Böhmermann entfacht Debatte um Satire
Linke kritisiert Löschung des Beitrags aus der Mediathek / Merkel nennt ZDF-Satire über Erdogan »bewusst verletzend«
Mainz. Bis in höchste politische Kreise hat Moderator Jan Böhmermann mit seinem Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für Wirbel gesorgt - und damit eine Diskussion um Grenzen von Satire ausgelöst. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte den Beitrag mit Formulierungen, die unter die Gürtellinie zielten, »bewusst verletzend«. Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, bezeichnete ihn als »instinktlos«.
An Böhmermanns »Neo Magazin Royale« soll sich nach Angaben des ZDF nichts ändern. Es werde die Sendung bleiben wie bislang auch, sagte ein Sprecher am Montag. Er verwies auf frühere Aussagen von Programmdirektor Norbert Himmler und Unternehmenssprecher Alexander Stock. Himmler hatte erklärt: »Wir sind bekannt dafür, dass wir bei unseren Satire-Formaten breite Schultern haben und den Protagonisten große Freiräume geben.« Es gebe aber Grenzen der Ironie und Satire.
Das ZDF hatte in der Nacht zu Samstag in der Wiederholung der Sendung einen Beitrag gestrichen, der am vorigen Donnerstag auf ZDFneo erstmals ausgestrahlt worden war. Böhmermann hatte ein mit »Schmähkritik« überschriebenes Gedicht über Erdogan vorgelesen. Er nahm Bezug auf das NDR-Fernsehmagazin »extra 3«, das zuvor einen satirischen Beitrag über Erdogan ausgestrahlt hatte. Darauf hatte der türkische Präsident den deutschen Botschafter in Ankara einbestellt.
»In der besonderen Schärfe ist das aus meiner Sicht schon einzigartig«, sagte DJV-Chef Überall mit Blick auf die Reaktion der Türkei. Erdogan habe hierzulande gar Zensur gefordert. »Die instinktlose Reaktion Erdogans hat Böhmermann mit einer mindestens genauso instinktlosen Provokation beantwortet«, sagte Überall. Die Grenze zur Schmähkritik sei für ihn in diesem Fall überschritten. Eine innere Schere bei Satirikern erwarte er nun aber nicht.
ZDF-Sprecher Stock hatte beim Sender Radioeins des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) gesagt, im ZDF habe es unterschiedliche Einschätzungen zu dem Beitrag gegeben. Letztlich sei das, was in Form des Gedichtes gemacht worden sei, »für uns« dann doch der Schritt zu viel gewesen. Das sei auch der Grund dafür gewesen, die Passage aus der Sendung sowie Wiederholungen und Online-Ausspielwegen - etwa der Mediathek - herauszunehmen. »Und diese Entscheidung, die haben wir übrigens auch gemeinsam mit Jan Böhmermann so getroffen.« Böhmermann wollte sich am Montag nach Angaben seiner Sprecherin nicht äußern.
Merkel teilte ihre Meinung nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Seibert am Sonntagabend telefonisch dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu mit. Sie habe auf die bereits gezogenen Konsequenzen des Senders verwiesen. Auch habe sie den hohen Wert bekräftigt, den die Bundesregierung der Presse- und Meinungsfreiheit beimesse. Die sei aber nicht schrankenlos.
Der CSU-Rechtspolitiker Hans-Peter Uhl sagte der Zeitung »Die Welt«, wenn ein Machwerk wie dieses ausschließlich Beleidigungsabsicht habe, müsse es Formen der öffentlichen Distanzierung geben. FDP-Chef Christian Lindner betonte in dem Blatt, die Politik Erdogans müsse man scharf kritisieren. »Das ist aber kein Grund für Schmähungen, die bei uns eben nicht von der Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt sind.« Der medienpolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Harald Petzold, kündigte indes in der »Welt« an, eine förmliche Beschwerde beim ZDF einzulegen. »Wir werden nachfragen und gegen die Löschung des Beitrags protestieren.«
Der Satiriker Martin Sonneborn bezeichnete es als bezeichnend für den Umgang mit Satire, dass Böhmermanns Beitrag in der Mediathek gelöscht worden sei. Er habe sich »vergleichsweise harmlos mit Erdogan beschäftigt«, sagte der frühere Chefredakteur von »Titanic«, der mittlerweile als Abgeordneter im EU-Parlament sitzt.
Welche Themen in der nächsten Ausgabe des Magazins am Donnerstag (22.30 Uhr) auf ZDFneo eine Rolle spielten, stehe noch nicht fest, hieß es vom Sender. Diese würden stets kurzfristig festgelegt. Agenturen/nd
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