Verwirrung um Trump-Deal und London-Treffen

Die Ukraine hat kaum noch Mittel, sich gegen russische Luftangriffe zu wehren

Die ukrainische Hauptstadt Kiew hat die schlimmsten Luftangriffe seit Jahresbeginn erlebt.
Die ukrainische Hauptstadt Kiew hat die schlimmsten Luftangriffe seit Jahresbeginn erlebt.

Donald Trump stiftet einmal mehr Verwirrung. Am Mittwochabend verkündete der US-Präsident im Weißen Haus, über die Beendigung des Ukraine-Kriegs eine Einigung mit Russland erreicht zu haben. »Ich glaube, wir haben einen Deal mit Russland«, sagte Trump. Nun müsse er noch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj überzeugen, was »schwieriger« sei.

Wie genau dieser »Deal« aussieht, sagte Trump indes nicht, was umgehend zu Spekulationen führte. US-Medien berichten, die USA könnten die Besetzung der ostukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja faktisch anerkennen, ebenso die Krim-Annexion.

Laut dem Nachrichtenportal »Axios« will Washington zudem Moskau garantieren, dass die Ukraine niemals der Nato beitreten wird. Die USA könnten außerdem gegen Russland verhängte Sanktionen aufheben. Die Ukraine soll eine »robuste Sicherheitsgarantie« unter Beteiligung europäischer und nicht-europäischer Staaten erhalten. Gesichert sind diese Informationen nicht.

Trump kritisiert Selenskyj scharf

Am Dienstag hatte Trump Selenskyj nach dem Scheitern des London-Treffens scharf kritisiert und dem Ukrainer vorgeworfen, den Krieg in die Länge zu ziehen. »Selenskyj kann jetzt Frieden bekommen oder noch drei Jahre kämpfen, bevor er das ganze Land verliert«, schrieb Trump auf seiner Social-Media-Plattform Truth Social. Selenskyj bezeichnete er zudem als Hindernis für ein Kriegsende, als »Mensch ohne Karten für das Spiel«.

In der vergangenen Woche hatte die US-Regierung mit ihrem Rückzug aus den Ukraine-Verhandlungen gedroht, sollten Moskau und Kiew nicht zu Zugeständnissen bereit sein. Als deutlich wurde, dass das Treffen in London nicht die Erwartungen erfüllen wird, bekräftigte US-Außenminister JD Vance die Drohung erneut. Trumps Pressesprecher legte nach, nannte Trumps Geduld »am Ende« und sprach davon, dass sich Selenskyj »in die falsche Richtung« bewege.

Ein möglicher Grund für die schlechte Stimmung in Washington könnte darin liegen, dass Kiew das Treffen in London möglicherweise bewusst hat scheitern lassen. Trumps Friedensplan soll von der ukrainischen Regierung an die Medien durchgesteckt worden sein, schreibt das Nachrichtenportal »Strana«.

Vor allem beim Thema Krim soll bewusst ein Skandal provoziert worden sein, indem Trump in den Mund gelegt wurde, er würde von Selenskyj die Anerkennung der Halbinsel als russisch verlangen. Obwohl Trump das bereits verneint hat und von einer De-facto-Anerkennung von Washington ausgeht, war die Aufreger-Katze damit aus dem Sack. Selenskyj konnte erneut verkünden, die russische Annexion niemals zu akzeptieren, was ohnehin sein politisches Ende bedeuten würde.

Selenskyj will Frieden selbst bestimmen

Möglicherweise, so »Strana«, versucht Selenskyj mit diesem Manöver, Einfluss auf die USA zu nehmen und sie dazu zu bringen, (mögliche) Forderungen wie die Anerkennung ukrainischer Gebiete als russisch oder die Absage an den Nato-Beitritt zu überdenken und zurückzunehmen.

Selenskyj spielt damit in mehrerer Hinsicht ein gefährliches Spiel. Nato-Chef Mark Rutte hatte den Beitritt zum Kriegsbündnis bereits auf Eis gelegt. Das Thema aufzuwärmen, bringt nur unnötig Feuer in die Verhandlungen. Zudem könnten die USA tatsächlich ihre Hilfe massiv zurückfahren, was ein Problem wäre, da von den Europäern vor allem große Worte und Ankündigungen, aber so gut wie keine Taten kommen. Und: Ob Trump wirklich so russlandfreundlich ist, ist nicht vollends erwiesen. Der Geduldsfaden des US-Präsidenten mit Moskau wird immer dünner. Erstmals äußerte Trump öffentliche Kritik an Wladimir Putin auf Truth Social: »Wladimir, Stopp! Jede Woche sterben 5000 Soldaten. Lassen Sie uns ein Friedensabkommen schließen!«

Selenskyj hat die Aufregung um das London-Treffen erst einmal für sich genutzt und den USA einen eigenen Friedensplan zukommen lassen, den Washington allerdings kaum ernsthaft in Betracht ziehen dürfte.

Linke will internationale Bemühungen

Bei der Linken stößt das Gebaren der westlichen Staaten zunehmend auf Unverständnis. In einer Erklärung kritisieren der Fraktionsvorsitzende Sören Pellmann und Außenpolitik-Experte Gregor Gysi das Nichtstun und die Ideenlosigkeit vieler Länder: »Trump ist kein wirklicher Vermittler. Ihm geht es im Kern nur darum, sämtliche Kosten einzusparen. Ihm ist auch das Ergebnis egal, Hauptsache, es kommt eins zustande. Frankreich, Großbritannien, Deutschland und weitere europäische Länder sitzen derweil weiter der Hybris auf, dass die Ukraine den Krieg gewinnen könne, ohne je zu definieren, was für sie ein Sieg ist.«

Pellmann und Gysi fordern stattdessen, die Friedensbemühungen zu internationalisieren, und schlagen vor, dass der brasilianische Präsident Lula da Silva ein Vermittlungsteam zusammenstellt, das er gemeinsam mit UN-Generalsekretär António Guterres leitet.

Luftangriffe nehmen zu

Für die Ukraine wird die Zeit zunehmend knapper und die Situation immer angespannter. Seit der Amtseinführung Trumps hat Russland seine Angriffe mit Drohnen und Raketen intensiviert, hat das unabhängige ukrainische Medium »Texty« recherchiert. In zwölf Regionen flog Russland in den vergangenen knapp 100 Tagen doppelt so viele Angriffe wie zuvor. In einigen Region wie Odessa verzehnfachten sich die Attacken sogar.

In der Nacht zu Donnerstag flog Russland nach ukrainischen Angaben die schwersten Angriffe auf Kiew seit Jahresbeginn. Mindestens zwölf Menschen kamen dabei ums Leben, 90 weitere wurden verletzt. Moskau sprach von einem »erfolgreichen und zielgenauen Angriff« auf kriegsrelevante Fabriken, in denen Raketenteile und -treibstoff hergestellt werden. Die ausschließlich zivilen Opfer und zerstörten Wohnhäuser wurden nicht erwähnt. Dass Russland die ukrainische Hauptstadt so massiv angreifen konnte, liegt möglicherweise auch am zunehmend kritischen Mangel an Flugabwehrraketen. Die Ukraine habe nicht mehr ausreichend Mittel, um so viele Raketen und Drohnen abzuschießen, klagte Innenminister Ihor Klymenko. Ukrainische Beobachter befürchten, dass Klymenko die Lage sogar noch schönredet und der Himmel über der Ukraine bald komplett frei für russische Raketen und Drohnen sein könnte.

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