Tata sagt bye-bye
Konzern will britische Stahlwerke loswerden - Zehntausende Jobs in Gefahr
Der britischen Stahlindustrie droht das endgültige Ende. Der Vorstand des indischen Unternehmens Tata ließ am Dienstag verlauten, dass sich die finanzielle Position der britischen Tochterfirma im vergangenen Jahr drastisch verschlechtert habe und diese Werke nun verkauft werden sollen. »Alle Optionen für eine Restrukturierung« der Operationen würden nun geprüft.
Sollte sich kein Käufer finden, wären die Folgen für die britische Industrie dramatisch: Tata beschäftigt im Land rund 15 000 Angestellte, darunter 4000 am größten Standort im walisischen Port Talbot. Laut Berechnungen des Institute for Public Policy Research hängen weitere 25 000 Jobs direkt von Tata ab, darunter Eisenhersteller, Maschinenproduzenten und Öllieferanten. Die indirekten Kosten einer möglichen Schließung der Stahlwerke für die lokale Wirtschaft sind in dieser Kalkulation noch gar nicht einberechnet.
Premierminister David Cameron und Wirtschaftsminister Sajid Javid sind nun eigens aus ihrem Urlaub zurückgekehrt, um Krisengespräche zu führen. »Wir wollen die langfristige Zukunft für Port Talbot und andere Stahlwerke in Großbritannien sichern«, sagte Cameron am Donnerstag. Eine Verstaatlichung schloss er jedoch aus.
Die Stahlindustrie war einst eine tragende Säule der britischen Wirtschaft: Anfang der 1970er Jahre beschäftigte das staatliche Unternehmen British Steel 200 000 Arbeiter. In den folgenden Jahrzehnten brach die gesamte britische Industrie stark ein. 1988, als British Steel privatisiert wurde, arbeiteten noch 55 000 Angestellte in der Stahlherstellung, heute sind es weniger als 20 000.
Die jüngsten Probleme sind vor allem auf die Konkurrenz aus China zurückzuführen, die Stahlproduzenten in ganz Europa seit Jahren Schwierigkeiten bereitet. 2015 importierte Großbritannien 826 000 Tonnen billigen chinesischen Stahls - mehr als doppelt so viel wie zwei Jahre zuvor. Der Aktienkurs von Tata Steel halbierte sich innerhalb der vergangenen fünf Jahre. Bereits im Herbst hatte die Stahlkrise zu großen Stellenverlusten im Nordosten Englands geführt. Im Januar kündigte Tata die Streichung von weiteren 1000 Arbeitsplätzen an.
Die Regierung trägt dafür zumindest einen Teil der Verantwortung: Sie hat sich in den vergangenen Jahren einem besseren Schutz der europäischen Industrie stets widersetzt. Sehr zur Frustration von Staaten wie Frankreich oder Italien hat London Versuche blockiert, EU-weite Anti-Dumping-Maßnahmen gegen billige Importe aus China einzuführen, wie es etwa die Vereinigten Staaten tun.
Die oppositionelle Labourpartei hat die Regierung denn auch scharf kritisiert, weil sie sich nicht entschlossen genug für die britische Stahlindustrie einsetze. Der Abgeordnete Stephen Kinnock, in dessen Wahlkreis Port Talbot liegt, warf der Regierung »jämmerliches Versagen« vor. »Unsere Industriestrategie wird von Peking diktiert.« Labour-Schattenfinanzminister John McDonnell legte am Donnerstag einen Plan vor, wie die Produktion in den Tata-Werken weitergeführt werden könne. Der erste Schritt zur Stabilisierung sei die vorläufige Verstaatlichung.
Auch der Vorsitzende der größten Gewerkschaft des Landes, Unite-Chef Len McCluskey, sprach von einer Industriekrise »gigantischen Ausmaßes«, die sich auf den Rest der Wirtschaft auswirken würde. Er zog einen Vergleich zur Finanzkrise, als die Regierung hunderte Milliarden Pfund in die Rettung der Banken gesteckt habe, weil sie für die Wirtschaft unentbehrlich waren. »Genau das müssen wir jetzt für die Stahlindustrie tun«, sagte McCluskey.
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