Das Trauma von Fröttmaning
Wie schwer es für den erfolgsverwöhnten FC Bayern ist, seine Leichtigkeit wiederzufinden
Nur allzu oft ist die Fröttmaninger Heide ein Ort der Freude, der Lust, des Jubelns. Schon lange bevor der eigentliche Akt über Sieg oder Niederlage entscheidet, schiebt sich die rot-weiße Masse triumphierend Richtung Arena. Weil wieder der FC Bayern spielt, weil die Münchner höchstwahrscheinlich wieder mehr Tore als der Gegner schießen werden. Von den bislang 48 Pflichtspielen dieser Saison in Bundesliga, DFB-Pokal und Champions League verloren sie nur vier.
Psychologisch gesehen ist das nicht unbedingt ein Vorteil. Erst recht nicht vor dem Halbfinalrückspiel in der Champions League gegen Atlético Madrid. Während die vierte Meisterfeier in Folge - ein weiterer Rekord für den Rekordmeister - auf dem zehn Kilometer entfernten Marienplatz schon fest eingeplant ist, steht am Dienstagabend im Münchner Norden wieder eines dieser, für den FC Bayern saisonentscheidenden Spiele an. Weil der Stern des Südens auch in Europa unbedingt am hellsten strahlen will. Hohe Ziele helfen, sich weiterzuentwickeln. Ein häufiges Scheitern kann dann aber auch zum Schock führen. Wenn, wie beim FC Bayern unter Trainer Pep Guardiola, das höchste Ziel zum Dogma wird, können Negativerlebnisse sehr nachhaltig wirken.
Das Trauma von Fröttmaning: Fassungslosigkeit und eine gespenstische Stille erfüllten die Münchner Arena am 29. April 2014 um 21:05 Uhr. Sergio Ramos hatte mit einem wuchtigen Kopfball alle Finalträume des FC Bayern zerstört. Dem zweiten Treffer folgten noch zwei weitere für Real Madrid - 0:4 gingen die Münchner unter. Die große Zuversicht, nach dem 0:1 im Hinspiel das Halbfinalduell noch für sich entscheiden zu können, war so weit weg, dass sie kaum mehr zu erinnern war. Ein Jahr später ließ Neymar 70 000 Menschen verstummen. Nach dem 0:3 in Barcelona war mit den beiden Toren des Brasilianers das Halbfinalrückspiel in München nach einer halben Stunde gelaufen.
Es soll eine Schutzfunktion des menschlichen Gehirns sein, negative Erinnerungen greifbarer als positive zu speichern; für entsprechendes Handeln im Wiederholungsfall. Das widerspricht nicht der These von Sigmund Freud, wonach man Erlebnisse aus dem eigenen Bewusstsein verdrängen kann. Denn: Irgendwo lauern sie. Und sie kommen zurück. Was also wird präsenter sein, wenn die Münchner am Dienstagabend in die Arena einlaufen - die in ihrer Anzahl schon fast beliebigen Bundesligasiege oder, beim Klang der Champions-League-Hymne, die bitteren Niederlagen in der Königsklasse? Dazu zählt auch das verlorene »Finale dahoam« 2012 gegen Chelsea London.
Wie klein die breite Bundesligabrust sein kann, zeigte sich schon im Hinspiel bei Atlético. Verdient gewannen die Madrilenen mit 1:0, waren in der ersten Halbzeit besser und hatten in der zweiten die besseren Torchancen. Je näher die Münchner seit drei Jahren unter Guardiola dem Saisonfinale kommen, desto verkrampfter spielen sie. Schön anzusehen sind die feinen Passkombinationen noch immer. Zu schematisch aber sind die Spielzüge, zu wenig Leidenschaft ist in den Aktionen. Vielleicht weil für den FC Bayern die Bundesliga eben nicht die ganz große Herausforderung ist.
Das Problem, dass den Münchnern »die Leichtigkeit abgeht«, wie Thomas Müller gestand, liegt eher im mentalen Bereich. Das Ziel, der Druck; sie lähmen - und am Dienstagabend vielleicht auch wieder der Ort und die Erinnerungen. Spätestens dann, wenn die konterstarken Madrilenen in Führung gehen sollten und die gespenstische Stille wieder jedwede Zuversicht verschlingt.
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