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Schlauchboote zu Rucksäcken

Auf der griechischen Insel Lesbos helfen Kunststudenten Flüchtlingen

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 4 Min.
Wenn Flüchtlinge auf Lesbos ankommen, haben sie oft ihr letztes Gepäck verloren. Gleichzeitig säumen Schlauchboote und Rettungswesten die Küste. Zwei Kunststudentinnen brachte das auf eine Idee.

Kilometerlang säumen an der Nordküste der griechischen Insel Lesbos die Überreste zerstörter Schlauchboote den Strand. Oft meterhoch reichen die Berge aus Schwimmwesten, die die Flüchtlinge nach der Überfahrt hier zurückgelassen haben. Was für Aktivisten ein Monument für Europas Versagen in der Flüchtlingskrise und für Anwohner eine ökologische Katastrophe ist, soll nun Flüchtlingen bei ihrer Weiterreise helfen: Zwei niederländische Design-Studentinnen machen aus alten Rettungswesten und Schlaubooten Taschen für Flüchtlinge.

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»Ich wollte helfen, aber ich wollte es so tun, dass ich meine Qualifikation einbringen kann«, erzählt die 25-jährige Floor Nagler. Im Januar kam die Amsterdamer Kunststudentin zum ersten Mal nach Lesbos, half dort wie Hunderte andere Freiwillige dabei, Flüchtlinge sicher aus ihren Booten an Land zu bringen. Danach, so sagt sie, gingen ihr zwei Dinge nicht mehr aus dem Kopf: »Viele Flüchtlinge brauchen dringend Taschen, weil sie ihr Gepäck auf dem Weg verloren oder es auf See über Bord geworfen haben. Gleichzeitig gibt es diese riesige Menge an Material.«

Gemeinsam mit ihrer Amsterdamer Kommilitonin Didi Aaslund entwickelte Nagler das Konzept für einen Rucksack für Flüchtlinge. »Wir wollten einen Rucksack, den jeder ohne Strom und Nähmaschine herstellen kann und der maximal drei Euro kostet«, sagt Aaslund. Zusammen haben die beiden im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos vergangene Woche ihren Workshop durchgeführt: »Eigentlich wollten wir es nur einmal ausprobieren. Wir hätten nie gedacht, dass es so ein großer Erfolg wird. In einer Woche haben wir zwischen 120 und 130 Taschen gemacht.«

Noch immer ist Lesbos der Ort, an dem die meisten Flüchtlinge zum ersten Mal europäischen Boden betreten. Rund eine halbe Million Menschen waren es im vergangenen Jahr, oft mehrere tausend pro Tag. Der Grund: Im Norden trennen die Insel nur rund acht Kilometer vom türkischen Festland. Oft erreichen täglich mehrere Dutzend Boote den rund 30 Kilometer langen Küstenabschnitt. Obwohl und gerade weil Mazedonien seine Grenze für Flüchtlinge geschlossen hat und die Balkanroute damit zurzeit für Flüchtling de facto dicht ist, leben in Lesbos’ Flüchtlingslager Moria immer noch Tausende Menschen, ohne zu wissen, wie es mit ihnen weitergehen wird. Aaslund und Nagler sehen ihren Taschen-Workshop deshalb auch als eine Art interkulturelle Beschäftigungstherapie.

»Die Flüchtlinge kommen aus ihrem alten Leben, haben ihren Job oder ihr Studium verloren. Plötzlich gelten sie als Illegale, schlafen im Dreck und haben nichts zu tun«, erklärt Aaslund. Ihr Workshop solle auch dazu dienen, »Menschen durch nonverbale Kommunikation zusammenzubringen. Wir wollten eine Plattform schaffen, wo Menschen miteinander interagieren und sich unabhängig fühlen können, indem sie gemeinsam etwas herstellen«, sagt Aaslund. Nagler erzählt von Flüchtlingen, die erst lernten und dann lehrten, wie man Schlauchboote zu Taschen macht: »Die Grenze zwischen denen, die helfen und jenen, die Hilfe empfangen, verschwand plötzlich. Darum geht es.«

Die beiden Studentinnen sind nicht die einzigen, die bisher auf die Idee kamen, den Müll auf Lesbos in etwas Nützliches zu verwandeln. Im Oktober begannen die »Dirty Girls of Lesvos«, zurückgelassene Kleidung an den Stränden einzusammeln. 20 Freiwillige kümmern sich darum, dass die Kleidung in einer lokalen Wäscherei gewaschen wird und dann wieder bei den Flüchtlingen landet. Im November begann ebenfalls eine niederländische Studentin damit, aus alten Schlauchbooten Zelte zu bauen, in denen die Flüchtlinge in den völlig überfüllten Lagern übernachten sollten. Im Dezember versammelten sich über 100 Freiwillige, um die Strände von alten Schlauchbooten und Schwimmwesten zu säubern. Diese gingen u. a. an ein Projekt, das nicht nur Taschen und Regenmäntel für Flüchtlinge herstellte, sondern auch griechischen Arbeitslosen Jobs brachte. Zuletzt machte der chinesische Künstler Ai Wei Wei mit 14 000 Schwimmwesten am Berliner Konzerthaus auf die Situation der Flüchtlinge aufmerksam.

Auch die Taschen von Nagler und Aaslund sollen irgendwann die Insel verlassen und in europäischen Läden zugunsten von Flüchtlingsprojekten verkauft werden. Gleichzeit planen sie einen dauerhaften Workshop für Flüchtlinge auf der Insel anzubieten.

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