Rousseff auf der Suche nach Verbündeten
Brasiliens Präsidentin gibt auch nach dem Abgang des wichtigsten Koalitionspartners nicht klein bei
Die brasilianische Regierungskoalition unter Präsidentin Dilma Rousseff ist geplatzt. Ihr wichtigster Koalitionspartner, die Mitte-Rechts-Partei PMDB (Partei der demokratischen Bewegung), entschied am Dienstag (Ortszeit), die Regierung zu verlassen. Die Beschluss der Parteiführung wurde nahezu einstimmig gefällt, wie die Zeitung »O Globo« in ihrer Online-Ausgabe berichtete.
Rousseff hat daraufhin angekündigt, noch in dieser Woche eine neue Koalition vorzustellen. Das teilte ihr Stabschef Jaques Wagner mit. Der Rückzug der Partei PMDB gebe der Präsidentin die Gelegenheit, »für ihre verbliebenen zwei Jahre und neun Monate im Amt« ein neues Bündnis zu schmieden.
Ungeachtet von Rousseffs Absichten steigen die Erfolgsaussichten für ein Amtsenthebungsverfahren, das die Opposition gegen sie auf den Weg gebracht hat. Wegen Ermittlungen in einem Korruptionsskandal und einer schweren Wirtschaftskrise steht die Mitte-Links-Regierung Rousseffs seit Wochen unter Druck.
Die PMDB, die mit 69 Abgeordneten die größte Fraktion im Parlament stellt, gab ihre sieben Ministerposten zurück. Sie bilden die größte Fraktion im Abgeordnetenhaus, größer noch als Rousseffs PT (58 Mandate). Aber die Partei hat starke regionale Wurzeln und deshalb eine lange Tradition der Uneinigkeit, sodass nicht klar ist, wie viele der Abgeordneten tatsächlich ins Anti-Rousseff-Lager überlaufen und damit die Front der Gegner verstärken. Klar ist: Parteichef Michel Temer bleibt aus Kalkül vorerst Vizepräsident. Im Fall einer Amtsenthebung Rousseffs wäre er ihr Nachfolger bis zum Ende der Legislaturperiode im Dezember 2018. Temer war bereits während Rousseffs erster Amtszeit (2011-2014) Vizepräsident. Auch unter ihrem Vorgänger Lula da Silva (2003-2010) war die PMDB größter Koalitionspartner der regierenden Arbeiterpartei PT.
Die Regierung befürchtet, dass mehrere kleine Koalitionsparteien dem Beispiel der PMDB folgen und die Zusammenarbeit aufkündigen. Damit könnte eine Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Parlamentskammern zustande kommen, die notwendig ist, um Rousseff aus dem Amt zu drängen.
Im Amtsenthebungsverfahren, das derzeit von einer Parlamentskommission geprüft wird, werden Rousseff Regelverletzungen beim Umgang mit Staatsgeldern vorgeworfen. Für eine Verwicklung der Präsidentin in den Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras gibt es außer einer umstrittenen Kronzeugenaussage bisher keine Anhaltspunkte.
Rousseff schloss einen Rücktritt bislang aus. Ihren Gegnern wirft sie Putschabsichten vor. Aufgrund von Massendemonstrationen für und gegen Rousseff ist die politische Lage im größten Land Lateinamerikas stark angespannt.
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