Damit die Zeit nicht an uns vorbeigeht
Was tun gegen den Rechtsruck? Wegducken zählt nicht. Die Alternative hieße: Diese Gesellschaft nach rechts verloren zu geben. Ein Diskssionsbeitrag
Der Landesparteitag der Linkspartei in Berlin steht kurz bevor. Wahlprogramm und Landesliste für die Abgeordnetenhauswahlen im September sind abzustimmen. Und es wird auch darüber diskutiert werden, unter welchen Bedingungen, vor allem aber, für welche Ziele DIE LINKE in Berlin ihren dritten Schritt in eine Regierung machen könnte.
Dem Parteitag vorgelagert ist seit Monaten eine Debatte innerhalb der Linkspartei über rot-rot-grüne Bündnisse im Bund und in den Ländern. Mitte Februar haben sich drei Ex-Piraten in diese »Regierungsdebatte« eingebracht und festgehalten: »Rot-Rot-Grün im Bund für 2017 ist gescheitert, weil es keinen gesellschaftlichen Konsens für #r2g gibt.«
Nun, das mag auf der einen Seite richtig sein, auf der anderen aber muss man dann auch die Frage erlauben, ob es 2009 einen gesellschaftlichen Konsens für schwarz-gelb im Bund gegeben hatte. Wir meinen: Nicht wirklich. Zumindest erinnern wir uns nicht, dass es eine breite Bewegung war, die Westerwelle und Brüderle in Spitzenpositionen dieses Staates sehen wollte.
Umgedreht wird aus unserer Sicht ein Schuh – besser, eine politisch-strategische Aufgabe - draus: Wir müssen eine Wechselstimmung für ein Mitte-Links-Bündnis notwendiger Weise erzeugen. Wir müssen alternative Optionen und den Gegensatz zu dem herrschenden Rechtsruck in dieser Republik deutlich machen und um alternative – und je stärker DIE LINKE auch progressive - Mehrheiten kämpfen. Sicherlich, es hat schon bessere Zeiten und Voraussetzungen dafür gegeben. Gerade in der aktuellen Situation schlägt den Vielen, die keine Grenzzäune errichten oder auf Kinder und Frauen schießen wollen, harter Gegenwind ins Gesicht. Und ja: Man kann nicht gerade behaupten, dass ein irgendwie geartetes alternatives, progressives und sich Mitte-Links verortendes Projekt in der Vergangenheit ausreichend und ernsthaft diskutiert oder vorbereitet worden wäre.
Dennoch, es gibt aktuell drängender denn je einen »Bedarf an einer Veränderung und Modernisierung der Gesellschaft«. Das Problem: Zurzeit sind diejenigen lauter, dominanter und unverfrorener, die Unzufriedenheit gegen gesellschaftliche und soziale Zustände gegen Geflüchtete und Asylbewerber*innen wenden und artikulieren und dies immer öfter mit Gewalt untersetzen. Die Aufgabe der LINKEN muss es sein, gesellschaftliche Unzufriedenheit, besonders an der sozialen Ungerechtigkeit und wachsenden Armut in diesem Land und in Europa wieder auf jene zu fokussieren, die dafür die Verantwortung tragen. Die Verantwortung für sinkende Renten, steigende Mieten, sinkenden Arbeitsplatzschutz und steigende Kinderarmut liegt heute wie 2005 oder 2009 bei einer Bundesregierung ohne LINKE-Beteiligung in diesem Land.
Neben dem »Wir schaffen das« der Kanzlerin steht noch immer eine Politik des »Weiter so!« in Fragen der Sozial-, Bildungs-, Steuer- und Gesundheitspolitik etc. Und ja, genau diesem »Weiter so!« müssen wir von links ein Solidarprojekt zur Modernisierung des Sozialstaates entgegensetzen.
Unser ehemaliger fds-Bundesvorsitzender und heutiger Minister im Kabinett Ramelow, Benjamin Immanuel-Hoff, hat es in seinem Gastbeitrag für die »Thüringer Allgemeine« auf den Punkt gebracht: »Dass Rot-Rot-Grün im Bund hingegen als wenig wahrscheinlich gilt, ist selbstverschuldet. Statt die Gemeinsamkeiten der die drei Parteien tragenden sozio-kulturellen Milieus und die Schnittmengen in gesellschaftspolitischen Wertvorstellungen nutzbar zu machen, werfen die Parteien außenpolitische Nebelkerzen und zerschlagen rhetorisches Porzellan. (…) Dabei gäbe es für Rot-Rot-Grün genug zu tun.«
Bleiben wir einmal bei dem virulenten Thema der Flucht von Millionen Familien in die Europäische Union und nach Deutschland. Bei allen läutenden Alarmglocken: die immer größer werdende Unterstützung für rechtspopulistische und menschendfeindliche Positionen der AfD bilden trotz alledem keine Mehrheit in dieser Gesellschaft ab. Die Umfragewerte der AfD sind schockierend und gefährlich, ja. Unsere Aufgabe muss es allerdings sein immer lauter und deutlicher zu sagen, dass 80 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik deren (Un)Werte und Einstellungen nicht teilen. Zwar ist die Gefahr groß, dass auch diese Zahl in den kommenden Wochen weiter sinkt, dann aber ist dies Resultat der Rechtsverschiebung der Politik in diesem Land durch die sogenannten Volksparteien CDU/CSU und SPD. Und gerade hier gilt es auf Landes- und Bundesebene einzuhaken und Mehrheiten dagegen zu organisieren. Luise Neuhaus-Wartenberg und Dominic Heilig haben jüngst in einem gemeinsamen Papier von der Notwendigkeit eines sogenannten »Historischen Kompromisses« gesprochen. Diesen, und das ist bemerkenswert, gibt es gesellschaftlich längst. Unter den Parteien bildet sich dieser leider (noch) nicht ab!
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Jan Korte hatte dies in seiner Rede zur Verschärfung des Asylrechts (Anti-Asylpaket II) am 25. Februar in Berlin eindrucksvoll deutlich gemacht: »Wir brauchen nicht nur einen ‚Aufstand der Anständigen‘, sondern einen ‚anständigen Aufstand‘ gegen die Politik von schwarz-rot. (…) Dafür brauchen wir jeden, dem es eiskalt den Rücken runterläuft, wenn von Menschen als ‚Viehzeug‘ gesprochen wird. Wir brauchen die Kirchen und Wohlfahrtsverbände, die täglich still und leise Großartiges leisten. Wir brauchen die jungen Menschen, die bei jedem Hasskommentar tausend Gegenkommentare geben. Wir brauchen eine Sozialdemokratische Partei, die eine klar, unzweideutige Haltung hat, sowie tausende Mitglieder an der Basis der SPD. (…) Und ja, wir brauchen auch die vielen tausend Basismitglieder der CDU, die den Ausspruch von Angela Merkel ‚Wir schaffen das‘ begriffen haben als einen Auftrag von Nächstenliebe im Alltag.«
Es muss daher Aufgabe der LINKEN sein, aus dem »Wir schaffen das« ein »Lasst uns gemeinsam eine andere, soziale, gerechte, nachhaltige und demokratische Gesellschaft schaffen« zu machen. Die Frage lautet aus unserer Sicht eben nicht »Wie wir das schaffen«, sondern »Wohin wollen wir es mit wem und für wen schaffen«.
Täglich, und das seit Monaten, organisieren und engagieren sich Hunderttausende in diesem Land in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe. Darunter sind die Menschen mit SPD- oder CDU-Parteibuch, darunter sind Kirchenmitglieder und Gewerkschafter*innen, darunter sind Grüne und Linke oder auch nur deren Sympathisant*innen und Wähler*innen. Das, genau das sind die sozio-kulturellen Schnittmengen dieser Gesellschaft, die bereits und ohne das Zutun von Parteien zusammengefunden haben und von denen Benjamin Hoff als Fundament für einen politischen Wechsel auch im Bund gesprochen hat. Allein dies macht bereits deutlich, dass dieses gegossene Fundament nicht ohne Haus oder Dach bleiben darf, denn sonst würde es bald wieder brüchig und beginnen an den Rändern zu zerbröseln. Wir stehen vor der substantiellen Frage, ob wir diesen Menschen mit einem gemeinsamen politischen Projekt Mut machen, uns entschlossen an IHRE Seite stellen oder ob wir sie mit ihrem Engagement und einer weiterhin von der CDU geführten, aber von der CSU und AfD getriebenen Bundesregierung alleine zurücklassen.
Auch aus der Politik heraus gibt es ermutigende, wenn auch nur zaghafte Zeichen, dass die Bereitschaft an einem rot-rot-grünen Modell im Bund zu arbeiten nach wie vor existent ist. Wenn SPD-Chef Sigmar Gabriel angesichts der Geflüchteten in diesem Land von einem »Solidaritätsprojekt« für die »eigene Bevölkerung« spricht, dann mag das wahltaktischer Natur sein. Nicht taktisch aber ist das Votum von 30 SPD-Bundestagsabgeordneten gegen das zweite Anti-Asylpaket im Bundestag Ende Februar. Nicht taktischer Natur ist, wenn der sächsische SPD-Minister Martin Dulig seiner Polizei eine Nähe zu PEGIDA unterstellt. Und politisch richtig ist es, wenn die Grünen-Vorsitzende Simone Peter den Diskurs für ein #r2g-Projekt im Bund zuletzt für ihre Partei versucht hat zu öffnen. Derlei Beispiele gibt es viele und zugleich ist festzuhalten, dass sie (noch) nicht ausreichen für einen politischen Wechsel in diesem Land. Ohne diesen aber, ohne eine selbstbewusste Haltung im Kampf gegen AfD, Rechtsextremist*innen, Neofaschist*innen, ohne die Fokussierung auf gemeinsame wie notwendige politisch-soziale Projekte bleibt nichts weiter bestehen, außer einer immer weiter nach rechts marschierenden Gesellschaft, einem neoliberalen Wirtschafts- und Machtzentrum sowie einer nicht wieder zurückzuholenden Pervertierung der europäischen Idee.
Ja, es geht darum »eine linke Diskursmehrheit« im parlamentarischen wie außerparlamentarischen Raum zu erreichen. Dieser Diskurs wird aber nur dann mehrheitsfähig, wenn er eine Perspektive aufmacht und sich nicht auf seinen Wert an sich zurückzieht. Die Genoss*innen von Syriza haben es uns ein ganzes Jahr lang immer wieder und wieder gesagt: Die Linke – auch in Deutschland – muss die Machtfrage stellen. Die Arbeit an einem und für ein rot-rot-grünes Mehrheitsprojekt oder eine #r2g-Regierung steht dabei nicht am Ende gesellschaftlichen und außerparlamentarischen Engagements, sondern parallel zu diesem. Der Verweis auf Versäumnisse der drei Parteien in der Vergangenheit und die Hinwendung zu den übernächsten Bundestagswahlen 2021 bringt aus unserer Sicht in diesem Sinne nicht die gewollte Mobilisierung, denn es übertüncht die Realitäten der kommenden fünf Jahre. Wenn es uns nicht gelingt, erfolgreich die Verschiebungen der Politik nach rechts zu verhindern und umzukehren, bleibt uns 2021 womöglich nur ein sehr enger politischer Korridor, mithin das Aufkehren von Scherben, namentlich CETA, TTIP, FRONTEX, DUBLIN III, SCHENGEN III, Anti-Asylpaket XY, hunderttausendfache Abschiebungen und der Zerfall der Europäischen Gemeinschaft.
Wir haben Anfang 2015 als europäische Linke viel gejubelt über den Wahlerfolg unserer Genoss*innen in Griechenland. Und ja, wir waren und sind alle aus Überzeugung und Vertrauen solidarisch mit der Regierung von Alexis Tsipras. Gleichzeitig ist es aber nicht gelungen, diese Solidarität zu einem politischen Projekt mit Vision in diesem Land werden zu lassen und damit zu einem Solidaritätspakt für die Menschen in Europa. Tsipras ist nicht nur an Angela Merkel , der Troika und Wolfgang Schäuble mit Teilen seiner politischen Vision gescheitert, nein, er ist auch an einer schwachen Linken in Europa hängengeblieben, die notwendige Aufgaben und Schritte viel zu oft auf die Zukunft vertagt.
Nun wissen auch wir nicht, was 2017 sein wird. Wir wollen aber nicht aufhören für andere Mehrheiten bereits im nächsten Jahr zu kämpfen. Und ja, dafür werden auch Kompromisse, vielleicht auch schmerzhafte notwendig sein. Doch bleibt uns angesichts des Rechtstrends in Europa und in diesem Land keine andere Wahl: Wir können nur dann für politische Alternativen Mehrheiten gewinnen, wenn wir welche anbieten - konkret, im Hier und Jetzt.
Die Abgeordnetenhauswahlen in Berlin sind daher für uns in mindestens zweierlei Hinsicht Gewinn und Chance. Zum einen ist es ein Gewinn für die Gerechtigkeit und Solidarität, aber eben auch für die Freiheit und Demokratie in dieser Statd, wenn Henkels Law-And-Order-Truppe nicht mehr in der Regierung sitzt, die 90er Jahre behelmt nachspielt und die SPD endlich dazu gezwungen werden kann, auch einmal das umsetzen, was sie vor den Wahlen in Programmen wohlfeil und großspurig ankündigt. Zum Zweiten bietet die Wahl in Berlin die Chance, wie die in Sachsen-Anhalt am kommenden Sonntag und im September in Mecklenburg-Vorpommern, den Menschen zu beweisen, dass es sozialer, gerechter und solidarischer zugehen kann, so wie es Thüringen und Brandenburg tagtäglich versuchen unter Beweis zu stellen.
Tobias Schulze hat es vor wenigen Tagen auf den Punkt gebracht, als er in der Tageszeitung »neues deutschland« schrieb: » Und in der Tat: Diese Debatte über Enthaltsamkeit kann sich nur leisten, wer die politische Veränderung in der Stadt entweder auch noch auf morgen oder auf übermorgen schieben kann oder die eigene Rolle auf die eines mehr oder weniger unbedeutenden Teils der linken Szene der Stadt reduziert.«
Nun lassen die momentan herrschenden Zustände in dieser Stadt genau dieses nicht zu. Eine marode Verwaltung saniert sich nicht aus der Opposition heraus, mehr sozialer Wohnraum kann eben nicht aus der Opposition heraus geschaffen werden, Kitaplätze entstehen nicht aus der Opposition heraus und auch die Situation der Geflüchteten verbessert sich auch bei einer noch so guten Oppositionsarbeit konkret überhaupt nicht – das haben all die letzten Jahre gezeigt. All das kann nur umgesetzt werden durch Mitgestaltung und tiefgreifende Reformen. Und warum soll für Berlin gelten, was im Bund zur Unmöglichkeit erklärt wird? Tobias Schulze einmal mehr: »Sie (Bewegungen, Gewerkschaften, Wähler*innen, etc.) erwarten in der Regel von einer Partei, die zu Wahlen antritt, dass sie, wenn es dazu zahlenmäßig reicht, ihr Programm in die Tat umsetzt. Oder es zumindest versucht.«
Der Versuch in Berlin engagiert andere Mehrheiten zu erkämpfen, gesellschaftlichen Druck aufzubauen und daraus zu Rot-Schwarz alternative Regierungsmehrheiten zu organisieren ist eines der besten Argumente auch 2017 eine Wechselstimmung im Bund zu erzeugen, indem konkrete Ziele formuliert und verfolgt werden. Dabei steht an erster Stelle der Widerstand gegen die Rechtsverschiebung dieses Landes und die Stärkung der Partei DIE LINKE bundesweit. Darauf aber muss eben als zweites auch folgen, dass aus diesen Zielen logische Resultanten abgeleitet und ernsthaft angepackt werden. Und diese liegen in der einfachen wie komplizierten Wahrheit: Die Zeit geht an uns vorbei, wenn wir uns nicht in ihr bewegen und uns auf die Aufgaben konzentrieren, die konkret gestellt werden. Ein Wegducken oder Debatten über »Enthaltsamkeit« können wir uns in der Auseinandersetzung um die zukünftige Richtung, die diese Republik in Europa nehmen wird, nicht leisten. Denn das hieße, diese Gesellschaft und ihre Menschen verloren zu geben.
Katja Rom und Claudia Gosdeck sind Landessprecherinnen des Forum Demokratischer Sozialismus Berlin. Luise Neuhaus-Wartenberg und Dominic Heilig sind BundessprecherInnen des Forum Demokratischer Sozialismus.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.