Ein Leben im Warteraum
Die Geflüchteten in Idomeni hoffen auf die EU
Auch der EU-Türkei-Gipfel wird vermutlich nicht viel daran ändern: Die Situation im Flüchtlings-Notlager an der griechisch-mazedonischen Grenze bleibt prekär. Immer noch sind über zehntausend Menschen, die zuvor aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern geflüchtet sind, dort gestrandet. Die Grenze ist weiterhin dicht und der Regen macht den Menschen zu schaffen. Hilfsorganisationen und Ehrenamtliche haben die Versorgungslage aber mittlerweile etwas stabilisiert.
Viele der Geflüchteten warten auf die Fortsetzung des heutigen Gipfels. Im Mittelpunkt wird dort ein Verteilungsvorschlag des türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu stehen. Das Konzept sieht die Rückführung von Geflüchteten von den griechischen Inseln in die Türkei und eine gleichzeitige Verteilung syrischer Geflüchteter aus der Türkei in die EU im geordneten Verfahren und nach Registrierung vor.
Der Vorschlag, den Angela Merkel zusammen mit dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte ausgearbeitet hat,basiert auf einem Konzept des Think Tank European Stability Initiative, das am 4. Oktober 2015 veröffentlicht wurde.
Das Problem: Der Vorschlag sah damals vor, dass Deutschland oder andere aufnahmebereite Staaten vorangehen und die Vereinbarung direkt mit der Türkei schließen. Die neue Idee nun, die Verteilung über die gesamte EU laufen zu lassen, macht einen Erfolg unwahrscheinlich. Die Crux bleibt nach wie vor, dass die meisten Staaten nicht zu einer Aufnahme bereit sind.
Räumung oder Verlegung? Das Zauberwort heißt »Relocation«. Nur, wer macht das eigentlich?
Viele Staaten beteiligen sich noch heute nicht an der Verteilung, die im September letzten Jahres durch die EU beschlossen wurde. Durch den »Emergency Relocation Mechanism« sollen innerhalb eines Jahres 160.000 Menschen zwischen den Staaten verteilt werden. Nach Information der Europäischen Kommission sind bis zum 16. März diesen Jahres erst 7015 Plätze in immerhin 22 Staaten bereit gestellt worden. Das sind gerade mal 4,38 Prozent der Zielzahl. Für die Geflüchteten in Idomeni gibt es kein eigenes Programm. Dennoch wird ihnen von UNHCR und der griechischen Regierung versprochen, dass sie bei einem freiwilligen Verlassen des Lagers eine Chance haben, über das Relocation-Programm doch noch in ihre Wunschstaaten weiter vermittelt zu werden. Am Montag dieser Woche hatte die griechische Regierung 33.320 MigrantInnen registriert. Die Zahl der Menschen, die durch die Grenzschließungen zum Monatsende festsitzen könnte, wird auf über 100.000 geschätzt. Bis März sind aus Griechenland erst 569 Geflüchtete in das Relocation Programm aufgenommen worden. Auf Nachfrage erklärt Mark Camilleri, Policy and Interinstitutional Relations Coordinator des European Asylum Support Office (EASO), Gründe seien der langsame Aufnahmeprozess der Mitgliedsländer und dass nicht alle Geflüchteten teilnahmeberechtigt seien. Allerdings wurde zur Unterstützung zum 15. März ein Pilot-Projekt zur Registrierung durch EASO gestartet, was die griechische Regierung bisher abgelehnt hatte.
Ein weiterer Anreiz zum Verlassen des Camps soll die Unterbringung in einem der großen Auffanglager sein. Bis Sonntag wurden in Griechenland 14 neue Auffanglager für 17.400 Menschen eröffnet, wie der neu gegründete Flüchtlingskrisenstab kürzlich erklärte. Bisher war dies kaum notwendig, da die meisten Geflüchteten nicht lange in Griechenland blieben. Eines dieser Lager in der Nähe Thessaloniki konnte ich vor Ort besichtigen.
Die Infrastruktur des durch die Armee betriebenen und für bis zu 4000 Personen ausgelegten Lagers kann es mit so manchem Notlager in Deutschland aufnehmen. In einigen Camps sollen die Zelte jedoch nicht wasserdicht installiert sein. Die Essensversorgung ist zumindest besser als in Idomeni. Das Hauptproblem aber ist die mangelnde Perspektive: Kaum jemand kann sich vorstellen, dauerhaft in Griechenland zu bleiben. Dementsprechend finden auch kaum Integration, keine Durchmischung, Wohnungsvermittlung, keine Sprachkurse oder Arbeitsmarktunterstützung statt: Ein Leben im Warteraum. Dennoch nehmen viele Familien mit kleinen oder kranken Kindern dieses Angebot wahr und beziehen die neuen Auffanglager.
Anfällig für jede Hoffnung
Viele wollen sich damit nicht zufrieden geben. Sie wollen dennoch weiter nach Österreich, Deutschland, Schweden oder in die Niederlande reisen. Einige werden die von den Schleppern auch weiterhin angebotenen illegalen Routen in Anspruch nehmen. Viele wollen bleiben bis die Grenzen wieder aufgemacht werden. Die vor Ort aufgebaute Versorgungsinfrastruktur und die mediale Aufmerksamkeit machen ihnen Mut, dass sie dieses Ziel erreichen können. Dabei kommt es auch immer wieder zu öffentlichkeitswirksamen Aktionen, Protesten am Grenzzaun oder auch zu Versuchen, in größerer Anzahl nach Norden zu ziehen.
Einer dieser Versuche fand Montag statt. Unter dem Schlagwort #marchofhope zogen über 1000 Menschen durch einen reißenden Fluss im Westen von Idomeni auf die mazedonische Seite der Grenze. Dort wurden durch die mazedonische Polizei von MedienvertreterInnen isoliert, misshandelt und in der Folge ohne die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen oder einen Rechtsbeistand zu konsultieren nach Griechenland deportiert. Diese offensichtliche Verletzung des Presserechts, der Genfer Flüchtlingskonvention und weiterer Konventionen wurde aber politisch weniger thematisiert, als die Frage, wer die Geflüchteten wie koordinierte. Wie üblich stand bald die These im Raum, dass alle Geflüchteten von europäischen Helfenden aufgestachelt worden seien. Ausgehend von rechten Hetzblättern verbreitete sich diese Sichtweise und wurde bald im deutschen Mainstream als selbstverständlich dargestellt: Welchen Einfluss ein unter dem Pseudonym »Kommando Norbert Blüm« verteiltes Flugblatt tatsächlich auf die Aktion hatte, kann nicht beurteilt werden.
Die Aktion der Geflüchteten, der vermutlich bald weitere folgen werden, zeigt nur erneut, wie verzweifelt die Lage vor Ort ist, aber auch wie politisch aufgeladen sie ist. Denn wohlgemerkt fordern viele der Geflüchteten eben nicht, die Grenzen nur für sie zu öffnen, sondern dass das allgemein geschehen solle. Dieser Einsatz für die Einhaltung des Schengen-Abkommens und einen für Personenverkehr geöffneten europäischen Raum, zeigt wie absurd und aufgeladen die Flüchtlingsfrage mittlerweile geworden ist. Da weder das EU-»Relocation Programm« in seiner jetzigen Form noch der »Merkel Plan« mit der Türkei? funktionieren, solange sich weiter die meisten europäischen Länder gegen eine Aufnahme von Geflüchteten sträuben, wird die Situation in Idomeni absehbar noch eine Weile so weiter gehen. Solange werden die Menschen weiter im Schlamm warten.
Fabio Reinhardt ist Sprecher für Flüchtlings- und Integrationspolitik der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Bereits im November berichtete er für »nd« von seiner Reise entlang der Balkanroute. Der Artikel ist unter diesem Link abrufbar.
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