Bauern vor dem Bankrott
Agrarpolitiker debattieren Krise in der Landwirtschaft
Die Krise in der europäischen Landwirtschaft spitzt sich zu - trotz der im März beschlossenen Maßnahmen der EU-Kommission. Laut einer ersten Auswertung des Finanzpakets von rund 500 Millionen Euro und dem Mengenverzicht nach Absprache will der Agrarminister der Niederlande, das momentan den EU-Ratsvorsitz innehat, die Marktsituation »weiter genau beobachten«, sagte Martijn van Dam im Anschluss an das EU-Agrarministertreffen am Montag in Luxemburg.
Auch EU-Agrarkommissar Phil Hogan warb am Dienstag im EU-Parlament um Geduld. Den Parlamentariern in Straßburg reichte das nicht. Fraktionsübergreifend kritisierten sie in der Plenardebatte die bisherigen Maßnahmen als nicht ausreichend. Wie die Marktkrise gelöst werden soll, darüber herrscht allerdings auch unter den Parlamentariern Uneinigkeit. Konservative und Liberale setzten während der Debatte in erster Linie auf neue Märkte und eine Aufhebung des Russland-Embargos beim Schweinefleisch. Zudem forderten sie weitere Finanzhilfen für Investitionen, auch in Form von Kreditbeihilfen.
Grüne, Linke und auch Sozialdemokraten wie die bayerische EU-Abgeordnete Maria Noichl sehen in der Liberalisierung eine grundlegende Ursache der Krise und fordern eine Kursänderung. Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen/EFA kritisierte die Maßnahmen der Kommission als »altbackene Rezepte des letzten Jahrhunderts«: »Milchseen und Butterberge, weitere Verschuldungsprogramme für Landwirte und eine aggressive Exportpolitik führen Europa immer tiefer in die Krise - statt aus ihr heraus.«
Die Krise in der Landwirtschaft - besonders bei den Milchbauern - ist auch das bestimmende Thema der am Mittwoch beginnenden Agrarministerkonferenz in Göhren-Lebbin. In einem Ferienressort an der mecklenburgischen Seenplatte wollen die Agrarminister von Bund und Ländern unter Vorsitz des Landwirtschaftsministers Mecklenburg-Vorpommerns, Till Backhaus (SPD), Wege aus der Milchkrise suchen. 3200 Milchbetriebe haben 2015 in Deutschland aufgegeben, der Preis liegt aktuell nur noch bei rund 25 Cent pro Liter. Backhaus plädierte im Vorfeld für mehr Handlungsspielraum im Verhältnis zwischen Landwirt und Molkerei: »Der Landwirt muss künftig selber entscheiden können, unter welchen Bedingungen er seine Milch abliefert.«
Auch der Deutsche Bauernverband will die Erzeugerpreise absichern und fordert darüber hinaus Unterstützung wie »unbürokratisch zugängliche Liquiditätshilfen, Bürgschaftsprogramme sowie Entlastungen bei der Sozialversicherung und im steuerlichen Bereich«. Die Regulierung von Produktionsmengen sieht der Verband als »nicht zielführend«.
Begleitet wird die Konferenz von Protesten des Netzwerkes »Bauernhöfe statt Agrarfabriken«. So forderte der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Martin Schulz: »Wir müssen runter von den Überschüssen.« Die Bauern seien dazu bereits. »Wer nur abwartet, drängt bewusst Tausende gesunde Betriebe zum Aufgeben. Das ist eine brutale Wertevernichtung.«
Ebenfalls Thema der Agrarminister ist der Streit um Glyphosat. Umweltverbände sprachen sich erneut gegen die Neuzulassung des Unkrautvernichters aus. Dagegen hat die Bundesregierung nach Informationen der »Süddeutschen Zeitung« bereits grünes Licht gegeben. Demnach hat das Bundeslandwirtschaftsministerium in einem Schreiben an die EU-Kommission Ende März kundgetan, Deutschland wolle »mit seiner Zustimmung dazu beitragen, das Verfahren zur Wiedergenehmigung des Wirkstoffs Glyphosat (...) erfolgreich abzuschließen.« Allerdings sieht das Papier laut Bericht auf Druck des Umweltministeriums Einschränkungen vor. So soll der Einsatz zur »Steuerung des Erntetermins« ausgeschlossen sowie eine Textpassage zum Schutz der biologischen Vielfalt verankert werden. Eine Entscheidung des zuständigen EU-Fachausschusses war im März vertagt worden, da sich keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen Glyphosat abzeichnete. Die Bundesregierung äußerte sich nicht zu ihrem Abstimmungsverhalten.
Weitere Themen der Agrarminister sind die Novellierung der Düngeverordnung, Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration sowie die Verpflegung in Kitas und Schulen und die Integration von Migranten im ländlichen Raum.
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