Rebellion gegen Faymann
Nach der Wahl erfährt der SPÖ-Chef in Österreich zunehmend Kritik aus den eigenen Reihen
Wien. Der vergangene Sonntag markiert eine Zäsur. Darin ist man sich in Wien einig. Dass die Wähler mit Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol gleich beide Regierungskandidaten für das Präsidentenamt hochkant aus dem Rennen um die Wiener Hofburg gekickt haben, hat es in der Zweiten Republik nicht gegeben. SPÖ und ÖVP sind nach dem Elf-Prozent-Debakel ihrer Kandidaten nur noch Zaungäste des Stichwahlduells zwischen dem FPÖ-Favoriten Norbert Hofer und dem Grünen Alexander van der Bellen.
Während sich die ÖVP eine neuerliche Obmanndebatte verkneift, weil das letzte Revirement an der Spitze erst eineinhalb Jahre zurückliegt, ist bei den Sozialdemokraten das große Sägen am Sessel des Vorsitzenden voll in Gang. Werner Faymanns fast trotzig wirkende Feststellung, dass »wir fürs Arbeiten und nicht fürs Streiten gewählt sind«, geht unter in der Diskussion um sein weiteres Schicksal.
Von 21 Wahlen 20 verloren
Denn zu bescheiden ist die Bilanz seiner Arbeit. In den 21 Wahlgängen auf Bundes- und Länderebene seit seiner Kür zum SPÖ-Chef im Jahr 2008 haben die Sozialdemokraten nur ein einziges Mal erleben dürfen, wie es ist, wenn man Sieger ist. 20 Mal haben sie verloren und dabei vielfach historische Tiefststände erreicht. Die Frage, ob Faymann wirklich der Richtige an der Spitze ist, hallt daher schon seit Längerem aus den roten Reihen.
Er hat solche Momente stets ausgesessen. Und auch jetzt vertraut er wieder auf das Gras, das noch über jede Niederlage gewachsen ist. Doch nach diesem Debakel riecht es in der Partei zu sehr nach verbrannter Erde. Elf Prozent für den SPÖ-Kandidaten sind vielen Genossen einfach zu wenig, um zur Tagesordnung überzugehen.
Ruf nach klärendem Parteitag
Der Ruf nach einer Vorverlegung des für November angesetzten Parteitages wird immer lauter und von immer prominenteren Sozialdemokraten mitgetragen. Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser, der seiner Partei mit seinem Wahlsieg 2013 das einzige Erfolgserlebnis in den acht Faymann-Jahren beschert hat, will den Parteitag vor dem Sommer: »Strukturelle, inhaltliche und personelle Entscheidungen« müssten dort getroffen werden, fordert Kaiser.
Ebenso eine »Diskussion ohne Tabus« verlangt der steirische SPÖ-Landeschef Michael Schickhofer. Ebenso Robert Hergovich, SPÖ-Fraktionschef im burgenländischen Landtag. Die ehemalige SPÖ-Ministerin Brigitte Ederer fordert so wie die Parteijugend ganz offen Faymanns Rücktritt. Und selbst der bislang stets loyale Ex-Bundeskanzler Franz Vranitzky plädiert für eine Vorverlegung des Parteitags zur Beendigung des »Schwebezustandes«.
Zu denken geben muss Faymann, dass eine Rücktrittsaufforderung erstmals auch aus der Wiener SPÖ, seiner eigentlichen Machtbasis, kommt: Die Gemeinderätin und stellvertretende SPÖ-Fraktionschefin Tanja Wehsely findet, dass man nach diesem Wahldebakel »alles infrage stellen« und »ernsthaft über Personen diskutieren« müsse.
Nachfolgersuche schon gestartet
Die Suche nach einem neuen Vorsitzenden hat inoffiziell schon begonnen. Die rebellische »Sektion 8«, in der vor allem Wiener Jungsozialisten zusammengeschlossen sind, hat das Projekt »Vorsitzwahl2016« ins Leben gerufen. Mit Verweis auf die Praxis in vielen sozialdemokratischen Parteien Europas fordert sie die direkte Wahl eines neuen Vorsitzenden durch die Parteibasis. Auf ihrer Homepage präsentiert die »Sektion 8« schon fünf Alternativkandidaten zu Faymann, darunter der schon länger als potenzieller Brutus gehandelte Chef der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), Christian Kern. Auch der Kärntner Landeshauptmann Kaiser steht ebenso wie Brigitte Ederer auf der Liste, über die ab Juni online abgestimmt werden kann.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.