Verankert, widerständig und den Gegner im Blick

Sieben Thesen zur Situation der Linkspartei. Ein Beitrag in der Debatte um eine Linkswende gegen den Rechtsruck

  • Lesedauer: 8 Min.
Von Sophie Dieckmann, Ben Stotz, Katharina Dahme, Juliane Pfeiffer, Norbert Müller, Nicole Gohlke, Niema Movassat, Janine Wissler, Janis Ehling, Nina Eumann, Claudia Haydt, Tobias Pflüger, Stefanie Graf, Özlem Alev Demirel, Harald Weinberg, Andrej Hunko und Jakob Migenda

Nach dem enttäuschenden Abschneiden der LINKEN bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt und dem kometenhaften Aufstieg der AfD ist in unserer Partei eine Debatte ausgebrochen, die viele wichtige Fragen aufwirft. Im Vorfeld des Bundesparteitages wollen wir angesichts der »neuen Unübersichtlichkeit« (Schindler/Schulze) der politischen Situation einen Beitrag zur strategischen Ausrichtung der LINKEN leisten.

1.

Es hilft aus unserer Sicht nicht weiter, jetzt zu versuchen, eine einheitliche Erzählung für das schlechte Abschneiden bei den Landtagswahlen zu stricken, gerade weil unsere Niederlage ganz unterschiedliche Voraussetzungen hatte. Entsprechend trägt auch die Partei als Ganzes die politische Verantwortung für unsere Performance. DIE LINKE muss jetzt nach vorne schauen und sich auf die schärfer werdenden politischen Auseinandersetzungen und die schwierigen Wahlkämpfe der kommenden Zeit vorbereiten. Dabei kommen strategische Überlegungen zuerst und wir dürfen uns nicht auf eine Debatte über unser Spitzenpersonal reduzieren (lassen). Wir sind schließlich eine politische Partei und keine Sekte, in der Einzelne unersetzbar sind. Natürlich benötigt eine politische Richtung immer auch handelnde Personen, starke Persönlichkeiten alleine ersetzen aber keine tragfähige Strategie.

2.

Ein Blick in die Wahlanalysen zeigt, dass die WählerInnen der AfD aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten kommen und »sich aus reaktionären Teilen der Mittelschicht, dem Kleinbürgertum, «mittelständischen» Unternehmer_innen sowie Teilen der Arbeiterklasse« (Sebastian Friedrich) speisen. Fundiertes Wissen über die AfD ist jetzt die wichtigste Grundlage für eine erfolgreiche Gegenstrategie. Auch müssen wir Erfahrungen aus anderen Ländern bei uns diskutieren, wo es gelang, rechtspopulistische Parteien zu stoppen. Die vielfältigen Wählermilieus zeigen auch, dass es mehrere Ebenen braucht, um die AfD wirkungsvoll anzugreifen. Besonders gefährlich ist der neofaschistische Flügel der AfD in Ostdeutschland, der sich hinter Gauland, Höcke und Poggenburg versammelt und auch außerparlamentarisch mobilisierungsfähig ist. In diesem Sinne unterstützen wir das Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« als einen von mehreren Bausteinen, die AfD zu bekämpfen. Eine aufmerksame LINKE ist gut beraten, die Ränder und Grauzonen der AfD in ihren jeweiligen Landesverbänden genau zu beobachten. Zudem müssen wir uns mit Blick auf die Programmdebatte darauf vorbereiten, dass im Machtkampf in der AfD der rechte Flügel gewinnt und die Partei eine sozial-nationale Wende vollziehen könnte, um zu versuchen, soziale Themen von rechts zu besetzen.

3.

Der AfD ist gelungen, was DIE LINKE nicht geschafft hat: Sie konnte sich bei den Wahlen als Oppositionsführerin gegen die etablierte Politik darstellen, als eine Anti-Establishment- und Protestpartei, die zigtausende ehemalige NichtwählerInnen gewonnen hat. Das ist der LINKEN offensichtlich nicht gelungen, obwohl unser Programm den Interessen der Mehrheit am nächsten steht. Wir werden in vielen Bereichen längst als etablierte Partei wahrgenommen - schon lange in den Ost-Bundesländern, aber auch in vielen West-Bundesländern. Das ist aus unserer Sicht ein Erfolg und nichts, wofür man sich schämen muss. Das heißt aber nicht, dass wir als linke Partei ausstrahlen dürfen, den Politikbetrieb primär zu verwalten, anstatt ihn grundsätzlich verändern zu wollen. Wenn wir also im Wahlkampf lediglich für einen Regierungswechsel werben, weil wir das ja genauso gut können wie die anderen Parteien, dann braucht sich niemand zu wundern, wenn wir als Alternative nicht wahrgenommen werden und aktuellen Debatten eher hinterher laufen, anstatt Themen selbst setzen zu können. Auch dort wo ein Regierungswechsel nicht in greifbarer Nähe ist, fehlt uns oft die Schärfe und Provokation im Auftritt. Uns geht es dabei weniger um radikalere Forderungen als um einen anderen Gestus des Oppositionellen und der Zuspitzung. Eine Symbolpolitik mit gezielten Regelüberschreitungen durch uns kann unsere Forderungen mitunter besser auf den Punkt bringen als lange Papiertiger, die kaum jemand liest.

4.

Wer gehofft hat, dass die AfD geschwächt wird, indem man Positionen von ihr aufgreift und einzelne Argumentationsfiguren übernimmt, wurde bei den Landtagswahlen widerlegt. Von solchen Signalen hat am Ende immer nur das Original profitiert. Daher bleiben wir dabei: DIE LINKE hat gut daran getan, als einzige Partei in der Asylpolitik standhaft zu bleiben. Für uns ist die Forderung nach Öffnung der europäischen Grenzen und nach einem dauerhaften Bleiberecht für Menschen in Not zudem kein Nebenschauplatz, sondern wesentlicher Bestandteil unserer politischen und programmatischen Identität als linke Partei. Diese sollten wir selbstbewusst vertreten statt die eigenen Reihen und viele unserer Bündnispartner durch Infragestellung dieser Position zu irritieren und zu verunsichern. Wir sagen selbstbewusst »Wir schaffen das!« - und zwar dann, wenn endlich in großem Stil von oben nach unten umverteilt wird. Partei der FlüchtlingshelferInnen zu sein, bedeutet auch die Kanzlerin von links anzugreifen, und zwar dafür, dass sie das Asylrecht systematisch ausgehöhlt und geschliffen hat und jetzt auf dem Rücken der Menschen einen tödlichen Deal mit der Türkei vorantreibt. Und natürlich muss auch in der Flüchtlingsdebatte der Sozialkahlschlag der letzten Jahre stärker skandalisiert werden. Wenn die Bundesregierung nicht bereit ist, Investitionen vorzunehmen und das Dogma der »schwarzen Null« aufzubrechen, vertieft sie die soziale Spaltung der Gesellschaft und trägt so eine Mitverantwortung für den Rechtsruck in der Gesellschaft.

5.

Richtig ist, dass es DIE LINKE in der Debatte um die sogenannte Flüchtlingskrise zu wenig geschafft hat, über humanistische Forderungen hinauszukommen. Wir haben es verpasst, die soziale Frage von links zu re-politisieren und um die Deutungshoheit über die sozialen Verhältnisse zu ringen. »Die soziale Frage stellen« und »die Sorgen der kleinen Leute ernst nehmen« darf aber nicht länger eine leere Formel sein, die nur in Fensterreden und Wahlprogrammen so richtig zum Leben erwacht. DIE LINKE muss stärker als bisher in konkrete soziale Auseinandersetzungen eingreifen. Alleine wird sie das nicht schaffen. Umso wichtiger ist es dort anzudocken, wo sich soziale Kämpfe abzeichnen oder bereits bestehen. Die Kampagne »Das muss drin sein« – von Teilen der Partei bislang sträflich vernachlässigt – hat dazu wertvolle Erfahrungen geliefert. Besonders wenn die Aktionsphasen der Kampagne, wie bei den Aktionen für mehr Personal im Krankenhaus, mit gewerkschaftlichen Kämpfen verbunden wurden, haben sich Kreisverbände beteiligt. Nach dem Erfolg der Pflegekräfte und dem Kampf um den ersten Tarifvertrag für mehr Personal im Krankenhaus an der Berliner Charité steigt hier der Druck im Kessel. Wenn jetzt von ver.di im Vorfeld der nächsten Wahlen von Schwerin bis Saarbrücken und von Berlin bis Augsburg eine Tarifrunde für Entlastung und mehr Personal begonnen wird, kann DIE LINKE unterstützend aktiv werden.

6.

Zu den Erfahrungen der letzten Monate gehört auch, dass DIE LINKE bei den Kommunalwahlen in Hessen und z.T. auch in den Großstädten bei den Wahlen in Baden-Württemberg erstaunlich gut abgeschnitten hat. Besonders dort, wo wir vor Ort gut verankert sind, konnten wir bei den Wahlen zulegen. Das Licht im Dunkeln zeigt: Für die Erfolge von morgen brauchen wir letztlich aktive Strukturen vor Ort und Neumitglieder. Die anstehenden Wahlkämpfe müssen also mehr denn je als Kampfzone für den Parteiaufbau verstanden werden. Haustürbesuche, Telefonkampagnen aktivierende Sozialberatungen und Organizing-Methoden können Leute für die aktive Politik gewinnen und Menschen zum mitmachen bewegen, die mit der herrschenden Politik bereits abgeschlossen hatten. Wichtig ist, dass wir nicht den Eindruck erwecken, dass wir uns nur zu Wahlkampfzeiten für die Leute interessieren. Die Verankerung der Partei in Stadtteilen, Mietervereinen und Flüchtlingsinitiativen muss auf viele Jahre hin angelegt werden. Wenn es in vielen Kommunen zudem für die mittlere Zukunft nur zu wenig mehr als zur Elendsverwaltung reicht, wird DIE LINKE dabei nur erfolgreich sein, wenn sie es schafft, Kommunalpolitik mit den großen Fragen der Bundespolitik zu verbinden. Gefragt ist eine klassenorientierte Lokalpolitik, die den Bogen spannt und die Folgen von TTIP anhand der Privatisierung des lokalen Krankenhauses erklären kann.

7.

Widerständig zu bleiben muss für DIE LINKE auch heißen in internationalen Fragen einen klaren Kurs als Friedenspartei zu halten und Auslandseinsätze der Bundeswehr konsequent abzulehnen. Gerade in der »Flüchtlingskrise« zeigt sich ja nicht erst mit dem Erdogan-Deal, dass eine grundsätzliche Kritik an den Institutionen, also an der undemokratischen, militaristischen und neoliberalen Verfasstheit der EU und am imperialen Charakter der NATO jeden Tag realistischer wird. Es reicht uns daher nicht aus, Kritik nur an der Oberfläche oder an Einzelmaßnahmen zu üben. Frei nach Harald Wolf sind erhebliche Zweifel angebracht, ob man sich bei EU und NATO einfach wie auf ein Fahrrad setzen und in eine andere Richtung radeln kann. Und: In der öffentlichen Wahrnehmung kommt die stärkste Kritik an der EU leider derzeit nicht von uns, sondern von rechts. Angesichts der täglich neuen Mittelmeertoten und dem drohenden Brexit sollten wir uns endlich trauen, eine Diskussion darüber zu beginnen, wie wir an die sichtlich berechtigte Stimmung vieler Menschen in Europa von links andocken können, anstatt EU-Kritik den nationalistisch argumentierenden Rechten und Konservativen zu überlassen. Mit den großen Protesten gegen TTIP, den Volksabstimmungen in mehreren Ländern und den Erfahrungen von Syriza bieten sich dazu für uns auch praktische Anknüpfungspunkte, die wir als LINKE bislang zu wenig genutzt und aufgearbeitet haben. Dies ist aber eine entscheidende Voraussetzung für einen europäischen Frühling.

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