Griechenland: Offener Brief fordert Wende in der Krisenpolitik
Kritische Intellektuelle und linke Politiker appellieren an EU-Regierungschefs: Kreditraten pünktlich auszahlen, keine neuen Kürzungsauflagen, zusätzliche humanitäre Hilfen, Umstrukturierung der Schulden noch in diesem Jahr
Berlin. Wie geht es mit der Krisenpolitik in Europa weiter? Wird der verhängnisvolle Kurs der Kürzungsdiktate gegenüber Griechenland und anderen Staaten fortgesetzt? Oder gibt es eine Chance, aus dem Kreislauf von Austerität, ökonomischer Auszehrung und Schuldenbergen auszubrechen? Letzteres fordern nun zahlreiche kritische Intellektuelle und linke Politiker in einem Offenen Brief an führende Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union. Über den Brief hatte zuerst das kritische Wirtschaftsmagazin oxiblog.de berichtet. Auf dem Portal ist der volle Wortlaut des Offenen Briefes dokumentiert.
In dem Schreiben an David Cameron, François Hollande, Angela Merkel und Matteo Renzi wird verlangt, an die Regierung in Athen »alle bisher vereinbarten Raten der Kreditgewährung an Griechenland plangemäß zur Sicherstellung des Schuldendienstes« auszuzahlen und »keine Forderungen nach neuen Sparauflagen mehr« zu erheben. Zudem solle »Griechenland zusätzliche Finanzhilfen zur Bewältigung der humanitären Krise der eigenen Bevölkerung und der Geflüchteten« erhalten. Nicht zuletzt soll »noch in diesem Jahr eine Umstrukturierung der griechischen Schulden in eine für das Land erträgliche Form« eingeleitet werden. Dies könne über langfristige Schuldpapiere mit niedriger Verzinsung geschehen. Die Unterzeichner setzen sich darüber hinaus dafür ein, die »überzogenen Vorgaben an die kurz-und langfristigen Haushaltsziele abzusenken«.
Hintergrund: Am Montag kommen die Finanzminister der 19 Euro-Staaten zusammen. Das Thema Griechenland steht einmal mehr auf der Tagesordnung - die SYRIZA-geführte Regierung muss umstrittene Kürzungsauflagen umsetzen, im Gegenzug läuft das inzwischen dritte Kreditprogramm für das Land. Allerdings gibt es schwere Zerwürfnisse über zusätzliche Kürzungsforderungen, die vor allem in Berlin erhoben werden. Zudem ist der Streit um rasche Schuldenerleichterungen auch zwischen den europäischen Gläubigern und dem Internationalen Währungsfonds voll entbrannt. Mit ihrem Offenen Brief appellieren nun Dutzende Politiker, Abgeordnete, Wirtschaftswissenschaftler und Gewerkschafter, endlich eine Wende in der Krisenpolitik »gegenüber den verantwortlichen Institutionen der EU und den die Verhandlungen mit Griechenland Führenden« durchzusetzen.
Zu den Erstunterzeichnern gehören neben dem deutschen Ökonomen Elmar Altvater, dem französischen Philosophen Etiénne Balibar und dem Tübinger Politikwissenschaftler Hans-Jürgen Bieling auch die SPD-Politikerinnen Gesine Schwan und Andrea Ypsilanti, die Linken-Abgeordneten Gabi Zimmer und Axel Troost. Initiiert wurde die Intervention von Judith Dellheim und Frieder Otto Wolf, inzwischen haben sich zahlreiche namhafte Wissenschaftler dem Appell angeschlossen, darunter auch der Chef des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Gustav Horn, der US-Historiker Immanuel Wallerstein und Hans-Jürgen Urban von der IG Metall. nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.