Aktionsbündnis statt Regierungsbündnis
Für mehr Jugend und Anti-Establishment im Kampf gegen Rassismus. Ein Beitrag zur Debatte über Rechtsruck und Linkswende von Jules El-Khatib, Daniel Kerekes und Julius Zukowski-Krebs
Viel wurde bisher darüber diskutiert, wie der Kampf gegen Rechts geführt werden sollte. Vieles wurde geschrieben über die Frage, mit wem zusammengearbeitet werden sollte und mit wem nicht. Vergessen wurde dabei eine Gruppe, die bei allen antirassistischen Protesten an vorderster Front dabei ist, nämlich Jugendliche und junge Erwachsene.
Die Demonstrationen gegen Pegida im vergangenen Jahr haben gezeigt, dass eine Massenbewegung möglich ist und aufgebaut werden kann. Wenig Aufmerksamkeit erhielt dabei die Frage, wer in dieser Bewegung führend war. Während bei Pegida vor allem weiße Männer ab 40 demonstrierten, war die größte Gruppe der Anti-Pegida-Aktivisten und -Aktivistinnen zwischen 16 und 35 Jahren alt. Auch bei weiteren Protesten gegen Rechte sticht diese Gruppe immer wieder hervor. Dass sie in der Debatte um den Kampf gegen Rechts nun ignoriert wird, zeugt von einer fatalen Ignoranz.
Für eine Bewegung von Schülerinnen und Schülern, Studierenden und Auszubildenden
Als Aktivisten des Jugendverbands sehen wir momentan zwei gute Möglichkeiten, um die Jugend im Kampf gegen Rassismus zu aktivieren: Die eine besteht in der vom Bündnis »Jugend gegen Rassismus« skizzierten Variante eines Schul- und Unistreiks gegen Rassismus und rechte Hetze. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Aktivierung der Jugend stellt der vorletzte Schulstreik gegen Rassismus in Berlin dar, an dem sich mehr als 7.000 Menschen beteiligten. Die Gründe des Erfolgs liegen in der Verbindung von sozialen Fragen und antirassistischen Positionen, die auf die Interessen der Jugend zugeschnitten wurden und damit deutlich machen konnten, dass schlechte Sporthallen, vergammelnde Klassenräume oder der Zwang zu teurer Nachhilfe Probleme sind, welche alle Jugendlichen betreffen, unabhängig ihrer Herkunft.
Diese Verbindung versucht unter anderem das Essener Bündnis »Für ein gutes Leben für alle – Refugees welcome« nachzuahmen, an dem sich neben der Linksjugend auch Jusos, DGB-Jugend, das internationale Referat des Astas, sowie viele weitere Organisationen beteiligen. Das Bündnis fordert, um den oben genannten Doppelcharakter deutlich zu machen, neben »Kostenloser und guter Bildung für alle« eine solidarische Gesellschaft und einen entschiedenen Kampf gegen Rassismus und rechte Stimmungsmache. Ort der Mobilisierung ist dementsprechend nicht die Innenstadt, sondern der Universitätscampus und die Schulen. Die Fokussierung auf Jugendliche und junge Erwachsene ist nicht nur eine Schlussfolgerung aus hohen Anzahl antifaschistischer Protestierender aus dieser Altersgruppe, sondern auch eine Antwort auf die guten Ergebnisse der AfD unter Jugendlichen bei den vergangenen Landtagswahlen.
Aufstehen gegen Rassismus
Das zweite Bündnis, das eine Möglichkeit für einen antirassistischen Kampf bietet, der die Jugend einbezieht, ist »Aufstehen gegen Rassismus«, an dem sich neben der Linksjugend auch Jusos, Grüne Jugend, Naturfreundejugend und die DIDF-Jugend beteiligen. Es liefert als einziges Bündnis und Projekt konkrete Hilfsmittel, Argumente und Strukturen im Kampf gegen die AfD – zu diesem Zeitpunkt hat es beinahe einen Alleinstellungsmerkmal.
Das Bündnis wurde jedoch von etlichen Genossinnen und Genossen, unter anderem der SAV, massiv kritisiert, da sich neben Bündnispartnerinnen wie Interventionische Linke oder migrantischen Organisationen auch die Grünen, vereinzelte Sozialdemokraten und deren Jugendorganisationen beteiligen. Wir halten ihre Beteiligung am Bündnis für richtig, nicht nur weil sie von einem Großteil ihrer Anhängerschaft immer noch als antirassistische Parteien wahrgenommen werden, sondern vor allem, weil sich ihre Jugendorganisationen, die unsere expliziten Bündnispartner sind, in der Vergangenheit immer klar gegen Rassismus, Asylrechtsverschärfungen und Abschiebungen ausgesprochen haben. Auch wenn die Asylrechtsverschärfungen im Aufruf nicht genannt werden, so werden diese doch von allen Jugendorganisationen, die sich an ihm beteiligen, abgelehnt.
Innerhalb der Grünen Jugend und der Jusos herrscht ein antirassistische Konsens, welcher durch ein gemeinsames Bündnis mit linken Kräften eher geschärft als abgeschwächt würde. Zudem beide Organisationen in der gesellschaftlichen Linken zu verorten sind und ein Bündnis mit beiden nicht als Volksfront betrachtet werden kann, auch wenn es im Artikel von Heino Berg und Yannic Dyck behauptet wird: »Die Notwendigkeit einer Einheitsfront von Arbeiterorganisationen gegen faschistische Parteien, welche die restlose Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung und der parlamentarischen Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben hatten, darf jedoch nicht mit einer Volksfront, also mit Regierungs- oder Aktionsbündnissen von Arbeiterparteien mit denen des Kapitals verwechselt werden.«
Wir meinen, dass das Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« dem historischen Konzept der Aktionseinheit entspricht, denn die Mehrheit sowohl der Mitglieder von Jusos/SPD und Grüne Jugend/Grüne sowie ihrer Wählerinnen und Wähler verbinden mit ihren Organisationen reformistische Hoffnungen, die das Leben in kleinem »etwas besser« machen. Beide »Blöcke«, sowohl der sozialdemokratische, als auch der grüne, suchen keinen Bruch mit dem Kapitalismus und eben sowenig wird er von ihren Wählerinnen und Wählern eingefordert ganz wie in den 30er Jahren, als die SPD das Kabinett Brüning unterstützte.
Zwischen der SPD der 20er und 30er Jahre sowie der heutigen Sozialdemokratie mag es Unterschiede in ihrer Rhetorik geben, nicht aber in ihrer Politik innerhalb von Regierungen, die in beiden Epochen zu Sozialabbau und dem Einsatz gegen die Interessen der Arbeitenden Mehrheit führte. Hinzu kommt, dass die SPD in den Jahren 1918 und Folgende für hunderte toter Kommunisten verantwortlich war: Wie kann die damalige SPD »weniger schlimm« sein als die heutige? Trotzdem war es vollkommen richtig, dass sowohl Leo Trotzki (Bolschewiki) als auch August Thalheimer (KPD) dazu aufriefen, den gemeinsamen Kampf der Kommunistischen und Sozialdemokratischen Partei gegen die NSDAP zu suchen, also die Einheitsfront bzw. Aktionseinheit.
Eine massive Rechtsverschiebung
Vollkommen richtig ist, dass die AfD (noch) nicht die neue NSDAP und Frauke Petry sicher kein neuer Hitler ist. Dies ändert jedoch wenig daran, dass es innerhalb der AfD einen neo-faschistischen Flügel gibt, der u.A. besonders in der Jungen Alternative stark vertreten ist. Gerade die unterschiedliche Bewertung der AfD von in teilen neofaschistisch bis hin zu nationalkonservativ macht den Kern des Problems im Umgang mit AfD und JA aus. Für uns sind die Anti-Arbeiterinnen Aussagen, der Kampf gegen »linke Gesinnungsterroristen« und außerparlamentarischer Massenaufmärsche klare Zeichen der Radikalisierung der Partei.
So äußerte Markus Frohnmaier, Bundesvorsitzender der Jugendorganisation Junge Alternative (JA): »Ich sage diesen linken Gesinnungsterroristen, diesem Parteienfilz ganz klar: Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und nur für das Volk gemacht – denn wir sind das Volk, liebe Freunde.« Die JA ist Teil des sich radikalisierenden neofaschistischen Flügels der AfD und unsere Aufgabe als Jugend ist es zu entlarven, dass die JA keine Perspektive für die Interessen junger Menschen bietet. Ihre Kontakte reichen weit in die Identitäre Bewegung und anderen Akteuren der rechten Szene. Diese Zielsetzung teilen wir dabei mit Jusos und Grüner Jugend, die ebenfalls eine antirassistische und solidarische Gesellschaft als eigenes Ziel ansehen.
Erst durch das Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« entstand die bundesweite Möglichkeit, mit diesen Organisationen zusammen gegen Rechtsaußen zu agieren. Unsere Aufgabe besteht darin deutlich zu machen, dass wir als Jugend allen Rechten und insbesonder der JA den Kampf ansagen müssen, um so für ein Ende des gesellschaftlichen Rechtsrucks zu zu sorgen. Die beste Möglichkeit bietet auch hier die Mobilisierung an (Berufs-)Schulen und Universitäten. Der Aufruf des Bündnisses zeigt dafür den notwendigen antirassistischen Charakter.
Sozialen Forderungen für die Jugend aufzustellen, zu propagieren und diese mit dem antirassistischen Bündnis zu verbinden, müssen wir jedoch selbst übernehmen. Die Forderung nach kostenloser Bildung, kleineren Klassen, einer Schule für alle, einem höheren Mindestlohn und höheren Ausbildungsvergütungen teilen wir mit Jusos und Grüner Jugend. Wir unterscheiden uns in der Höhe des geforderten Mindestlohns, der Ausbildungsvergütung oder des Bafögs, nicht jedoch in der Einschätzung, dass der aktuelle Satz absolut nicht zum Leben ausreicht.
Statt Ausschluss und Sektierertum sollten wir versuchen gemeinsame Forderungen Auszuformulieren und diese im Rahmen des Bündnisses als Jugendpositionen zu verdeutlichen. Ein eigenes scharfes antikapitalistisches Profil mit sozialen Forderungen und ein breites Bündnis auf der anderen Seite sind keine Widersprüche, sondern zwei Seiten einer Medaille. Es liegt an uns, den neoliberalen Kurs all jener Organisationen und Parteien zu kritisieren, die sich am Bündnis beteiligen und damit auch ein Stück den Nährboden für die AfD bereitet haben.
Keine Regierungs- sondern Aktionsbündnisse
Während von Genossinnen der SAV die Aktionseinheit als Volksfront oder vermeintlicher Ausverkauf kritisiert wurde, gingen andere Teile der LINKEN soweit und forderten Bündnisse mit CDU oder sahen die einzige Hoffnung in einer rot-rot-grünen Regierung. Auch eine solche Fokussierung halten wir nicht für zielführend im Kampf gegen die aufstrebende Rechte, da sie den Menschen das fatale Versprechen gibt, eine linksreformistische Regierung würde die Rechte besiegen und einen Linksruck in der Gesellschaft ermöglichen.
LINKE Regierungsbeteiligungen in Deutschland und linke Regierungskoalitionen im Ausland haben jedoch gezeigt, dass der Reformismus nur zum Ausverkauf der eigenen Positionen und Inhalten führte: Ob dies nun in Berlin der Fall war, wo DIE LINKE Privatisierungen mit durchsetzte und sich selbst dadurch in ungeahnte Tiefen stürzte oder in Italien, wo die Kommunistische Partei in Volksfrontmanier die Christdemokratie unterstützte und damit ihren eigenen Untergang einläutete. Im Kampf um Mehrheiten gegen Rechts und für sozialistische Projekte muss daher der schmale Grad zwischen Sektierertum und Reformismus gegangen werden, um damit dem Ausverkauf von antikapitalistischen Positionen entgegen zu wirken.
Die Parole muss lauten: Aktionsbündnis statt Regierungsbündnis. Denn ersteres erhöht den Druck auf der Straße und bietet die Möglichkeit durch Kämpfe und direkte Aktion progressive Maßnahmen durchzudrücken, während zweiteres im besten Fall mit Enttäuschung über zu wenig Erreichtes und im schlimmsten Fall mit antisozialer Politik verbunden wird Die Propaganda der Rechten als »echte Alternative zum Establishment« würde erst dann wirklichen glaubwürdig erscheinen. Als Mitglieder des Jugendverbands treten wir daher einer Fokussierung auf vermeidliche Regierungsutopien ebenso entgegen wie der falschen Spaltung in Bündnisfragen, bei denen wir mit Jusos und Grüne Jugend das gemeinsame Ziel teilen.
Natürlich ist das Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« keine eierlegende Wollmilchsau, doch die beste Möglichkeit die sich uns im Moment bietet, breite Massen für einen antrassistischen Kampf zu mobilisieren. Schlussendlich müssen wir dafür sorgen, dass »Aufstehen gegen Rassismus« kein zahnloser Tiger wird. Unsere Antwort muss es daher sein, gemeinsam mit Gewerkschaftsjugenden und Jugendverbänden eine Antwort auf den Rechtsruck zu formulieren, die erstens den Charakter der AfD und JA als rechtsaußen Partei und Jugendverband entlarvt.
Und die zweitens deutlich macht, dass der Kampf um gute Bildung, gute Arbeitsbedingungen und ein gutes Leben gemeinsam von Geflüchteten, migrantischen und nicht-migrantischen Jugendlichen und allen jungen Erwachsenen geführt werden muss. Drittens, dass wir eine Bewegung aller jungen Menschen brauchen, gegen das neoliberale Spardiktat und den rassistischen Normalzustand, die auch vor zivilem Ungehorsam und der Etablierung von Streiks an Bildungseinrichtungen nicht zurückschreckt.
Der linksjugend ['solid] fallen einige Schlüsselrollen im Bündnis und darüber hinaus zu: Als parteinaher Jugendverband muss sie für ein antikapitalistisches und antisystemisches Profil des Verbandes und der Partei kämpfen und so eine Scharnierfunktion zur LINKEN und Parlamenten einnehmen, die die neoliberale Politik der etablierten Parteien kritisiert. Sie muss Ziele formulieren, die über bloße reformorientierte Floskeln hinausgehen und den radikalen Charakter des Verbandes, der im Programm festgeschrieben ist, hervorheben – gute Öffentlichkeitsarbeit und Agitation sind hier essentiell, damit der Verband von deutlich mehr Jugendlichen wahrgenommen wird.
Jules El-Khatib ist Mitglied im Landesvorstand der Linkspartei in NRW und nominiert als jugendpolitischer Sprecher für den kommenden Landesvorstand. Daniel Kerekes und Julius Zukowski-Krebs sind Bundessprecher der linksjugend [´solid].
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