Überraschung aus der Zeugenkiste
Eingestelltes Verfahren gegen Thüringer Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Dietrich wieder aufgenommen
Erst vor wenigen Wochen hatte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Erfurt gesagt, die Strafverfolgungsbehörde habe ihre Untreue-Ermittlungen gegen Thüringens Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Christian Dietrich, eingestellt. »Im Ergebnis der geführten Ermittlungen, insbesondere aber aufgrund der nachvollziehbaren Angaben des Beschuldigten, liegen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen strafrechtlich relevanter Handlungen mehr vor«, hatte der Sprecher gesagt.
Nun ist das offenbar anders. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Erfurt bestätigte, dass das Ermittlungsverfahren gegen Dietrich wiederaufgenommen worden ist. Ein mutmaßlicher Zeuge in dem Verfahren habe Angaben gegenüber der Staatsanwaltschaft gemacht, sagte die Sprecherin. Nun werde seine Aussage geprüft. Dann werde die Behörde entscheiden, ob sie das Ermittlungsverfahren erneut einstelle oder weiter ermittele.
Die Zimmermann-Affäre beschäftigte die Thüringer Politik in den Jahren 2013/14 sehr: Die damalige CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht hatte ihren Regierungssprecher Peter Zimmermann Anfang Juli 2013 mit Versorgungsansprüchen in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Das hatte massive Kritik bei der Opposition und auch beim Koalitionspartner SPD ausgelöst – von Staatspensionär und Versorgungsmentalität war die Rede. Die Grünen erstatteten Strafanzeige gegen Lieberknecht. Ende Juli hatte Zimmermann, der zum September als Geschäftsführer zu einer Leipziger Internetfirma wechselte, selbst seine Entlassung aus dem Amt des Staatssekretärs beantragt. Durch die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand hatte er zuvor Versorgungsansprüche gehabt, von denen nur 80 Prozent mit seinen künftigen Bezügen in der Wirtschaft hätten verrechnet werden müssen. Der Justizausschuss des Landtags hob im September 2013 Lieberknechts Abgeordneten-Immunität auf. Nach mehreren Monaten stellte die Staatsanwalt im Februar 2014 die Ermittlungen ein. dpa/nd
Hintergrund der Ermittlungen sind Vorwürfe an Dietrich, er habe sich mehreren Untreue-Handlungen schuldig gemacht. Die Anschuldigungen waren in einem Schreiben erhoben worden, das den Titel »Informative Petition« trägt und sich seinem Briefkopf nach an alle Abgeordneten des Thüringer Landtages richtete. Im Juli 2015 war die Existenz des Dokuments öffentlich geworden. In dem achtseitigen Papier hieß es beispielsweise, Dietrich habe unüblich hohe Honorare an einen externen Dienstleister für die Neugestaltung des Behördenlogos gezahlt – und das, obwohl in der Behörde des Landesbeauftragten, Mitarbeiter für solche Aufgaben vorhanden gewesen seien.
Dietrich hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen und seine Unschuld beteuert. Auf die Einstellung des Ermittlungsverfahrens vor wenigen Wochen hatte er erleichtert reagiert: »Ich bin froh in einem Rechtsstaat zu leben«, sagte er.
Die Wiederaufnahme des Verfahrens provoziert nun auch Fragen an die Strafverfolgungsbehörde; vor allem: Warum wurde der Zeuge nicht schon früher vernommen, ehe die Staatsanwaltschaft zu ihrer bisherigen Entscheidung kam? In Erfurt heißt es, die Staatsanwaltschaft habe bei ihren ersten Ermittlungen überhaupt keine Zeugen in der Angelegenheit vernommen, sondern sich auf die Angaben Dietrichs gestützt, als sie das damals anhängige Verfahren einstellte.
Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft konnte bislang keine Angaben dazu machen, ob diese Darstellung zutreffend ist. Ihr sei nicht bekannt, ob außer den nun vernommenen Zeugen weitere Zeugen in dem Ermittlungsverfahren angehört worden seien.
Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat sich in den vergangenen Monaten immer wieder mit Anschuldigungen aus dem landespolitischen Raum befassen müssen. Seit der Pensionsaffäre 2013/14 um den damaligen Regierungssprecher Peter Zimmermann sind Strafanzeigen gegen politische Akteure in Thüringen fast schon an der Tagesordnung.
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