Dobrindt gibt Merkel die Schuld am Erstarken der AfD
Während der Bundesverkehrsminister die CDU wieder als Mitte-Rechts-Partei sehen will, beschwört Erika Steinbach erneut das Ende der Demokratie herauf
Berlin. Kaum ist die Bundeskanzlerin außer Haus, tanzen die Rechtsausleger auf dem Tisch: Während Angela Merkel (CDU) zur Privat-Audienz beim Papst in Rom weilte, trauten sich am Freitag gleich zwei Gegner der Flüchtlingspolitik Merkels aus der Deckung und formulierten harsche Kritik an ihrer Chefin.
In einem auszugsweise vorab veröffentlichten Interview mit dem »Spiegel« wirft Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) der CDU vor, aus den Erfolgen der AfD bei den Landtagswahlen nicht die richtigen Schlüsse gezogen zu haben: »Die CDU versteht sich seit Jahren nicht mehr als Mitte-Rechts-Partei«, so Dobrindt.
Das habe dazu geführt, dass sich eine Gruppe von Wählern in der politischen Debatte nicht mehr wiederfinde. »Die haben jetzt mit der AfD versuchsweise eine neue Stimme gefunden.« Welches Politikfeld der ehemalige CSU-Generalsekretär mit seinen Äußerungen meint, erschließt sich da ganz von selbst: Ginge es nach ihm, würde sich die Union in der Flüchtlingspolitik deulich nach rechts bewegen.
»Wenn die Interpretation der Wahlen heißt, 80 Prozent der Wähler unterstützten den Kurs der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik, dann würde ich dringend zu einer zweiten Analyse raten«, sagte der ehemalige CSU-Generalsekretär und fügte hinzu: »Ich hätte übrigens grundsätzlich Zweifel an der Richtigkeit meiner Politik, wenn sie von Linken und Grünen bejubelt wird.«
Dobrindt hat Lenin verinnerlicht
Auch wenn es sicher nicht einer gewissen Komik entbehrt, dass der Christlich-Konservative seinen Lenin verinnerlicht hat (»Sage mir, wer Dich lobt und ich sage Dir, worin Dein Fehler liegt«), könnte seine Volte gegen das eigene politische Lager doch zur Beruhigung des rechten Randes innerhalb der Unionsfraktion beitragen – und sich damit letztlich sogar als Scheingefecht im Dienste der Kanzlerin entpuppen. »CDU und CSU bilden eine Schicksalsgemeinschaft«, betont Dobrindt, »aber die Ereignisse der vergangenen Monate werden auch im Binnenverhältnis zwischen beiden Parteien lange nachwirken.«
Merkels Minister warnte die Schwesterpartei davor, sich auf ein Bündnis mit den Grünen einzurichten. Schwarz-Grün sei kein Zukunftsmodell für den Bund. »Ich rate dazu, deutlich auf die Abgrenzung gegenüber den grünen Themen zu gehen und nicht zu sehr Gemeinsamkeiten zu betonen«, sagte Dobrindt. »Wenn Politik immer nur auf Konsens setzt, sucht der Wähler nach einer Alternative.«
Da Dobrindt mit dem derzeitigen Koalitionspartner SPD häufig im Clinch liegt (E-Autos, Bundesverkehrswegeplan), dürften auch die verzwergten Sozialdemokraten nicht die Lieblingsoption des Verkehrsministers für die Zeit nach der kommenden Bundestagswahl 2017 sein. Da ein Bündnis mit der FDP, so die aktuellen Zahlen, für eine Regierungsmehrheit nicht ausreichen würden und die LINKE als CDU-Partner ohnehin völlig ausgeschlossen ist, bliebe da derzeit nur noch – die AfD.
Vielleicht hat es Dobrindt also lediglich kurzfristig darauf abgesehen, der Kanzlerin ein wenig Ruhe in der CDU/CSU zu verschaffen. Sollte sie sich nicht – wie so oft – auch in der Flüchtlingspolitik noch als Wendehals erweisen, dann dürfte Dobrindt zur kleinen Revolution blasen. Hätte diese Strategie wiederum Erfolg, könnten sich CDU und CSU für die AfD öffnen, falls die sich bis Herbst kommenden Jahres verbal leicht entradikalisiert haben sollte.
Erika Steinbachs ultimativer Schlag mit der Nazivergleichskeule
Genau das führt eine innerhalb der Unionshierarchie weitgehend isolierte, aber dennoch als wichtige Stimme des rechten Parteiflügels geltende Erika Steinabach schon lange im Schilde. In einem aktuellen Gastbeitrag für die »FAZ« beklagt sie, der Bundestag habe nie über die Aufnahme von Flüchtlingen abgestimmt. In ihrem Artikel wiederholt sie die Argumente aus dem zuletzt intellektuell angefütterten Pegida-Fremdenfeindlichkeitsstandardrepertoire: Viele Menschen treibe »die Sorge um, dass Deutschland einen irreparablen Identitätsverlust aufgrund der weit über eine Million Zuwanderer aus einem anderen Kulturkreis erleidet.«
Ebenso würden »viele Bürger« es nicht mehr wagen, »ihre Auffassung zur Migrationspolitik der Bundesregierung laut zu äußern. Die Befürchtung geht um, bei gegenteiliger Meinung als Rechtsextremist, als Rechtsradikaler oder Rassist stigmatisiert zu werden.« Am Ende ihres Textes fantasiert Steinbach von einer »ungesteuerten und unkontrollierten Massenzuwanderung« nach Deutschland und holt zum ultimativen Schlag mit der Lügenpresse-Weimarer-Republik-Nazivergleichskeule aus: »Möglich geworden ist es auch durch Medienunterstützung der Regierungspolitik in diesen Fragen und häufig öffentliches Anprangern all jener, die diese Regierungspolitik hinterfragen und kritisieren. Das ist eine bedrückende Feststellung für unsere Demokratie.«
Die einleuchtende Feststellung der beinahe zeitgleich erfolgten Einwürfe durch Dobrindt und Steinbach lautet: Der Kampf der Kulturen innerhalb der Union geht nicht nur weiter, mit der deutlichen Distanzierung ihres eigenen Ministers von Merkel wird er sich jetzt sogar weiter verschärfen.
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