Mutmaßliche Rechtsterroristen in Freital festgenommen

Sondereinsatzkräfte der Polizei durchsuchen Wohnungen / Schwere Vorwürfe gegen die Bande: Anschläge auf Flüchtlinge und Linke / Köditz: Keine Konsequenzen aus NSU-Staatsversagen gezogen

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Im sächsischen Freital haben Sondereinsatzkräfte der Polizei am Dienstagmorgen Wohnungen durchsucht und fünf Verdächtige wegen des Vorwurfs festgenommen, eine rechtsterroristische Vereinigung gebildet zu haben. Auch wird ihnen schwere Körperverletzung und versuchter Mord vorgeworfen. Über den Einsatz eines Großaufgebots der Polizei hatte zuerst «Spiegel online» berichtet. Die festgenommenen mutmaßlichen Rechtsradikalen sind zwischen 18 und 39 Jahre alt. Drei Rädelsführer sitzen bereits in Untersuchungshaft. Die rechtsterroristische Bande soll unter anderem Flüchtlingsunterkünfte in Freital und ein linkes Wohnprojekt in Dresden angegriffen haben. Zudem werden ihnen mehrere Anschläge auf Linken-Politiker zur Last gelegt.

Die Festgenommenen sollen spätestens im Juli 2015 die rechtsterroristische Schlägertruppe «Gruppe Freital» gegründet haben. Den bisherigen Ermittlungen zufolge sei es das Ziel gewesen, weitere Sprengstoffanschläge auf Asylbewerberunterkünfte sowie alternative Wohnprojekte zu begehen. Die Gruppe soll sich daher mit einer dreistelligen Anzahl von Sprengkörpern verschiedenen Typs aus Tschechien eingedeckt haben, ließ die Bundesanwaltschaft verlauten.

«Nach der ‘Oldschool Society’ ist Sachsen damit zum zweiten Mal in kurzer Zeit Ausgangspunkt einer mutmaßlich rechtsterroristischen Gruppe», warnte die Rechtsextremismus-Expertin der LINKEN, Kerstin Köditz. Ihr Vorwurf: Offenbar seien die Konsequenzen, die von der Staatsregierung aus dem eigenen Behördenversagen beim «NSU» gezogen wurden, völlig unzureichend gewesen. So hätten Mitglieder der mutmaßlichen rechten Terrorgruppe teilweise unter Klarnamen im Internet jene Taten kommentiert, die ihnen nur zur Last gelegt werden. «Ihre Radikalisierung ließ sich also ‘live’ verfolgen», so Köditz. Nach Ansicht der LINKEN-Politikerin hätte viel eher eingeschritten werden müssen.

Ähnlich mahnte die sächische SPD-Generalsekretärin Daniela Kolbe: «Auch die Mitglieder des NSU haben mit Böllern und Übergriffen auf politische Gegner begonnen. Was daraus wurde, mahnt uns alle. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich so etwas wiederholt», so Kolbe im Tagesspiegel. Grünen-Landeschef Jürgen Kasek kritisierte Freitals Bürgermeister Uwe Rumberg (CDU), der Anfang April erklärt hatte, in der sächsischen Kleinstadt gäbe es keine Nazis. Wörtlich hatte Rumberg damals erklärt: «In gewissen Kreisen scheint es beliebt zu sein, Freital als Codewort für rechtsextrem zu benutzen. Erlauben Sie mir die Bemerkung, dass wir diese Berichterstattung als stark verzerrend und stigmatisierend sowie - insbesondere im bundesdeutschen Kontext - ungerecht empfunden haben. In Freital herrscht ein friedliches Klima, wo in vielfältigen Initiativen und auf vielerlei Ebenen zu den Themen Flüchtlinge sowie politischer Extremismus gearbeitet wird. ... Unserer Ansicht nach würde die von Ihnen angedachte Veranstaltung nicht nur zu einer Aufheizung der öffentlichen Debatte führen..., sondern das leider überregional bei manchen eingebürgerte Klischee, gerade in Freital gäbe es eine nennenswerte (Neo)Nazi-Szene, bestätigen.»

«Polizei und BKA müssen nun die Unterstützer-Netzwerke untersuchen, über die sich neonazistische Täter austauschen, Anschläge planen und Sprengstoff und Waffen beziehen. Dabei geht es nicht nur um die Aufklärung vergangener Straftaten, sondern auch um die Verhinderung von geplanten Anschlägen», forderte die LINKEN-Politikerin Martina Renner. Erschreckend gering seien die Aufklärungsquoten, etwa bei Angriffen auf Asylunterkünfte. Dies sende eine fatale Botschaft an Neonazis und rassistische Gewalttäter.

An dem Polizeieinsatz am Dienstagmorgen waren über 200 Beamte des Bundeskriminalamtes, der Bundespolizei sowie der sächsischen Polizei beteiligt. Bei den Festgenommenen handelt es sich um Justin S. (18), Rico K. (39), Sebastian W. (25) und Mike S. (26) sowie Maria K (27). Gemeinsam mit drei weiteren soll sie die rechtsradikale «Gruppe Freital» gegründet haben und in unterschiedlichen Konstellationen Straftaten in Freital begangen haben«. Zentrale Führungspositionen sollen dabei die Beschuldigten Timo S. und Patrick F. übernommen haben, die sich bereits vor Gericht verantworten mussten.

Den bisherigen Ermittlungen zufolge seien der rechtsterroristischen Vereinigung bislang drei Sprengstoffanschläge zuzurechnen, so in der Nacht vom 19. auf den 20. September 2015 auf eine Flüchtlingsunterkunft in Freital. In der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 2015 griffen mehrere Beschuldigte das linke Wohnprojekt »Mangelwirtschaft« in Dresden an. In der Nacht vom 31. Oktober auf den 1. November 2015 sollen mehrere der Beschuldigten einen Anschlag auf eine weitere Asylbewerberunterkunft in Freital verübt haben. »In welchem Umfang der rechtsterroristischen Vereinigung Gruppe Freital weitere Anschläge zuzurechnen sind, bleibt den weiteren Ermittlungen vorbehalten«, teilte die Bundesanwaltschaft weiter mit. nd/Agenturen

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!