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»Die Lage ist entsetzlich«
Im Sudan organisieren Aktivistinnen wie Duaa Tarig das Überleben im Krieg
»Die Lage im Sudan ist entsetzlich.« Daran lässt die in einem zivilen Widerstandskomitee in der Hauptstadt Khartum tätige Duaa Tarig gegenüber »nd« keinen Zweifel. Sie war schon während der Revolution 2018 aktiv und organisierte Mobilisierungen in der Nachbarschaft. Die Demokratiebewegung brachte damals mit ihren mutigen Straßenprotesten die seit 1989 währende Diktatur von Omar Al-Baschir in Bedrängnis. Al-Baschirs Gefolgsleute, die Generäle Fattah Al-Burhan und Mohammad Hamdan Daglo alias Hemeti nutzten die Gunst der Stunde, stürzten Al-Baschir im April 2019 und übernahmen selbst die Macht. Im Oktober 2021 putschten sie gemeinsam gegen die eingesetzte zivil-militärische Übergangsregierung von Abdullah Hamdok. Bis zum 15. April 2023 funktionierte das Zweckbündnis mit Al-Burhan als Präsidenten und Hemeti als seinem Vize, bis die geplante Integration der paramilitärischen Milizen der Rapid Support Forces (RSF) von Hemeti in die Armee (SAF) von Al-Burhan sie entzweite – seitdem ist Krieg: Von den etwa 50 Millionen Sudanes*innen sind laut UN knapp 13 Millionen Menschen vertrieben worden. Schätzungen gehen von 60 000 bis 150 000 Todesopfern sowohl durch direkte Gewalt als auch durch Hunger und Krankheiten als indirekte Kriegsfolgen aus.
Sichere Räume für Kinder, Rückzugsräume für Frauen
»Unsere Rolle hat sich seit dem Kriegsbeginn 2023 nicht wesentlich verändert, es geht weiter darum, die lokalen Communitys zu unterstützen, Gemeinschaftsküchen zu betreiben, sichere Räume für Kinder und Rückzugsräume für Frauen zu schaffen. Das sind unsere Ansätze, um diese schwierige Zeit des Krieges zu überstehen«, sagt die Mitgründerin der sozial engagierten Kunstgruppe Color Sudan. Unter anderem mit Zeichenseminaren helfen sie vor allem Kindern bei der Bewältigung ihrer Traumata. Und die Künstler*innen engagieren sich überdies in den Notunterkünften, der halb zerstörten und halb leeren Hauptstadt. Kunst für sozialen Wandel einzusetzen, um Leute für die Bewegung zu mobilisieren, sei seit 2018 der Antrieb, erzählt Tarig.
Die Armee unter Al-Burhan ist in der Provinz Khartum seit Monaten auf dem Vormarsch und hat am 26. März auch die Hauptstadt Khartum zurückerobert. »Khartum ist befreit. Es ist vorbei«, verkündete Al-Burhan im zurückerkämpften Präsidentenpalast. Vorbei ist der Krieg bei Weitem nicht, aber in Khartum sollen bald wenigstens die Schulen wiedereröffnet werden. »Gerade putzen wir, die Schulen werden auf die Rückkehr von Unterricht vorbereitet, der zwei Jahre ausgefallen ist«, erzählt Tarig. »Es geht jetzt darum, die traumatischen Erfahrungen aus den vergangenen zwei Jahren Krieg zu verarbeiten.«
In der Revolution war die sudanesische Frauenbewegung ein wichtiger Träger. Der Krieg hat sie geschwächt. »Die Frauenbewegung ist stark durch die Vertreibungen betroffen, viele Frauen sind auch außer Landes geflohen, die zivilen Organisationen können unter den Bedingungen des Krieges nicht richtig funktionieren«, erzählt die Künstlerin. »Die Feministinnen, die im Land geblieben sind, wie ich, versuchen so gut wie eben möglich, andere Frauen zu unterstützen, zum Beispiel mit den sogenannten Women Emergency Response Rooms, Notfalleinrichtungen für Frauen, die der Gewalt im Krieg in besonderem Maße ausgesetzt sind.« Trotz der Schwächung der Frauenbewegung übernähmen Frauen seit dem 26. März eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau in Khartum, sagt Tarig.
Frauenkooperativen sind en vogue
Frauenkooperativen sind im Sudan weitverbreitet. Sie ermöglichen es vielen sudanesischen Frauen, sich gegenseitig zu unterstützen. In jeder Genossenschaft sind 15 bis 20 Frauen zusammengeschlossen, die den Bedürftigen finanzielle, psychosoziale und beratende Dienste anbieten. »Wir treffen uns einmal in der Woche und sammeln Geld, das dann an die Bedürftigsten weitergereicht wird«, schildert Tarig eine gängige Praxis. Die umso wichtiger ist, weil viele Hilfsorganisationen aus dem Ausland das Land wegen des Krieges längst verlassen haben.
Von der Internationalen Gemeinschaft, die sich zum Jahrestag des Kriegsbeginns am 15. April in London traf, wünscht sich Tarig mehr Engagement: »Sie sollte eine größere Rolle beim Schutz der Zivilisten spielen, stärkeren Druck auf die Kriegsparteien ausüben, dass sie die Menschenrechte einhalten, auch die Meinungsfreiheit.« Im Sudan sind viele humanitäre Helfer ums Leben gekommen. »Viele lokale Freiwillige, die Grausamkeiten ausgesetzt sind, müssen als humanitäre Helfer anerkannt und geschützt werden«, fordert Tarig.
Die einflussreichen G7-Staaten haben am 15. April die Konfliktparteien zu einer Waffenruhe aufgerufen. »Wir fordern eine sofortige und bedingungslose Waffenruhe«, hieß es am Dienstag in einer gemeinsamen Erklärung. »Wir drängen sowohl die SAF als auch die RSF zu ernsthaften und konstruktiven Verhandlungen«, erklärte die Staatengruppe weiter.
Die G7 schlossen sich damit dem Appell der Londoner Sudan-Konferenz an: »Die Priorität muss sein, einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand zu erreichen und den Konflikt zu beenden.« Dort ging es auch um humanitäre Hilfe: In diesem Jahr sollen von den Geberstaaten insgesamt 813 Millionen Pfund (etwa 953 Millionen Euro) für den Sudan bereitgestellt werden, teilte die britische Regierung mit. Deutschland hatte bereits am Montag 125 Millionen Euro Unterstützung für den Sudan und benachbarte Staaten zugesagt.
Die Konfliktparteien nahmen nicht an der Konferenz in London teil. Menschenrechtsgruppen werfen beiden Seiten Kriegsverbrechen vor. Die Mahnungen zur Rücksicht auf die Zivilbevölkerung und zum Frieden dürften sich vor allem auch an deren Unterstützer richten. Während die Armee der Denkfabrik International Crisis Group (ICG) zufolge Unterstützung und Waffenlieferungen arabischer Staaten erhält – insbesondere von Ägypten –, hat die RSF vor allem in den Vereinten Arabischen Emiraten Rückhalt. Die beiden Länder waren in London vertreten.
Die ICG geht nicht von einem baldigen Ende des Blutvergießens aus. Statt den Fortschritt bei der Kontrolle der Hauptstadt »für den Frieden zu nutzen, scheint die Armee auf einen totalen Sieg zu drängen, während die RSF den Krieg auf neue Gebiete ausweiten will«, heißt es im jüngsten ICG-Bericht. »Beide Seiten erhalten weiterhin reichlich Unterstützung von außen, um ihre Kämpfe fortzusetzen.« Eine weitere Eskalation könnte zum Zerfall des Landes führen.
Staatszerfall ist eine Option
Zum Zerfall könnte auch die Ankündigung von RSF-Anführer Hemeti beitragen: »An diesem Jahrestag verkünden wir stolz die Gründung der Regierung des Friedens und der Einheit, einer breiten Koalition, die das wahre Gesicht des Sudan widerspiegelt«, erklärte er im Onlinedienst Telegram. Er kündigte zudem die Einführung einer »neuen Währung« und die Ausgabe »neuer Personalausweise« an. Die RSF haben zwar militärisch zuletzt viel Terrain im Zentralsudan verloren, doch sie kontrollieren große Teile der Provinz Darfur im Westen und haben auch Unterstützung von Rebellenbewegungen aus dem Süden Sudans – nicht zu verwechseln mit Südsudan, das sich 2011 von Sudan abgespalten hat.
Für Duaa Tarig und ihre Mitstreiterinnen ändert sich bis auf Weiteres nichts: »Ich bin weiter in den Widerstandskomitees aktiv, derzeit geht es darum, den riesigen Schäden, die der Krieg verursacht hat, zu widerstehen. Er hat katastrophale Auswirkungen auf das Alltagsleben der Zivilbevölkerung.«
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