Gauck will so verehrt werden wie ein König

Bundespräsident gegen Eile bei Abschaffung der Majestätsbeleidigung / Höchste Repräsentanz einer Republik habe mindestens so viel Ehrerbietung verdient wie ein gekröntes Haupt / 76-Jähriger ringt mit sich wegen zweiter Amtszeit

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Bundespräsident Joachim Gauck hat sich gegen eine zu schnelle Abschaffung des umstrittenen Strafrechtsparagrafen zur Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter geäußert. Im Deutschlandfunk nannte er die politische Debatte um eine Reform »kurzatmig« und fordert eine Phase des Nachdenkens und der Abwägung. Gauck wolle dem Parlament keine Ratschläge erteilen, so der Bundespräsident - der dann anschloss: »Mein Rat ist, Entscheidungen nicht aus einer aktuellen Erregung heraus zu treffen.«

Der Sender zitierte aus einem Interview, das am Sonntag ausgestrahlt werden soll. Darin sagte er mit Blick auf die ebenfalls im Strafgesetzbuch verankerten Schutz des Bundespräsidenten vor Verunglimpfungen auch, er persönlich brauche keine Lex Gauck - der Bundespräsident aber sei der Repräsentant aller. Möglicherweise sei nicht allen Menschen bewusst, dass die höchste Repräsentanz einer Republik mindestens so viel Ehrerbietung verdiene wie ein gekröntes Haupt, betonte der Bundespräsident laut dem Sender.

Die Große Koalition will den umstrittenen Paragrafen 103 des Strafgesetzbuchs noch in der laufenden Legislaturperiode streichen. Anlass ist der Fall des ZDF-Moderators Jan Böhmermann und dessen Schmähgedicht gegen den umstrittenen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Derweil hat der Präsident des deutschen PEN-Zentrums, Josef Haslinger, deutliche Kritik an Erdogan geäußert. »Herr Erdogan hat sich mit dieser Aktion nicht unbedingt einen Gefallen getan«, sagte Haslinger am Donnerstag zum Antrag der Türkei auf Strafverfolgung von Böhmermann. »Es darf in einer demokratischen Gesellschaft keine privilegierten Meinungen geben.«

Journalisten und Schriftsteller in der Türkei von Repressionen betroffen

»Die Türkei ist wesentlich weniger frei als Pakistan«, sagte der »Spiegel«-Journalist Hasnain Kazim bei einer PEN-Diskussion über Meinungsfreiheit in dem Land, in dem er drei Jahre Korrespondent war - nach mehreren Jahren in Pakistan. Kazim hatte die Türkei kürzlich verlassen müssen, weil seine Akkreditierung nicht verlängert wurde. Druck aus Ländern wie Deutschland stärke Verfolgten den Rücken, sagte Kazim. Zugleich führe das aber zu einer Verhärtung der Fronten. In der Türkei sind dem PEN zufolge weltweit die meisten Autoren inhaftiert oder von Haft bedroht - nicht nur Journalisten, sondern auch andere Autoren. Junge kritische Schriftsteller würden in der Türkei nicht angeklagt wegen ihrer Literatur, sondern würden häufig dann belangt, wenn sie sich in Interviews äußerten, sagte Selma Wels vom deutschen Binooki-Verlag, der junge türkische Literatur verlegt.

Unterdessen hat auch Thüringens Justizminister Dieter Lauinger von den Grünen gefordert, den sogenannten Majestätsbeleidigung-Paragrafen sofort abzuschaffen. »Er ist ein Relikt aus der Zeit, als Deutschland noch eine Monarchie war, und hat seine Wurzeln im Tatbestand der Majestätsbeleidigung«, erklärte der Minister in Erfurt. Damals wie heute stelle der Paragraf eine Einladung dar, politischen Druck auszuüben. Aus Sicht des Ministers ist ein Sonderparagraf neben dem Straftatbestand der Beleidigung nicht sinnvoll.

Launiger plädierte für Bundesratsinitiativen: »Dann kann die Bundesregierung im Bundestag zeigen, ob sie die Ankündigung der Abschaffung ernst gemeint hat.« Die Streichung solle sofort und nicht erst 2018 erfolgen, forderte der Grüne. Die Bundesregierung hatte sich zunächst darauf verständigt, den Paragrafen zum 1. Januar 2018 abzuschaffen. Nach einem Bericht der »Rheinischen Post« will Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) dies aber deutlich vorziehen.

Ringt er mit sich wegen einer zweiten Amtszeit? Gauck: »Offenkundig«

Deutlich weniger entschlossen als bei seiner Forderung nach Obrigkeitstreue zeigte sich Gauck in dem Deutschlandfunk-Gespräch, als er auf seine Entscheidung über eine mögliche zweite Amtszeit angesprochen wurde. Er wolle zwar noch vor der Sommerpause bekanntgeben, ob er weitermachen wolle. Allzu schnell allerdings entscheide er sich nicht: »Lassen Sie uns mal den Frühsommer kommen, und dann werde ich mich entschieden haben und werde das auch öffentlich kundtun.«

Auf die Frage, ob er noch mit sich ringe, meinte Gauck: »Offenkundig.« Es werde jedenfalls eine schwere Entscheidung sein. Einerseits gebe es die Frage, ob er auch mit über 80 Jahren den Belastungen des Amtes gewachsen sei. Andererseits gebe es so viel Zuspruch aus der Bevölkerung, von Menschen, die ihm wichtig seien.

Die Wahl des Staatsoberhaupts durch die Bundesversammlung findet am 12. Februar 2017 statt. Gauck ist dann 77 Jahre alt. Union, SPD, FDP und Grüne, die ihn 2012 gewählt haben, unterstützen eine zweite Amtszeit. Aus Altersgründen nur für eine halbe zweite Amtsperiode anzutreten, hält Gauck nicht für eine gute Lösung. »Also zur Person passt sie gar nicht und zur Präsidentschaft auch nicht so richtig«, sagte er.

Gauck äußerte sich im Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Sender auch zur Islamfeindlichkeit der AfD: »Wenn es tatsächlich so ist, dass sich eine politische Bewegung um eine Themenstellung herum versammelt, die dem Grundgesetz konträr entgegensteht, dann wäre ich besorgt.« Er erwarte, dass auf der Grundlage des Grundgesetzes argumentiert werde. An der Religionsfreiheit gebe es nichts »herumzukritteln«, sagte das Staatsoberhaupt. Agenturen/nd

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