber zugleich, dass das Landgericht »den Ball jetzt nach Berlin ins Bundeslandwirtschaftsministerium gespielt« habe. Jetzt sei klar, dass Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) eine entsprechende Rechtsgrundlage schaffen müsse. »Mit wohlfeilen Ankündigungen ist Minister Schmidt immer schnell, aber leider folgt dem meistens nichts.«
Scharfe Kritik am Ablehnungsbeschluss des Landgerichts übte die Tierschutzorganisation Peta. Der Leiter von deren Rechts- und Wissenschaftsabteilung, Edmund Haferbeck, nannte die Gerichtsentscheidung »extrem rechtsfehlerhaft«. Seit 2002 seien rund 675 Millionen männliche Küken ohne vernünftigen Grund getötet worden, mahnte Haferbeck. Trotzdem habe es »zu dieser Problematik noch niemals eine öffentliche und mündliche Verhandlung« gegeben. AFP/nd
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