Polit-Attacken nach Messerangriff

Hannover: Schülerin bittet Polizisten um Entschuldigung / CDU wettert gegen Grüne

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Bislang ist nicht bewiesen, dass die Messerattacke einer 15-Jährigen auf einen Polizisten in Hannover einen islamistischen Hintergrund hat. Doch die CDU versucht, aus dem Verdacht Kapital zu schlagen.

Das Geschehen, das am 26. Februar für Entsetzen in Hannovers Hauptbahnhof sorgte, tue ihr leid. Und sie würde es gern ungeschehen machen, sie bitte um Vergebung. Einen Brief dieses Inhalts hat eine 15-Jährige Deutsch-Marokkanerin jetzt an den Polizisten geschickt, dem sie während einer Personenkontrolle ein Messer in den Hals gestoßen hatte. Geschrieben hat die Gymnasiastin aus der Untersuchungshaft, wo sie wegen Verdachts auf Mordversuch sitzt.

Die Ermittlungsbehörden haben den Brief als Beweismittel beschlagnahmt. Der seinerzeit schwer verletzte Beamte der Bundespolizei, dem es inzwischen besser geht, habe jedoch eine Kopie des Schreibens erhalten, zitiert die »Hannoversche Allgemeine Zeitung« den Rechtsanwalt der Schülerin.

Für die interessiert sich nun auch die Bundesanwaltschaft. Sie prüft, ob sie die Sache übernimmt - als Behörde für Taten mit terroristischem Hintergrund. Ob ein solcher vorliegt, ist bisher nicht bewiesen. Es gibt Mutmaßungen und Spekulationen, allerdings auch Hinweise auf eine Nähe des Mädchens zum Salafismus. Doch ob die Jugendliche aus religiösen Motiven zum Messer griff oder aus Zorn über die Ausweiskontrolle überreagiert hat - das ist offen.

Deshalb warnen die Verteidiger des Mädchens vor einer öffentlichen Vorverurteilung. Doch die hat bereits stattgefunden. Ein Boulevardblatt stempelte die 15-Jährige zum »Terror-Mädchen«, ein Infoportal zur »skrupellosen Salafistin«.

Erwiesen ist: Im Grundschulalter saß das Mädchen in einem islamistischen Propaganda-Video neben dem Hassprediger Pierre Vogel und las Koranverse vor. Die Jugendliche soll konservative religiöse Ansichten vertreten und in einem Islam-Kreis verkehrt haben, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Anfang des Jahres war sie auf eigene Faust nach Istanbul gereist, wie es heißt, um nach Syrien zu gelangen. Die Mutter holte das Mädchen jedoch zurück nach Hannover.

Dort ist der Fall inzwischen zum Politikum geworden, denn: Die rot-grüne Landesregierung will das Gesetz für den Verfassungsschutz dahingehend novellieren, dass der Nachrichtendienst künftig nur Personen beobachten darf, die bereits 16 Jahre alt sind. Bislang liegt diese Grenze bei 14 Jahren.

Mit dem Erhöhen dieser Grenze, so donnerte der parlamentarische CDU-Geschäftsführer Jens Nacke, gehe Innenminister Boris Pistorius (SPD) ein Sicherheitsrisiko »bei der Erfassung extremistischer Aktivitäten« ein. Der Unionsmann verwies auf den Fall der 15-Jährigen - und auch dem Minister war angesichts dieses Geschehens offenbar unwohl. Drei Tage nach Nackes Anwurf empfahl Pistorius, es bei den bisherigen Regelungen zu belassen. Die Messerattacke »mit einem möglicherweise islamistischen Hintergrund« gebe Anlass, auf die Erhöhung der Mindestaltersgrenze zu verzichten.

»Wir begrüßen das«, reagierte Jens Nacke, legte nun aber auf die Grünen an. Während Pistorius »seine Fehleinschätzung« eingesehen habe, wolle der Koalitionspartner »die Realität der islamistischen Bedrohung verdrängen«. Mit diesem Kurs seien die Grünen »ein Sicherheitsrisiko für Niedersachsen«.

Bei der Gefahrenabwehr, konterte Grünen-Innenexperte Helge Limburg im Landtag, gebe es keine Altersgrenze. Wenn der Verfassungsschutz Hinweise auf geplante Straftaten habe, werde er diese weitergeben - ungeachtet eines Alterslimits. Die Grenze von 16 Jahren solle dann gelten, wenn der Nachrichtendienst »verfassungsfeindliche Bestrebungen« beobachtet; deren Akteure aber seien »in aller Regel Erwachsene«.

Werden SPD und Grünen nun um die Altersgrenze streiten? Erst einmal, so gab Helge Limburg im Gespräch mit »nd« zu verstehen, solle abgewartet werden, wie die Ermittlungen zum möglichen Tatmotiv der 15-Jährigen ausgehen. Erst wenn dazu Klarheit bestehe, sei es angebracht, dass sich die Koalitionspartner zusammensetzen und in puncto Altersgrenze weiter beraten.

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