Revolution für soziale Gerechtigkeit und Demokratie

»Da geht noch mehr«: Vorschläge für eine offensive Strategie der Linkspartei. Dokumentation eines Papiers von Katja Kipping und Bernd Riexinger

  • Lesedauer: 29 Min.

I. Am Scheideweg – Autoritäre Entwicklung oder Revolution der Gerechtigkeit?

In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, in welche Richtung sich diese Gesellschaft bewegt. Sie steht an einem Scheideweg: Zwischen rechter Hetze und neoliberaler Konkurrenz auf der einen Seite, Demokratie, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit auf der anderen Seite. Werden größere Teile der Erwerbslosen, Prekären, Geringverdienenden und die abstiegsbedrohte Mittelschicht sich den Rechtspopulisten zuwen­den und damit den Weg für eine noch unsozialere, autoritäre und antidemokratische Entwicklung berei­ten? Oder gelingt es, Konkurrenz und Entsolidari­sierung zurückzudrängen und ein gesellschaft­liches Lager der Solidarität zu bilden? Diese Fragen stehen nicht erst seit dem tiefen Einschnitt in der politischen Landschaft, den die Landtagswahlen im März 2016 darstellen, im Raum. Sie verweisen darauf, wie wichtig es ist, dass es eine starke LINKE gibt.

Der Wahlerfolg der AfD ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Wir erleben einen gefährlichen Anstieg rechter Gewalt. Der politische Diskurs der »Mitte« verschiebt sich nach rechts. Die Große Koalition tut alles dafür, soziale Fragen aus der öffentlichen Diskussion heraus­zu­drängen – das ist Wasser auf die Mühlen der AfD. Als LINKE haben wir bei starkem Gegen­wind im Wahlkampf eine Niederlage erlitten: In Sachsen-Anhalt haben wir deutliche Verluste hinnehmen müssen, in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg hat sich gezeigt, dass die Verankerung der Partei in der Fläche noch zu schwach ist.

Das Alarmsignal des Wahlsonntags ist, dass die AfD in Sachsen-Anhalt wie Baden-Würt­tem­berg stärkste Partei bei den Erwerbslosen und bei den Arbeiter_innen geworden ist, und auch viele gewerkschaftlich orientierte Be­schäftigte AfD gewählt haben. Diese Menschen sind nicht alle rassistisch oder nationalistisch – aber sie stärken eine rassistische und rechts­popu­listische Partei. Seit ihrer Gründung liegt die besondere Funktion der LINKEN darin, die Interessen der Erwerbslosen, prekär Beschäf­tigten und Menschen mit geringen Einkommen stark zu machen und mit ihnen für Verbes­se­rungen ihrer Lage zu kämpfen. Rico Gebhardt hat die zentrale Herausforderung auf den Punkt gebracht: »Den größten Beitrag, den wir als Linke gegenwärtig gegen den Rechtstrend leisten können, ist, wenn wir die Arbeiterschaft und die Arbeitslosen zurückgewinnen. Das ist eine soziale Herausforderung mit hohem antifaschistischen Effekt!«

Zugleich hat sich mit den Wahlen vom März eine erfreulich Entwicklung der letzten Jahre fortgesetzt: DIE LINKE wächst in den Groß­städten, wo sich ein junges linkes Milieu herausbildet.

Gerade bei jungen Menschen erleben wir wachsenden Zuspruch und gewinnen neue Mitglieder. Entlang der Flüchtlingssolidarität, des Kampfes gegen Rassismus, rechte Gewalt, gegen TTIP und Waffenexporte, für Klimage­rechtigkeit und eine Kritik am Kapitalismus politisieren sich gerade viele Menschen. Die Frage, ob wir nun in der Flüchtlingspolitik unsere Grundsätze aus zweifelhaften wahlstra­tegischen Überlegungen über Bord werfen sollen, stellt sich nicht. Dann würden wir nicht nur die vielen Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, wieder verlieren, wir würden auch unsere Grundwerte der Menschen­rechte und Demokratie verraten – und den gleichen Fehler machen wie die SPD. Das würde am Ende nur die Rechten stärken. Unsere Positionen für Bewegungsfreiheit und gegen die Festung Europa sind klar, nicht erst seit dem Erfurter Programm. Sie stehen ebenso wenig zur Disposition wie unsere grundlegende Opposition zur Austeritäts­poli­tik. Wir geben weder unsere Positionen auf noch die Menschen. Wir sind antirassistisch und antifa­schistisch, das ist unverhandelbar.

Es ist ein gutes Zeichen, dass sich bereits eine lebhafte Debatte entwickelt hat, wie die Rechts­entwicklung gestoppt werden kann und wie wir wieder mit solidarischen Perspektiven für alle Menschen in diesem Land in die Offen­sive kommen. Um diese Herausforderung zu bewältigen, müssen auch bestehende Strate­gien und Botschaften, z.B. in Landtags­wahl­kämpfen, auf den Prüfstand. Entschei­dend ist, dass wir das kritisch-solidarisch und kon­struktiv tun und am Ende zu einem gemein­samen Auftreten kommen.

In dieser Situation stehen wir vor der Heraus­forderung, unsere Rolle in der Gesell­schaft neu zu finden und uns weiter­zu­ent­wickeln. Denn SPD und Grüne sind von sozialer Gerechtigkeit derzeit weiter entfernt als je zuvor, es gibt kein linkes Lager der Parteien mehr. Mehr noch: SPD und Grünen haben sich offenbar mit ihrer Rolle als Mehrheitsbeschaffer in einer ‚markt­konformen Demokratie‘ (Merkel) abgefunden. Wir sind nicht Teil des Merkel-Lagers, wir stehen gegen Neoliberalismus wie gegen Rechtspopulismus.

Das gesellschaftliche Lager der Solidarität gibt es noch nicht. Aber es gibt die vielen Menschen, die für bessere Arbeitsbedingungen und bezahlbare Mieten, gegen prekäre Arbeit und die Gängelung in den Jobcentern kämpfen. Die sich gegen rechte Gewalt, Rassismus und in der Unterstützung von Geflüchteten enga­gieren. Es gibt die vielen Menschen, die durch den reaktionären Kulturkampf der AfD gegen Feminismus, Geschlechtergerechtigkeit und sexuelle Selbstbestimmung in ihrer Lebens­weise bedroht werden. Es gibt die vielen Menschen, die sich um den Zustand von Demokratie, Bürger- und Menschenrechten in Europa sorgen. Die sich für Klimagerechtigkeit und einen gerechten Welthandel engagieren. Und es gibt die Millionen Menschen, die sich über die Bereicherung weniger auf Kosten der Mehrheit empören. Diese Vielen können das »Lager der Solidarität« bilden, wenn sie ihr Gemeinsames finden. Als linke Partei haben wir die Aufgabe, zur organisierenden Kraft einer solchen gesellschaftlichen Strömung zu werden.

Um ein Bollwerk gegen Rechtspopulismus wie Neoliberalismus zu bilden, müssen wir den Resonanzraum für linke Alternativen in der Gesellschaft erweitern. Wir haben in den letzten Jahren die Idee der »verbindenden Partei« entwickelt. Diese Idee ist aktueller denn je: Wer anders als wir, DIE LINKE, könnte diese Funktion der Verbindung der Vielen für einen Kampf um eine soziale Demokratie überneh­men? Verbindende Partei bedeutet in dieser gesellschaftlichen Situation, dass wir daran arbeiten, das Gemeinsame zwischen einem jungen urbanen linken Millieu, Erwerbslosen, prekär Beschäftigten und den Millionen Beschäftigten, die sich um ihre Rente im Alter sorgen und die sich ein Leben ohne Dauerstress und Existenzangst wünschen, herauszubilden.

Aber alleine als Partei werden wir das nicht schaffen. Um die gesellschaftlichen Kräftever­hältnisse zu verändern, müssen wir stärker als bislang die Botschaft ausstrahlen: »Keine Partei kann allein die Gesellschaft verändern, aber gemeinsam können wir uns auf den Weg machen. Lasst uns gemeinsam mit den vielen Menschen ein gesellschaftliches Lager der Solidarität gegen Dauerstress und Existenz­angst, gegen die Bereicherung und kriminelle Steuerflucht der Super-Reichen, gegen Rassis­mus und rechte Gewalt bilden. Es geht um eine Zukunft, für die es sich zu kämpfen lohnt.«

Denn: Soziale Rechte, Demokratie und Weltoffenheit sind heute nur noch im Vorwärts­gang zu verteidigen. Um in diesen Zeiten gegen die Konzentration von Macht und Reichtum in den Händen Weniger die drohende Zerstörung der Demokratie zu verhindern und eine soziale Demokratie zu verwirklichen, braucht es nicht weniger als eine Revolution. Revolution? Wir sind uns bewusst, was »soziale Revolution« bedeutet: radikale Umwälzung der kapitalis­tischen Eigentumsverhältnisse und aller gesell­schaftlichen Verhältnisse, in denen Menschen ausgebeutet, erniedrigt und unterdrückt werden. Eine solche Umwälzung steht in Deutschland derzeit nicht auf der Tages­ordnung. Durch dreißig Jahre einer neoliberalen »Revolution von oben«, in der Unsicherheit und Konkurrenz entfesselt wurden, ist der gesell­schaftliche Zusammenhalt zerstört worden. Wir dürfen Protest nicht den rechten Hetzern überlassen, die keine Lösungen haben, außer nach »unten« zu treten. In dieser gefährlichen Situation müssen wir als LINKE eine klare Botschaft ausstrahlen: Es darf kein »Weiter so« geben. Kleine Kurskorrekturen innerhalb des neoliberalen Kapitalismus reichen nicht. Wir brauchen einen grundlegenden Wandel. Nur eine »Revolution der Gerechtigkeit« kann verhindern, dass Millionen Menschen im Alter in Armut leben und Millionen Kinder in Armut aufwachsen. Nur eine Revolution der Gerechtigkeit kann gute Gesundheitsversor­gung, Bildung und bezahlbares Wohnen für alle durchsetzen. Gute Arbeit, Sicherheit, ein gutes Leben im Alter, der garantierte Schutz vor Armut und das Recht auf Teilhabe auch im Fall der Erwerbslosigkeit – das sind eigentlich Selbstverständlichkeiten in einem reichen Land. Heute sind sie es nicht mehr. Wir müssen sie als soziale Garantien für alle Menschen erkämpfen.

II. Zum notwendigen Kampf gegen rechts

Der Blick nach Europa zeigt: Der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa ist nur vor dem Hintergrund der Ausbreitung un­sicherer Arbeit- und Lebensverhältnisse und der Entfesselung von Konkurrenz im Alltag zu verstehen. Die Rechten stoßen in die Lücke, die die Sozialdemokratie mit ihrem neoliberalen Kurs hinterlassen hat. In Deutschland hat sich die Verunsicherung bis in die Mittelschichten hinein über mehr als zwei Jahrzehnte auf­ge­baut. Dafür wie für das jahrzehntelange Aus­bluten-Lassen der ostdeutschen Regionen sind in Deutschland CDU/CSU, FDP sowie große Teile von SPD und Grünen verantwortlich. Kampf gegen rechts heißt daher auch immer, den sozialen Nährboden für rechte Politik auszutrocknen. Neoliberale Politik hat durch systematische Kürzungspolitik struktur­schwa­che Regionen (insbesondere, aber nicht nur) in Ostdeutschland »verfallen« lassen. Menschen erfahren durch den Fortfall öffentlicher Da­seinsvorsorge konkret, was es heißt, »sich nicht zu rechnen«. Die seit Jahren andauernde Spirale von Strukturschwäche und Schrumpfung ver­schärft die Angst der Menschen, »abgehängt« zu sein. Sie nimmt ihnen Lebenschancen und verwüstet den sozialen Zusammenhalt. Wir knüpfen an den Kampf der PDS und an den sozialen Verfassungsauftrag an, gleiche Lebensbedingungen in allen Teilen der Bundes­republik herzustellen. Das gilt für die immer noch bestehende Rentenungerechtigkeit nach mehr als 25 Jahren deutscher Einheit ebenso wie für ungleiche tarifliche Regelungen. Nicht zuletzt lassen wir weder ostdeutsche Biografien noch bestehende soziale Infrastruktur entwer­ten.

Die Frage der sozialen Gerechtigkeit muss offensiv beantwortet werden: indem wir den Finger in die Wunde legen, Alternativen benennen und Verantwortliche markieren. Im Mittelpunkt muss die Frage stehen, wie wir gerade die Erwerbslosen und Beschäftigten ansprechen und für unsere sozialen Forde­rungen gewinnen können. Etwa die Hälfte derjenigen mit niedrigen Einkommen, die im März AfD gewählt haben, kann sich vorstellen, beim nächsten Mal (wieder) DIE LINKE zu wählen. Dabei ist die Umverteilung des Reichtums der Knackpunkt: Wenn die Men­schen nur die Erfahrung machen, dass der zu verteilende »Kuchen« gleich bleibt, werden Konkurrenz und Entsolidarisierung gefördert, werden Verteilungskämpfe über Spaltungen und Rassismus ausgetragen. Dem setzen wir den Verteilungskampf gegen die Superreichen und Profiteure von Armut und Ungerechtigkeit entgegen.

Es ist nicht damit zu rechnen, dass der Resonanzboden für rechtspopulistische Positio­nen kurzfristig kleiner wird. In den nächsten Monaten wird die AfD vermutlich die Inte­gration von Flüchtlingen zur Gefahr für die Sicherheit stilisieren und die rassistische Hetze gegen Muslime verstärken. Darauf müssen wir vorbereitet sein und den »Kampf um die Köpfe« aufnehmen. Deswegen sind breite gesellschaft­liche Bündnisse gegen Rassismus und die prak­tische Solidarität mit Geflüchteten so wich­tig. Bisher konnte weder die Regierung noch eine andere Partei mit einem überzeugenden Inte­grationskonzept aufwarten. Es liegt an uns, ein Programm für eine sozial gerechte Einwan­derungsgesellschaft zu erarbeiten, dass auf Teilhabe, Demokratie, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit für alle beruht. Dazu gehören die Verkürzung der Arbeitszeit, soziale Garantien und Bildungsgerechtigkeit ebenso wie die radikale Besteuerung der Reichen. In unserem Kampf für eine solidarische Einwanderungs­gesellschaft wagen wir, was andere sich nicht trauen: die Konfrontation mit den Reichen, um eine solidarische Gesellschaft zu schaffen. Dann ist ein Mehr für alle möglich.

Der Kulturkampf der AfD im Namen von Nation, Familie und Autorität greift auch die Errungen­schaften der Frauenbewegung und der 1968er an: gegen die Gleichberechtigung der Frauen, gegen Rechte der Schwulen und Lesben, gegen eine Vervielfältigung der Ge­schlechterrollen und Familienformen. Wir wer­den diese Angriffe zurückweisen: Es geht darum, einen offensiven »Kulturkampf« von links zu führen, der die Frage stellt: In welcher Gesellschaft wollen wir leben, wie sieht ein gutes Leben aus? Anders als liberale Positionen machen wir deutlich: Eine plurale und (welt-)offene Gesellschaft muss auch eine soli­darische Gesellschaft sein – dafür braucht es aber soziale Sicherheit für alle Menschen und umfassende Demokratisierung.

III. Eine Revolution für soziale Gerechtigkeit und Demokratie

III.a Empörung von links besetzen und die soziale Gerechtigkeitsfrage zuspitzen

Der Neoliberalismus ist auch mit dem Versprechen der Gerechtigkeit angetreten. Diese Versprechen erweisen sich heute als organisierte Lügen und Illusionen. Die Gesellschaft sollte gerechter werden, wenn alle Arbeit finden – dafür wurden jahrelang die Löhne gesenkt, Sicherheit für Beschäftigte durch Flexibilitätsdruck und Dauerstress ersetzt. Leistung sollte sich wieder lohnen und Gerechtigkeit vor allem durch die vielen Steuersenkungen für Reiche, Kapitaleigentümer und leistungslose Erb_innen entstehen – das Ergebnis ist, dass heute das 1% der reichsten Menschen in Deutschland über ein Drittel des gesellschaftlichen Reichtums verfügt, während die Hälfte der Bevölkerung gar kein Vermögen mehr hat. Und die organisierte Kriminalität der Steuerflucht der Reichen ist zur Selbstverständ­lichkeit geworden. Die Superreichen bilden Parallelgesellschaften, in denen Solidarität und Demokratie nur noch als Hemmnisse für ihre weitere Bereicherung gelten. Der Sozialstaat sollte gerechter werden, indem alle sich selbst vor den Risiken von Krankheit, Erwerbslosigkeit und Altersarmut schützen und sich für die eigene Wohnung verschulden. Wenn jeder seines eigenen Glückes Schmid sei, schaffe die Konkurrenz auf dem Markt Gerechtigkeit. Der Markt schafft aber keine Gerechtigkeit, son­dern Altersarmut, Wohnungsnot und einen Pflegenotstand in unseren Krankenhäusern.

  1. Eine Revolution für soziale Gerechtig­keit und Demokratie fängt an mit einer Kampfansage an die Wenigen, die uner­messlichen Reichtum, Vermögen und Macht auf Kosten der Mehrheit der Menschen angehäuft haben. Wir nennen die Namen derjenigen, die von prekärer Arbeit, Armutslöhnen, steigenden Mieten und Pflegenotstand in den Kranken­häusern profitieren. Arme sterben früher – auch weil Reiche ihr Geld ins Ausland schaffen. Der aktuelle Skandal um die Briefkasten­firmen in Panama zeigt, dass wir die Steu­eroasen austrocknen, die organisierte Steuerhinterziehung der Reichen und Kon­zerne bekämpfen und den von den Arbeitenden produzierten Reichtum zurück umverteilen müssen. Wir kämpfen für eine radikale Umverteilung des gesellschaft­lichen Reichtums, die gesellschaftliche Kontrolle über die Banken und die Schrumpfung der Finanzmärkte. Eine radi­kale Umverteilung des Reichtum ist die Grund­lage dafür, dass wir die drängenden gesellschaftlichen Probleme lösen können: die Armut bekämpfen, in gute Gesund­heitsver­sorgung, Bildung und bezahlbare Wohnungen für alle investieren, den ökologischen Umbau der Wirtschaft und die erneuerbare Energiewende voran­brin­gen, Integration sozial gerecht gestalten und Fluchtursachen bekämpfen können.
  2. Eine Revolution der Gerechtigkeit rich­tet sich an die Millionen Beschäftig­ten im Land. An diejenigen, die in prekärer Arbeit, mit Hartz IV oder Niedriglöhnen ihre Zukunft nicht mehr planen können. Sie richtet sich an die vielen Beschäftigten, die unter Dauerstress leiden und für die Ver­einbarkeit von Familie und Beruf ein uner­füllter Traum geblieben ist. Wir kämpfen für eine Revolution der Arbeit: Arbeit muss für alle Menschen sicher, kürzer, geschlech­tergerecht und gerecht verteilt, selbst­bestimmt und demokratisch gestaltet sein. Machen wir uns gemeinsam auf den Weg: für eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns, steigende Löhne und eine Stärkung der Tarifverträge, für sichere Arbeit statt Befristungen, Leih­arbeit und Werkverträge. Zu den an­stehenden Kämpfen um Zeit gehört eine Initiative zur Arbeitszeitverkürzung und -umverteilung: das kann über die gesetzliche Wochenhöchst­arbeitszeit, über das Recht auf Sabbaticals für alle und über die Schaffung existenzsichernder Teilzeit und »kurzer Vollzeit« statt Minijobs erfol­gen.
  3. Eine Revolution, die Armut beseitigt, Teilhabe gewährleistet, gute Renten, gute Gesundheitsversorgung und Pfle­ge, gleichen Zugang zu Bildung und be­zahlbares Wohnen für alle schafft. Dies sind die sozialen Garantien des Lebens, die eine soziale Demokratie auszeich­nen. Sie sind für uns nicht verhandelbar, aber sie müssen gemeinsam erkämpft werden.

Aktuelle Untersuchungen belegen, dass trotz Wirtschaftsaufschwung Armut und Kinderarmut zunehmen und das Risiko der Altersarmut längst die Durchschnittsver­dienenden erreicht hat. Fast jeder und jedem Zweiten, die und der ab 2030 in Rente geht, droht eine Rente unterhalb der Armutsgrenze. Mit unseren Konzepten für eine sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV in Höhe von 1050 Euro, für eine Grundsicherung für alle Kinder und für eine solidarische Mindestrente könnte Armut in einem reichen Land sofort beseitigt werden. Das Rentenniveau muss dringend angeho­ben, die Rente mit 67 und die Privatisierung durch die gescheiterte »Riester-Rente« müs­sen zurückgenommen werden. Bei der Ren­tenversicherung muss ebenso wie bei der Gesundheitsversicherung das Zwei-Klassen-System aufgehoben werden und einer soli­darischen Versicherung für alle Menschen weichen. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum betrifft Millionen Menschen in diesem Land. In den Krankenhäusern herrscht Personalmangel und Burn-out der Beschäftigten. Die öffentliche Daseinsvor­sorge muss dringend ausgebaut werden. Bei Wohnen, Bildung, Gesundheits- und Energieversorgung haben Markt und Wett­bewerb nichts verloren, sie müssen in öffentlicher und demokratischer Verfügung organisiert werden.

  1. Eine Revolution für Demokratie vertei­digt die Errungenschaften der parla­menta­rischen Demokratie gegen Neo­liberalismus und rechten Autorita­ris­mus. Aber sie geht darüber hinaus. Die sozialen Grundlagen der Demokratie wur­den in den letzten Jahren durch eine Politik im Interesse der Kapitaleigentümer und Vermögenden ausgehöhlt. Der Parlamen­ta­rismus funktioniert immer weniger im Inte­resse der Beschäftigten und der Mehrheit der Bevölkerung. Soziale Demokratie heißt auch, mehr Demokratie zu wagen in der Arbeit und der Wirtschaft und die Ver­fügung über den gesellschaftlichen Reich­tum den Besitzern großer Vermögen zu entreißen. Durch Zukunftsinvestitionspro­gramme zum Auf­bau öffentlichen und ge­nossenschaftlichen Eigentums (z.B. Woh­nungsbaugenossen­schaften), finanziert durch radikale Besteu­erung der Profite und Vermögen, kann Demokratie ein Stück weit zurückerobert werden. Auch dort, wo Belegschaften um den Erhalt ihrer Arbeits­plätze und Stand­orte kämpfen, werden wir die Förderung genossenschaftlicher und belegschaftseigener Betriebe stark ma­chen. Den dringend notwendigen ökolo­gischen Umbau von Industrie, Energiever­sorgung und Mobilität verbinden wir mit Schritten zum Ausbau der Demokratie in der Wirtschaft.
  2. Eine Revolution für soziale Gerechtigkeit und Demokratie setzt dem Europa der Banken und Konzerne eine »konkrete Utopie« eines demokratischen, sozial gerechten und friedlichen Europas »von unten« entgegen. Angesichts der Veranke­rung neoliberaler Politik in den Institutio­nen und der Verfassung der EU – und ge­rade angesichts der Erfahrung der Erpres­sung der linken Regierung und der de-facto-Ausschaltung der parlamentarischen Demokratie in Griechenland – ist eine radikale Kritik der EU dringend erforder­lich. Wir kämpfen dafür, dass die sozialen Garantien europaweit Verfassungsrang be­kommen und Freihandelsabkommen wie TTIP gestoppt werden.

III.b Was wir von Corbyn, Sanders und Podemos lernen können

Es braucht nicht weniger als eine Revolution, um Gerechtigkeit, Sicherheit und Selbstbestim­mung für alle und eine wirkliche Demokratie, die sich nicht auf das Parlament beschränkt, sondern auch Arbeit und Alltag umfasst, durch­zusetzen. Dabei können wir von den Mobilisie­rungserfolgen von Corbyn und Sanders lernen: Menschen sind für gemeinsames Handeln zu begeistern, wenn sie aktiv einbezogen werden. Der Aufschwung neuer Bewegungen wie Podemos und der Indignados in Spanien oder aktuell der »Nuit debout« in Frankreich zeigen: Die Zeit ist reif für einen Aufbruch. Für uns als LINKE in Deutschland stellt sich damit die Herausforderung, unsere Politik zu erneuern und stärker die (Selbst-)Organisierung der Menschen zu fördern. Die gesellschaftlichen Aufbrüche, die mit Corbyn, Sanders oder auch Podemos verbunden werden, zeigen, dass vor allem unter jungen Menschen die Kritik am Kapitalismus an Anziehungskraft gewinnt. Dabei geht es nicht in erster Linie um charis­matische Persönlichkeiten, entscheidend ist der Aufbruch an der Basis, die Bildung einer gesellschaftlichen Bewegung. Sanders‘ Bot­schaft lautet: Für eine Zukunft, an die es sich zu glauben lohnt und für die es sich zu kämpfen lohnt. Es geht um eine Kampfansage an die neoliberale politische Elite.

Wir sind die Partei des sozialen Protests gegen ungerechte Verhältnisse in diesem Land. Deshalb unterbreiten wir den Menschen ein Angebot, das sich grundlegend von dem rassis­tischen Angebot der AfD unterscheidet. Das Angebot, gemeinsam für eine soziale Demo­kratie zu kämpfen, die den Zusammenhalt der Gesellschaft durch soziale Garantien für alle sichert. Sicherheit für alle Menschen – das ist eine wirkliche Alternative für dieses Land: Armut beseitigen, gute Renten und bezahlbare Wohnungen, gute Gesundheitsversorgung und Pflege, gleicher Zugang zu Bildung für alle. Es ist das Angebot, sich mit uns auf den Weg einer Revolution der Gerechtigkeit zu machen.

Als LINKE haben wir auch die Funktion, die Resonanzräume für Kapitalismuskritik in der Gesellschaft auszuweiten und Alternativen populär zu machen. Wir haben mit unserem Manifest »Die kommende Demokratie: Sozialismus 2.0« Einstiege in eine »völlig neue Weise des Produzierens, Lebens und Arbeitens« vorgeschlagen. »Es geht um eine Revolution des Denkes, Fühlens und Handelns. Kern eines solchen Projektes ist immer noch die Um­wälzung der herrschenden Produktions-, Repro­duktions- und Eigentumsverhältnisse und die Verwandlung der Produktivkräfte und der tech­nologischen Innovation in Mittel für die kollek­tive Selbstbestimmung: die Verfügung der Men­schen über die Bedingungen, in denen sie leben und arbeiten«.

Lange war die Funktion der LINKEN im Parteiensystem und für Wählerinnen und Wähler dadurch bestimmt, dass wir die SPD, in Teilen auch die Grünen, getrieben haben. Wenn es aber kein linkes Lager gibt und die SPD im Niedergang ist, müssen wir unsere Funktion in der Gesellschaft, unsere Rolle im Parteienspek­trum neu definieren. Wir müssen uns als offen­sive und konstruktive Kraft für eine grund­legende gesellschaftliche Veränderung begrei­fen – das meint mehr, als Opposition zu sein, und doch etwas anderes, als sich als bloßes Korrektiv einer Mitte-links-Regierung zu verstehen. Wir sind keineswegs bereit, SPD und Grüne aus der Verantwortung zu entlassen, gemeinsam für soziale Gerechtigkeit und mehr Demokratie zu sorgen.

Die Hegemoniefrage von links stellen heißt eben nicht, staatstragend aufzutreten. Es heißt vielmehr, der Postdemokratie einen Gestal­tungsanspruch im Alltag gegenüberzustellen. Der vermeintlichen Alternativ­losigkeit der Gro­ßen Koalition und dem rechten »Gesellschafts­entwurf« der Ausgrenzung und Verrohung setzen wir einen linken Gesellschaftsentwurf für eine solidarische Gesellschaft entgegen. Neben dem politischen Willen in den Parteien (also einem grundlegenden Kurswechsel bei SPD und Grünen) braucht es vor allem gesell­schaftliche Mehrheiten für gemeinsame Projek­te und die Macht, durch gemeinsame Mobilisie­rung mit Gewerkschaften und sozialen Bewe­gungen zentrale Einstiegsprojekte auch gegen massiven Widerstand der Superreichen durch­setzen zu können. Michael Brie hat eine Strate­gie der »linken Regierung« vorgeschlagen. Da­ran können wir anknüpfen und eine Alternative zum neoliberalen Kapitalismus, eine Agenda für eine Regierung im Interesse der 90% ent­wickeln, für die wir in den nächsten zehn Jahren um gesellschaftliche Mehrheiten ringen.

IV. Wo wir stehen – eine knappe Bilanz auf dem Weg zur »verbindenden Partei«

IV.a. Die Parteineugründung vollenden – Ankunft in der neuen LINKEN

Als WASG und PDS sich auf den Weg der Parteineugründung machten, wurden die Weichen für eine bundesweite Verankerung einer Partei links von der SPD gestellt. Wir beide haben diesen Weg von Anfang an mit Begeisterung begleitet. Uns einte die Über­zeu­gung, dass die neue Partei mehr sein musste als die bloße Addition von zwei Teilen. Diesem Ziel, die Partei DIE LINKE so aufzustellen, dass das Neue, das größere gemeinsame Projekt wahrnehmbar ist, fühlten wir uns von Anfang an verpflichtet. Nun, nach vier Jahren, können wir sagen: Wir sind gemeinsam ein gutes Stück weiter gekommen. Dazu gehört ein anderer Umgang mit Konflikten. Konflikte sind für unse­re Arbeit wichtig. Entscheidend ist jedoch: Wie werden die Konflikte nach vorne, konstruktiv gewendet? Wie können die Vertreter_innen un­terschiedlicher Auffassungen sich um gemein­same Ziele zusammenfinden?

Wir haben viel dafür gearbeitet, dass eine neue Kultur des Umgangs und der Diskussion gestärkt wird. Unsere Amtszeit begann mit einer Offensive des Zuhörens nach der Devise, die Mitglieder müssen sich stärker einbringen können. Die Aufgabe der Parteiführung ist es, die unterschiedlichen Positionen zu vermitteln, sie sind verschiedene Antworten auf ein und dieselbe gemeinsam zu klärende Frage. DIE LINKE als linkspluralistische Partei ist in besonderem Maße auf ein solches Verständnis angewiesen. Alle, die die Partei auf unter­schiedlichen Positionen führen, im Ortsverein, in Fraktion und Vorständen, sind auf diese Haltung angewiesen, um Differenzen nicht zu Gräben auszuweiten und gemeinsames Han­deln zu ermöglichen. Angesichts der gro­ßen Herausforderungen müssen wir uns alle ein Stück weit verändern, mit unseren Kräften sorgsamer umgehen, stärker gemeinsame Schwerpunkte bestimmen und dann unsere Kraft in ihre Umsetzung stecken!

IV.b. Verbindende Partei – Kräfte bündeln für gesellschaftliche Veränderung

Es geht aber nicht nur um den produktiven Umgang mit Differenzen innerhalb unserer Partei. Es geht um eine Strategie zur Bündelung der Kräfte für gesellschaftliche Veränderung. Im Neoliberalismus werden Kernbelegschaften gegen Leiharbeiter, Prekäre gegen Langzeit­erwerbslose, Prekäre und Erwerbslose mit deutschem Pass gegen Geflüchtete ausge­spielt. Mit dem Kampf gegen prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse haben wir einen strate­gischen Anker entwickelt, der ein solidarisches gesellschaftliches Bündnis ermöglichen soll.

Diese Überlegung steht auch hinter der Kampagne »Das muss drin sein.«. Sie soll Widerstand organisieren, gegen die neolibe­ralen Zumutungen des Alltags. Und dass es darum gehen muss, einen alltagsnahen, kämpferischen linken Gegenpunkt zu setzen. Seitdem haben viele hundert kleinere Aktionen stattgefunden. Aber selbstkritisch müssen wir sehen, dass der Prozess der Kampagne noch am Anfang steckt. Wir wollen daher mit euch, der gesamten Partei, gemeinsam diskutieren, wie wir ein bis zwei unserer Forderungen gesellschaftlich mehrheitsfähig machen und für ihre Durchsetzung mobilisieren können. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, die Kampagne zu einem Baustein der Bildung eines gesell­schaftlichen Lagers der Solidarität und zu ei­nem lebendigen Prozess der Organisierung neuer Aktiver zu machen.

Um die Verankerung der Partei zu verbessern, haben wir verschiedene Foren geschaffen: die LINKE Woche der Zukunft, die bundesweite Friedenskonferenz, die Feministische Offensive, zahlreiche Ratschläge und Gesprächskreise mit Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Intel­lektuellen und Künstler_innen. Wir haben be­gonnen, gezielt junge Menschen zu fördern und einzuladen, sich die Partei zu eigen zu machen. Diesen Weg wollen wir weitergehen.

V. Die nächsten Schritte auf dem Weg zur verbindenden Partei

Vieles wurde begonnen, aber ist damit schon ein Neuanfang gelungen? Veränderungen ver­laufen langsam, gerade wenn wir alle mitneh­men wollen. Und das wollen wir. Gleichzeitig kann es leicht geschehen, dass die Geschwin­digkeit gesellschaftlicher Veränderungen die manchmal mühseligen Prozesse in großen Or­ga­nisationen überholt. Das kann eine Span­nung, eine Bedrohung sein. Wenn wir die not­wendige Weiterentwicklung klug, mutig und solidarisch angehen, kann sie aber auch einen Schub in die notwendige Richtung verleihen. Wenn uns das gemeinsam gelingt, wird die aktuelle Situation weniger eine Krise als viel­mehr eine Chance für einen linken Aufbruch sein.

Die Partei DIE LINKE sieht sich nicht als Stellvertreterpartei, sondern als Organisation, die den Menschen in ihren Kämpfen für höhere Löhne und soziale Rechte, mehr Demokratie und Klimagerechtigkeit nützlich ist. DIE LINKE ist in einigen Orten an der Basis längst ge­sellschaftliche Partei. Aber da geht noch mehr.

Wir schlagen daher eine Gesamtstrategie vor, um die gesellschaftliche Verankerung der Partei zu stärken und unsere Parteikultur einer aktiven Mitgliederpartei weiterzuentwickeln. Entscheidend ist dabei, dass wir in den gesell­schaftlichen Auseinandersetzungen (etwa um steigende Mieten, gegen die Privatisierung des örtlichen Krankenhauses) aktiv präsent sind und Menschen einladen, gemeinsam mit uns aktiv zu werden, um konkret etwas zu ver­ändern. Es geht also nicht nur um die rich­tigen Forderungen, sondern darum, Prozesse prak­tisch (mit) zu organisieren: eine Politik zum Mitmachen, eine Politik, die vor Ort organisiert, in den Betrieben, Stadtteilen und Familien spürbar ist. Eine Politik, die den Menschen Mut macht, zusammen mit anderen ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Mit der Unterstützung von Streiks und Mietenpro­testen, mit den vielen Initiativen zur Alltags­unterstützung, mit »DIE LINKE hilft« und der Flüchtlingshilfe gibt es schon viele Ansätze zu einer solidarischen Alltagspolitik der LINKEN. Wir können dabei an den Erfahrungen als Kümmerer-Partei anknüpfen. Unsere Partei ist in den ostdeutschen Bundesländern nicht nur in den Großstädten, sondern in Kleinstädten und im ländlichen Raum da anerkannt, wo sie in sozialen Vereinen, etwa Kleingartenvereinen, der Volkssolidarität, Sportvereinen, Bürger­ini­tiativen und lokalen Vereinen sowie in Gewerk­schaften verankert ist und durch Mandats­trägerinnen und Mandatsträger über vielfältige kommunalpolitische Kompetenz verfügt. Der Kampf unserer dort Aktiven ist für uns daher ein maßgeblicher Anknüpfungspunkt. Eine konsequente soziale Interessenvertretung auf lokaler Ebene, eine solidarische Kommunal­politik ist möglich – und notwendig. Sie ist die Grundlage für jede soziale Offensive, weil sie unmittelbar an den Ansprüchen der Bürgerin­nen und Bürger an soziale und demokratische Verbesserungen anknüpfen kann und weil lokale Erfolge »Mut zu mehr« machen.

Wir wollen gemeinsam Schritte zu einer neuen Kultur der Selbstermächtigung und Beteiligung durch Organisierung an der Basis gehen. Dazu wollen wir bestehende Ansätze wie die Kampagne »Das muss drin sein.«, die Arbeit in Stadtteilen und Betrieben und von »DIE LINKE hilft« weiterentwickeln und dabei von positiven Erfahrungen lernen. Lasst uns gemeinsam unsere Parteistrukturen auf eine Willkommens­kultur für Aktive einstellen!

Unser Ziel ist es, schrittweise zu einer kampagnenfähigen und aktiven Mitgliederpartei zu wachsen. Also nicht nur Menschen eine Stimme zu geben, sondern sie zu ermutigen, selbst die Stimme zu erheben.

1. Offensive des Zuhörens und Organisierens in sozialen Brennpunkten

In diesem Sinne wollen wir die Aktiven der Partei, die Abgeordneten und den neuen Partei­vorstand zu einer »Offensive des Zuhörens« in ihren Wohngebieten und den sozialen Brenn­punkten einladen. Dabei sollen die Erfahrungen der Menschen und ihre Hoffnungen im Mittel­punkt stehen. Wir beginnen mit Fragen: Was muss sich ändern, was sind die Wünsche, wer will dafür aktiv werden? Wir legen damit einen Grundstein für eine andere Kommunikation der Partei, die auch im Bundestagswahlkampf fort­gesetzt werden soll. Die Menschen haben ja Recht, wenn sie von der formelhaften Sprache der Politikerkaste erschöpft sind.

Die Zuhöroffensive wollen wir verbinden mit Angeboten zur Vernetzung der Betroffenen in benachteiligten Stadtteilen. Wahlauswertungen zeigen: Diese Menschen gehen zwar halb so oft wählen, stimmen aber doppelt so oft für linke Parteien. Bei den letzten Wahlen hat die AfD überdurchschnittlich stark in sozialen Brenn­punkten abgeschnitten. Wir nehmen die He­rausforderung an. Der Erfahrung von Macht­losigkeit, in der viele Menschen sich nur noch als Spielball »fremder Mächte« erleben, wollen wir die Erfahrung entgegensetzen, dass sich nicht durch Ausgrenzung der Schwächsten, sondern nur durch Solidarität und gemein­samen Kampf die eigene Lage verbessert. Wir wollen Modellprojekte in benachteiligten Wohn­vierteln entwickeln, die (Selbst-)Organisierung vor Ort und die nachhaltige Verankerung der LINKEN fördern. Vielerorts sind bereits Genoss­_innen mit Sozialberatungen, Erwerbslosen­frühstücken, Mieter_innen-Initiativen aktiv – daran wollen wir anknüpfen, bestehende Initiativen unterstützen und beim Aufbau neuer voneinander lernen.

2. Stärkere Verankerung an der Basis der Gewerkschaften: Zusammen für die Aufwertung der sozialen Dienstleistungen!

Die stärkere Verankerung der LINKEN in den Gewerkschaften ist eine zentrale Zukunftsfrage für linke Politik in den nächsten Jahren. Ange­sichts der erschreckenden Wahlergebnis­se der AfD bei den Gewerkschaftsmitgliedern wollen wir den Kampf um die Köpfe auch verstärkt an der Gewerkschaftsbasis führen. Als LINKE wen­den wir uns an alle Lohnabhängigen, nicht nur an diejenigen, die in prekäre Arbeitsverhält­nissen stecken. In den nächsten Jahren wollen wir daran arbeiten, mit einer Initiative für ein »neues Normalarbeitsverhältnis« eine solida­rische Perspektive in den Betrieben und Ge­werkschaften für ein Bündnis von Erwerbs­losen, prekär Beschäftigten und den Beschäf­tigten, die in sozialversicherungspflichtiger Voll­zeit arbeiten, zu stärken. Wir wollen die Be­schäftigten auch stärker direkt ansprechen und zur Organisierung in der LINKEN einladen. Da wir unsere Kräfte fokussieren müssen, liegt ein Schwerpunkt dabei auf den sozialen Dienst­leistungen. Unterfinanzierung und Wett­be­werbsorientierung führen hier zu verstärkten Protesten, Streiks und neuen Bündnis­mög­lich­keiten. Wir wollen die Kämpfe um eine Auf­wertung der sozialen Dienstleistungen und um mehr Personal in Bildung, Pflege und Gesund­heit unterstützen. Es geht dabei auch darum, die gesellschaftliche Basis für unsere Perspek­tive eines Ausbaus und der demokratischen Gestaltung der Öffentlichen Daseinsfürsorge zu verbreitern.

3. Neue Mitgliederoffensive

In den letzten Jahren ist es uns gelungen, viele neue Mitglieder zu gewinnen. Angesichts der Mitgliederentwicklung in den ostdeutschen Landesverbänden und der in Westdeutschland weiter schwachen Verankerung auf dem Land, muss eine Offensive zur Gewinnung neuer Mit­glieder ein wichtiger Schwerpunkt für die ge­samte Partei sein. Wir wollen die Mitglieder­wer­bung auf Bundesebene mit neuen Methoden - auch im Bundestagswahlkampf – und in ge­zielter Verknüpfung mit aktuellen gesell­schaft­lichen Auseinandersetzungen weiterent­wickeln. Darüber hinaus wollen wir die Landes- und Kreisverbände bei der Gewinnung und ak­tiven Einbeziehung von Neumitgliedern unter­stützen.

4. Ein Bollwerk gegen Rassismus: Die Solidarität organisieren!

Vielerorts werden Geflüchtete, aktive Antifa­schist_innen und Mitglieder unserer Partei von rechts bedroht. In dieser Situation lassen wir uns nicht einschüchtern. Wir stehen zusammen und sind solidarisch mit den Opfern rechter Gewalt und stehen auf der Seite derjenigen, die sich den Rechten aktiv entgegenstellen.

Der Ausgrenzung von Geflüchteten setzen zahl­lose Initiativen längst eine praktische Solidari­tät entgegen. Doch bisher sind sie gegenüber der rechten Hetze nur selten sichtbar. DIE LINKE kann hier dazu beitragen, die gesell­schaftliche Stimmung insgesamt nach links zu verschieben, wenn wir helfen, diese unab­hängigen Initiativen bundesweit zu vernetzen, Ressourcen zu bündeln und ihre Anliegen politisch zu unterstützen. Dabei knüpfen wir an den Initiativen »Welcome2stay« und »Aufstehen gegen Rassismus« an. Unsere Parole lautet: Solidarity, nicht Charity! Wir knüpfen damit auch an die Erfahrungen von Blockupy und Solidaritätsstrukturen gegen die Troika-Politik in Griechenland an.

Wir wollen gemeinsam mit den Akteuren be­ra­ten, wie solch ein Solidaritätsnetzwerk aus­sehen kann, um nachhaltige und unabhängige Strukturen der Selbsthilfe vor Ort aufzubauen. Verbinden wollen wir diese Initiative mit praktischen Angeboten für all diejenigen, die in den letzten Monaten neu zu uns gekommen sind – und einer Mitgliederoffensive für dieje­nigen, die angesichts der aktuellen Zuspitzung für Solidarität Partei ergreifen wollen.

5. Außerparlamentarische Mobilisierungen stärken: Für eine soziale Offensive – für alle!

Die außerparlamentarische »Lage« ist derzeit dadurch geprägt, dass sich die vielen wichtigen Initiativen im Kampf gegen rechts, für die Unterstützung von Geflüchteten nicht zu einer gemeinsamen Bewegung verknüpfen – und Antifaschismus von der sozialen Gerechtig­keitsfrage getrennt bleibt. Bisher fehlt ein linker Aufbruch gegen Nationalismus und schwarz-rot-grünen Neoliberalismus – ein gemeinsamer Ausdruck jenseits all der wichtigen Einzel­themen und nötigen Abwehrkämpfe. Ein Aus­druck, der Mut gibt und deutlich macht: Wir, das gesellschaftliche Lager der Solidarität, sind viele! Gemeinsam mit Sozialverbänden, Ge­werkschaften, sozialen Bewegungen, Attac, Migrant_innenverbänden und Antifa-Initiativen wollen wir eine neue Initiative für eine massive Umverteilung voranbringen. In der maximalen Breite und der nötigen Radikalität, mit niedrigschwelligen Angeboten und Mitteln des zivilen Ungehorsams. Lasst uns diesen Vorschlag in die Diskussionen in den Bündnis­sen gegen rechts, in den Flüchtlingsinitiativen, Gewerkschaften und dem Umfairteilen-Bündnis einbringen!

Wenn wir es schaffen, den Kampf für soziale Gerechtigkeit mit dem Einsatz gegen Rassis­mus und rechten Kulturkampf zu verbinden und eine gemeinsame Initiative für eine solidarische Gesellschaft zu starten, kann ein neues Momentum für gemeinsame linke Politik entstehen.

Katja Kipping, Jahrgang 1978, ist seit 2012 Vorsitzende der Linkspartei. Sie hat Slawistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften studiert. Sie gibt das politische Magazin »prager frühling« mit heraus und sitzt im Vorstand des Crossover-Instituts Solidarische Moderne. Bernd Riexinger, geboren 1955, bildet mit Kipping seit 2012 die Doppelspitze der Partei. Nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann war Riexinger Betriebsrat, Gewerkschaftssekretär und ab 2001 Geschäftsführer des ver.di-Bezirks Stuttgart und Region.
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