Nicht nur Minderheiten werden benachteiligt

Aktuelle Befragung zeigt: Fast jeder dritte Bundesbürger erlebte in letzter Zeit Diskriminierung am eigenen Leib

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Mal ist es das Alter, mal das Geschlecht oder die Herkunft: Immer wieder fühlen sich Menschen benachteiligt. Eine aktuelle Befragung zeigt, wie groß das Problemtatsächlich ist.

Beinahe jeder Dritte in Deutschland hat in den letzten zwei Jahren Diskriminierung erlebt. Das geht aus einer Befragung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hervor, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Demnach gaben 31,4 Prozent der Befragten an, benachteiligt worden zu sein: Vor allem bei der Arbeit. Etwa die Hälfte hatte das im Job erlebt. »Jeder Menschen kann betroffen sein«, betonte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders, auf einer Pressekonferenz.

Die Befragung der Antidiskriminierungsstelle sei »die größte Erhebung zum Thema, die in Deutschland je gemacht wurde«, unterstrich Lüders. Die Untersuchung beruhte auf zwei Säulen: Zum einen gab es eine Befragung unter 1000 Bundesbürgern. Zum anderen konnten Betroffene ihre eigenen Erfahrungen schildern. Mehr als 17 000 Menschen machten von dieser Möglichkeit Gebrauch.

Demnach sind nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund oder anderer sexueller Orientierung betroffen. Besonders häufig fühlten sich die Bundesbürger wegen ihres Alters oder Geschlechts benachteiligt. Dabei handelt es sich nicht immer um gefühlte Schlechterbehandlung. Frauen etwa verdienen immer noch 22 Prozent weniger als Männer in vergleichbaren Positionen. Über 50-Jährige gelten in Branchen als unvermittelbar, weil zu alt.

In der repräsentativen Umfrage gaben 14,8 Prozent an, wegen ihres Alters benachteiligt worden zu sein, 9,2 Prozent wegen ihres Geschlechts, aufgrund von Religion oder Weltanschauung 8,8 Prozent, rassistische Gründe nannten 8,4 Prozent, Behinderung 7,9 Prozent und sexuelle Orientierung 2,4 Prozent. Wobei die zweitgrößte Gruppe gar nicht unter den Schutz des Gesetzes fällt und deshalb in diesem Ranking nicht auftaucht: Mehr als 10 Prozent sagten, sie seien wegen ihrer sozioökonomischen Lage benachteiligt worden.

Eben hier greift das seit zehn Jahren geltende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht. Es soll Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Alter, ethnischer Herkunft, Behinderung oder Religion verhindern bzw. beseitigen. Die Nachteile, die Menschen aus ihrer prekären Lage erwachsen, etwa durch Arbeitslosigkeit, werden nicht berücksichtigt. Angesichts der sich vertiefenden sozialen Spaltung wäre es Zeit, das AGG entsprechend zu erweitern.

Lüders sprach sich am Dienstag für eine »Fortentwicklung des gesetzlichen Diskriminierungsschutzes« aus. Zudem forderte sie ein Klagerecht für ihre Antidiskriminierungsstelle sowie Verbände, die sich gegen Benachteiligung engagieren. »Es muss endlich möglich sein, Betroffene vor Gericht effektiv zu unterstützen, wie es in vielen anderen Ländern längst möglich ist«, so Lüders.

Nüchtern betrachtet, ist die Antidiskriminierungsstelle ein zahnloser Tiger. Das war politisch so gewollt. Hatte die damalige schwarz-rote Koalition das Gesetz im Jahre 2006 doch eher widerwillig verabschiedet, um entsprechende EU-Richtlinien umzusetzen. Die Wirtschaft lehnte das Unterfangen ab, weil man einen erhöhten Bürokratieaufwand und steigende Kosten befürchtete.

Und so kann die Antidiskriminierungsstelle Betroffene zwar »über Ansprüche informieren« oder »eine gütliche Einigung zwischen den Beteiligten anstreben«. Wenn es jedoch hart auf hart kommt, sind den Mitarbeitern die Hände gebunden. Vor Gericht müssen die tatsächlich oder vermeintlich Benachteiligten selbst ziehen. Doch gerade mit diesem Schritt würden viele zögern, wie Lüders unterstrich. Vor allem, wenn es gegen den eigenen Arbeitgeber geht. Dementsprechend setzten sich Menschen meistens nur zu Wehr, wenn es eine gut organisierte Interessensvertretung gebe. Das zeige auch die Tatsache, so Lüders, dass häufig nur Beschäftigte im öffentlichen Dienst oder durch starke Einzelgewerkschaften vertretene Arbeitnehmer aktiv gegen Diskriminierung vorgingen

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