Das Gold reist im Pappkarton
Venezuela verscherbelt seine letzten Reserven an Edelmetallen in die Schweiz
Die Schweizer Zollverwaltung führt Buch über Im- und -Exporte von Gold. Im Fall von Venezuela zeigen diese Zahlen Erstaunliches: In den sechs Monaten von September 2015 bis Februar 2016 hat Venezuela knapp 72 Tonnen Gold in die Schweiz exportiert. Die größte Lieferung kam im Januar: über 35 Tonnen. Dabei ist Venezuela kein großer Goldproduzent. Das US Geological Survey, ein Forschungsinstitut der US-Regierung, schätzt die Goldproduktion des Landes im Jahr 2012 auf zwölf Tonnen. Vermutlich kommt das Gold von der venezolanischen Nationalbank BCV. Darauf deutet auch ein weiterer Goldtransport in diesem Monat (März) hin. Die venezolanische Internetseite »El Cooperante« hat den Frachtschein für diese Lieferung publiziert. Absender ist die Nationalbank BCV. Empfänger ist die Zürcher Niederlassung von Brinks, ein auf den Transport von Wertsachen spezialisiertes Unternehmen. Die Fracht: 12,5 Tonnen »Goldbarren«, verteilt auf 318 »Pappkartons«.
Wegen des Ölpreisverfalls und der Wirtschaftspolitik von Venezuelas Präsidenten Hugo Chavez und seines Nachfolgers Nicolas Maduro steht das Land vor dem Staatsbankrott. Öl macht rund 95 Prozent der Exporte aus, doch der Preis für das »schwarze Gold« ist in den letzten zwei Jahren von 120 auf 40 Dollar pro Barrel (159 Liter) gefallen. Die Inflation in Venezuela wird dieses Jahr auf über 700 Prozent steigen, schätzt der Internationale Währungsfonds. Und die Märkte gehen mittlerweile davon aus, dass Venezuela mit einer Wahrscheinlichkeit von 78 Prozent in den nächsten zwölf Monaten bankrott geht. Venezuela braucht Geld, um Importe zu finanzieren und Schulden zu begleichen. Der Nationalbank zufolge fielen die Währungsreserven des Landes in den letzten zwölf Monaten von 21 auf 14 Milliarden Dollar, ein Gutteil davon ist Gold.
Im Jahr 2011 hat der damalige Präsident Hugo Chavez angeordnet, dass die Goldreserven, die sich auch außerhalb des Landes befanden, nach Venezuela gebracht werden sollen. Anfang 2012 lagerte das Land 316 Tonnen Gold in Caracas und weitere 50 Tonnen in London. Das meiste des Londoner Golds ist aber mittlerweile als Pfand hinterlegt: Die venezolanische Zeitung El Nacional berichtete im April letzten Jahres, dass 44 Tonnen Gold in London gegen einen Kredit über eine Milliarde Dollar an die US-Bank Citibank verpfändet wurden. Damit blieb de facto nur noch das Gold in Caracas. Dieses lässt sich dort aber nicht »versilbern«. Zum einen ist die Reinheit des Goldes nicht mehr garantiert, weil es den internationalen Goldmarkt verlassen hat. Zum anderen akzeptiert keine Bank Gold als Pfand, solange dieses unter Kontrolle der Regierung Venezuelas ist. Um das Gold zu Geld machen zu können, muss die Zentralbank Venezuelas folglich Chavez’ Goldrepatriierung rückabwickeln und das Gold wieder in Ausland bringen - etwa in die Schweiz.
Im November 2015 wies die Nationalbank 296 Tonnen Gold aus, darunter wohl auch jenes, das mittlerweile von der Citibank kontrolliert wird. Als die BCV das Londoner Gold verpfändete, berichtete Reuters, dass die BCV »das Gold höchstwahrscheinlich in der Bilanz weiter als Teil der Reserven führen kann«. Dies wäre eine innovative Form der doppelten Buchhaltung: Denn so würde sowohl der Milliardenkredit als auch das Pfand in der Bilanz geführt. Wenn die BCV dies tatsächlich tut, hätte sie per Ende November in Wahrheit nur noch 252 Tonnen Gold zur freien Verfügung gehabt. Dank der Schweizer Zollverwaltung ist weiter bekannt, dass Venezuela seither 54 Tonnen in die Schweiz exportiert hat. Das reduziert den Goldbestand auf 198 Tonnen. Rechnet man schließlich die Märzlieferung in »Pappkartons« mit ein, kommt man auf verbleibende 186 Tonnen. Seit Chavez' »Gold-Heimholung« hätte sich somit die Hälfte des Goldes verflüchtigt.
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